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Kodex für zwei Kirchen?

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In der Zeit von 22. bis 26. September 1971 fand in Wien der erste Kongreß der Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen statt. Diese Gesellschaft der Ostkirchenrechtler hat damit ihr Leben als Verein nach österreichischem Recht begonnen.

Somit wurde ein Projekt realisiert, das auf verschiedene Initiativen zurückgeht.

Eine Initiative kam aus Rom; in Zusammenhang mit den Arbeiten an einer Neukodiflzierung des katholischen Kirchenrechts, vor allem aber mit den Überlegungen zur Formu- mulierung einer „lex fundamen-

talis“ trat die Frage in den Vordergrund, inwieweit diese Kodifizierung auch die Ostkirchen umfassen sollte. Sollte man neben einer für alle Kirchen gültigen „lex funda- mentalis“ zwei codices schaffen, einen für die lateinische Kirche, den anderen für die orientalischen Kirchen? Ist es überhaupt möglich, einen Codex für alle orientalischen Kirchen zu schaffen? Es erschien daher notwendig, eine Bestandsaufnahme des alten Rechts der Ostkirchen zu machen. Anderseits ist auch in der orthodoxen Kirchengemeinschaft der Wunsch nach einer Kodifizierung des

Kirchenrechts immer stärker geworden und wird das geplante panorthodoxe Konzil beschäftigen. Es war daher ein Bedürfnis der Kanonisten aller orientalischen Kirchen, zu einem Gedankenaustausch zu kommen in Hinblick auf die sich für alle gleichermaßen erhebende Problematik. Auf Initiative Seiner Eminenz, Kardinals König, wurde zum Sitz der neuen Gesellschaft Wien bestimmt und in einer Zusammenkunft der Interessenten im September 1969 der Ordinarius für Kirchenrecht der juristischen Fakultät der Universität Wien, Prof. Doktor

Dr. h. c. mult. Willibald M. Plöchl zum Präsidenten der Gesellschaft gewählt.

Entsprechend der oben aufgezeigten Problematik war das Generalthema der ersten Vollversammlung: „Die alten Quellen des Ostkirchenrechts in der Gegenwart.“ Unter den zehn Vortragenden befanden sich neben fünf Katholiken (darunter ein Äthiopier und ein Inder) Wissenschaftler aus dem ökumenischen Patriarchat, aus Griechenland, von der Koptischen und Armenischen Kirche.

Als erste Versammlung der Gesellschaft erhielt der Kongreß seine besondere Bedeutung vor allem auch dadurch, daß es zu einem ersten Kennenlernen und zu Kontaktaufnahmen zwischen den Fachleuten des Ostkirchenrechts kam. Es entwickelte sich in den Tagen des Kongresses eine wahrhaft ökumenische Stimmung, die ihren Höhepunkt fand in einer gemeinsamen Andacht in Mariazell.

Es soll hier eine kleine Beschreibung folgen. Unmittelbar im eigentlichen Kirchenraum der Gnadenkapelle waren die drei Bischöfe, Chrysostomos (Wien), German (Wien) und Erzbischof Harb (Baalbek) placiert. In dem durch die Kommunionbank abgegrenzten Raum bei der Gnadenkapelle hatten nun die Vertreter folgender Kirchen Aufstellung genommen: ökumenisches Patriarchat, russisches Patriarchat, Koptische Kirche, katholische und nichtkatholische Armenier, katholische und nichtkatholische Äthiopier, katholische Syrer, Malabaren und Ukrainer. Die Epistel wurde auf Deutsch vom Diakon des anglikanischen Domkapitels von Worcester, Prof. Dr. Kemp, verlesen, der als Vertreter von Bischof Satterthwaite und zugleich als Vertreter der ost- kirchlichen Abteilung des Rates für auswärtige Angelegenheiten des Erzbischofs von Canterbury anwesend war. Das Evangelium verlas Metropolit Chrysosthomos.

Der katholische Chor der ukrainischen Kirche in Wien zu St. Barbara sang prachtvoll die ostkirchlichen

Gesänge. Es wird wohl das erste Mal gewesen sein, daß ein unierter Chor der ukrainischen Kirche das „Viele Jahre“ für den Moskauer Patriarchen gesungen hat, und ein orthodoxer russischer Bischof das Segenskreuz gemacht hat, und zwar bei der Anrufung des Kardinals Slipyj.

Zuletzt noch einiges statistisches über diesen Kongreß: Es nahmen daran mehr als 70 Fachleute des Ostkirchenrechts aus 19 Staaten teil.

Zum nächsten Tagungsort (in zwei Jahren) wurde Kreta bestimmt, und ein Vorbereitungskomitee, bestehend aus einem Vertreter des ökumenischen Patriarchats, der Kirche Griechenlands und einem katholischen Griechen, gewählt. Auf Vorschlag von arabischer Seite ist als übernächster Tagungsort Beirut in Aussicht genommen.

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