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„König Franz Joseph“

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Wie schon bei anderen Anlässen, so haben auch die Ergebnisse der jüngsten Bundestagswahlen Bayern im Vergleich zum übrigen Bundesgebiet eine gewisse Sonderstellung zugewiesen. Das gegenläufig zum fast allgemein feststellbaren Stimmenverlust der Union noch gewachsene Votum für die CSU, die trotz des neuen Wählermagneten Dr. Vogel nur durchschnittliche Zunahme der SPD, sowie der gegenüber anderen Bundesländern bescheidenere Anteil der FDP bilden, zusammen mit einer relativ niedrigen Wahlbeteiligung, Symptome, die das Wort Brandts: „In Bayern gehen die Uhren anders“, unter Beweis zu stellen scheinen.

Eine erste Analyse der statistischen Daten und Äußerungen von Politikern in der Wahlnacht vermittelt jedoch ein wesentlich differen-zierteres Bild vom Wahlergebnis im flächengrößten Bundesland. So zeigt sich beispielsweise, daß das für die Parteischichtung in der Bundesrepublik bedeutsame Nord-Süd-Gefälle auch in Bayern seine Geltung hat. In Franken ist es sowohl der SPD wie auch der FDP gelungen, ihre Positionen merklich auszubauen. Außer den bereits früher erworbenen Direktmandaten von Nürnberg, Hof, Coburg und Erlangen gingen jetzt auch die von Fürth und Bayreuth in die Hände von Sozialdemokraten über. In Nürnberg-Süd verzeichnete die CSU mit 36 Prozent ihren geringsten Anteil an Erststimmen und im Wahlkreis von Stücklen, in Weis-senburg, mußte sie mit minus 3,6 Prozent ihre stärkste Einbuße an Zweitstimmen hinnehmen.

Eine weitere Parallele mit der übrigen Bundesrepublik bildet der erfolgreiche Einbruch der SPD in das ländliche katholische Wählerpotential. Dank des intensiven Einsatzes von Jochen Vogel und verschiedenen Wählerinitiativen erreichten die Sozialdemokraten hier im Durchschnitt ein Plus von 5 Prozent. Nicht unbeteiligt an dieser Wählerbewegung dürfte allerdings auch die Tatsache gewesen sein, daß es sich hier in weiten Teilen um Zonenrandgebiete handelt. Manche Bewohner erhoffen sich von der beweglichen Ostpolitik der Koalitionsregierung einen intensiveren Kontakt mit ihren traditionellen Nachbarn, und außerdem sind auch die in letzter Zeit von Bonn ventilierten finanziellen

Förderungsmaßnahmen nicht ohne Echo geblieben.

Wenn sich Vogel allerdings als Ziel des Wahlkampfes vorgenommen hatte, der CSU eine empfindliche Zahl von Wählern abzunehmen, um die Position von Strauß entscheidend zu schwächen, dann hat er das nicht erreicht. Seine Partei erhielt zwar 495.000 Zweitstimmen zusätzlich gegenüber 1969, die CSU jedoch deren 497.000. Aus dem Reservoir der rund 220.000 umgepolten NPD- und DKP/ ADF-Wähler, die sich auf die beiden großen Parteien zu gleichen Teilen aufgeteilt haben dürften, ist dies nicht allein zu erklären. Vor allem das Ergebnis von München, wo die SPD insgesamt 0,8 Prozent an Stimmen einbüßte, hat den Höhenflug Vogels einschneidend gebremst. Sein parteiinterner Kontrahent Schöfber-ger verbuchte mit einem Minus von 2,3 Prozent das schlechteste SPD-Wahlkreisresultat Bayerns. Daß trotzdem alle fünf SPD-Direktmandate in München gehalten werden konnten, • ist dafür nur ein geringer Trost. Verglichen mit 1969 erhielt die CSU in der Landeshauptstadt immerhin 25.000 Zweitstimmen mehr als die SPD, die ihrerseits in den Städten Augsburg und Regensburg aufholen konnte.

Bei den Freien Demokraten, die sich in Bayern um 2 Prozent auf einen Anteil von 6,1 Prozent der Zweitstimmen verbesseren konnten, hat sich der Schwerpunkt noch eindeutiger in die städtischen Agglomerationen verlagert. Viele Bürger haben sich hier auf das „Splitting“ verlegt und der Partei von Ertl und Frau Hamm-Brücher fast drei Prozent mehr Zweitstimmen als Erststimmen zukommen lassen. Bundesernährungsminister Ertl hat in seinem Wahlkreis Miesbach mit 11,1 Prozent Erststimmen gegenüber 9,8 Prozent Zweitstimmen einen bemerkenswerten Achtungserfolg vorzuweisen. Das relativ gute Abschneiden der FDP in den agrarisch bestimmten Regierungsbezirken Niederbayern und

Oberpfalz dürfte in gewissem Maße auch seinem Einsatz für die Bauern zu verdanken sein.

Die CSU hat ihren Erfolg im wesentlichen in Oberbayern errungen. Neben den besonderen Verhältnissen in München waren es vor allem der Wahlkreis Miesbach, wo der klangvolle Name Stauffenberg ein Plus von 5,5 Prozent erreichte. Im Wahlkreis Weilheim konnte Strauß mit 0,3 Prozent mehr Erstais Zweitstimmen — die ebenfalls um 3,3 Prozent gewachsen waren — einen glanzvollen persönlichen Sieg verbuchen. Im übrigen scheint die Verteufelungskampagne, der er während des Wahlkampfes ausgesetzt war, wieder einmal zu einem generellen Solidarisierungseffekt der Oberbayern mit ihrem politischen Matador geführt zu haben. Und es ist nicht zu übersehen, daß sich in seiner Umgebung zunehmend — überraschenderweise auch von Seiten jugendlicher Anhänger — eine baju-warische Variante des „Wilhelminismus“ breitmacht. Das Wahlergebnis erbrachte, wie einige Beobachter überspitzt feststellen, den Sieg von „Kaiser Willy“ in der Bundesrepublik und den Sieg von „König Franz Joseph“ in Bayern.

Vordergründig betrachtet, können sich in Bayern allerdings alle Parteien als Sieger fühlen. Hinter verschlossenen Türen hat jedoch schon bei allen eine heftige Diskussion über die Fragwürdigkeit dieses Sieges eingesetzt.

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