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Königreich wird Bundesstaat

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Die weltweite Desintegrationstendenz macht sich auch an Maas und Scheide bemerkbar. Belgien wandelt sich auf dem Weg über eine Verfassungsreform zum Bundesstaat. Kommentatoren sehen bereits die Möglichkeit am Horizont, daß das Land in zwei Teile auseinanderfällt.

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Die weltweite Desintegrationstendenz macht sich auch an Maas und Scheide bemerkbar. Belgien wandelt sich auf dem Weg über eine Verfassungsreform zum Bundesstaat. Kommentatoren sehen bereits die Möglichkeit am Horizont, daß das Land in zwei Teile auseinanderfällt.

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Schon Cäsar nannte die „Belgier” als Bewohner des nördlichen Galliens. Flandern, Brabant kamen durch die burgundische Heirat Maximilians I. an das Haus Habsburg, zum Reich. Die Spanischen, später Österreichischen Niederlande, ein Land hoher Kultur und großen Reichtums, immer wieder Zankapfel zwischen den größeren Nachbarn, wurde durch den Wiener Kongreß mit den Niederlanden und Luxemburg vereinigt und lösten sich nach Aufstand und Krieg 1830 von diesen, um als Königreich Belgien unter dem Coburger Leopold ihren eigenen Weg zu gehen.

Aber dieses Belgien wird von zwei Völkern bewohnt, Flamen und Wallonen, die verschiedene Sprachen sprechen - und den Mehrheits völkern dieser Sprachen, Niederländern und Franzosen, distanziert gegenüber stehen.

160 Jahre belgischer Unabhängigkeit - unterbrochen von wenigen Jahren deutscher Besetzung in den beiden Weltkriegen - sind eine ununterbrochene Folge von Sprachenstreit und Regierungskrisen. In mehreren Sprachgesetzen erhielt das Flämische volle Anerkennung als Amts-, Schul-und Gerichtssprache. Aber die Bereitschaft, die jeweils andere Landessprache zu lernen und auch zu verwenden, blieb gering.

Die Koalitionsregierung aus Sozialisten und Christlich-Sozialen unter dem Flamen Jean-Luc Dehaene hatte sich vergangenen Samstag mit Unterstützung der Grünen in nötiger Zwei-Drittel-Mehrheit zu der historischen

Abstimmung entschlossen. 33 weitere Verfassungsartikel sollen bis Ostern im Brüsseler Parlament geändert werden, um den Weg zum Bundesstaat zu ebnen. Beide Volksgruppen werden dann ihre eigenen Regierungen unter Kontrolle eines übergeordneten Parlaments erhalten. Gemeinsam solle nur mehr die Verteidi-gungs-, Außen-, Wirtschafts- und Währungspolitik getragen werden. Anlaß zu dieser Verfassungsreform war wieder einmal der Streit um die Wirtschaftskrise und Vorwürfe der flämischen Seite, daß die Wallonen bei der Aufteilung der Staatsschulden und des Sozialbudgets „zu teuer kommen”.

Eine besondere Problematik wird die neue Verfassung für die belgische und „EG”-Hauptstadt Brüssel bringen. Beide Volksgruppen reklamieren die zu 80 Prozent französischsprachige Hauptstadt als „ihre Zentrale”, sodaß das Gebiet um Brüssel bereits als „dritte Volksgruppe” angesehen wird.

Kommentatoren sehen eine Lösung der belgischen Probleme langfristig nur mehr in der Perspektive eines gemeinsamen EG-Bundesstaates, wo dann die nationalen Kompetenzen einer überregionalen Regierung untergeordnet sein werden.

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