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Können sich’s die Großen richten?

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Die erregte Debatte über Hannes Androsch hat zutage gefördert, was an Unbehagen vielleicht schon lange vorhanden war. Genießen die Politiker ungerechtfertigte Privilegien, trifft es zu, was der „Mann von der Straße“ schon lange fühlt: Können sich’s die Großen richten? Unser Thema der Woche sucht Antworten auf offene Fragen zu geben. Zusätzlich erscheint es reizvoll, eine Stimme zu Gehör zu bringen, die bereits vor dem Fall Androsch erschallte: Der Politologe Norbert Leser nahm bereits im Juli in der „Europäischen Rundschau“ die Stellung des Politikers unter die Lupe.

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Die erregte Debatte über Hannes Androsch hat zutage gefördert, was an Unbehagen vielleicht schon lange vorhanden war. Genießen die Politiker ungerechtfertigte Privilegien, trifft es zu, was der „Mann von der Straße“ schon lange fühlt: Können sich’s die Großen richten? Unser Thema der Woche sucht Antworten auf offene Fragen zu geben. Zusätzlich erscheint es reizvoll, eine Stimme zu Gehör zu bringen, die bereits vor dem Fall Androsch erschallte: Der Politologe Norbert Leser nahm bereits im Juli in der „Europäischen Rundschau“ die Stellung des Politikers unter die Lupe.

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Im heurigen Sommer ging die Innenpolitik nicht auf Urlaub. Im Gegenteil: Sie entfachte am Beispiel des Vizekanzlers Hannes Androsch eine emotionsgeladene Diskussion über den „Sold des Politikers“ (wie dies der deutsche Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg in einer kleinen, aber inhaltsreichen Schrift einmal nannte).

Dieses Grundproblem trat und tritt in der Auseinandersetzung um die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Regierungsmitgliedes und stellvertretenden Parteivorsitzenden allerdings nicht klar zutage, sondern wird - teils bewußt, teils aus Unvermögen - von den Hauptakteuren fast ausschließlich unter Nebenaspekten mit wenig stichhaltigen Argumenten umgangen. Am Beispiel Androschs läßt sich daher so deutlich wie selten die Qualität der gegenwärtig in Österreich „gemachten“ Politik aufzeigen.

Ausgangspunkt war bekanntlich der für einen Sozialisten sicher unangenehme Vorwurf der großen Oppositionspartei, Androsch habe es im Zuge seiner Politkarriere auch zum Privatmillionär gebracht. Doch kaum war diesfes Thema, das allein zur Diskussion stand, angeschnitten, tauchte zur Entlastung ein alter Hut auf: die Privilegien der Beamten-Politiker.

Nun kann man über die geltenden Vorschriften, denenzufolge Beamte der Bundesverwaltung (nicht auch Professoren oder Bedienstete anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften!), wenn sie in Organe der Bundesgesetzgebung gewählt werden, keinen Dienst versehen dürfen, ihre Gehälter aber weiter erhalten, durchaus verschiedener Meinung sein. Nur: Nach allen Regeln der Logik beweist der Fall

Androsch, daß auch Nichtbeamte als Abgeordnete oder Minister ihre Berufseinkommen weiter beziehen und sogar beträchtlich steigern!

Es ist eben ein Unterschied, ob ein Arzt in die Politik geht, dessen Praxis durch den damit verbundenen Zeitverlust eher negativ beeinflußt wird, oder ein Rechtsanwalt, Steuerberater öder anderer Freiberufler, dem politische Verbindungen unter Umständen sogar ungewollt von Nutzen sein können.

Aber nicht nur das Rezept „Reden wir von etwas anderem“ wurde angewendet, sondern auch der Versuch, durch Übertreibung unangenehme Argumente ad absurdum zu führen. So etwa vernahm der staunende Österreicher, der Vorwurf einer Unvereinbarkeit des Amtes des Finanzministers mit dem Beruf eines Steuerberaters käme dem Ausschluß einer ganzen Berufsgruppe von politischen Funktionen gleich und erinnere an eine Art „Super-Radikalen-Erlaß“.

Abgesehen davon, daß sich merkwürdigerweise nicht einmal die große Oppositionspartei in diesem Zusammenhang einschlägiger Äußerungen des Bundeskanzlers Bruno Kreisky anläßlich der Kandidatur des jetzigen Parteiobmannes Josef Taus entsann, wollte doch niemand dem ambitionierten Politiker Androsch z. B. sein Na- tionalratsmandat streitig machen. Gewiß sähe die Sache auch anders aus, wenn er Außenminister wäre - was er angeblich ohnedies schon einmal werden wollte - und nicht gerade unser oberster Steuereintreiber.

Schließlich verschätzte sich Androsch mit seiner Flucht nach vorne und der Veröffentlichung seiner Steuerbescheide gründlich: Die Reaktion der Öffentlichkeit fiel, nämlich trotz der sommerlichen Urlaubszeit keinesfalls so oberflächlich aus, wie anscheinend gehofft.

Im Gegenteil: Jetzt erst wurde das Nebeneinanderbestehen einer An- drosch-Kanzlei, die er von seinem Vater geerbt hatte und die ihren Kundenkreis kaum nennenswert ausgeweitet haben dürfte, neben der schon oft zitierten „Consultatio Ges.m.b.H.“ so richtig ins Bewußtsein gehoben, wobei die Geschäftsausweitung dieses Unternehmens, an dem Androsch und seine Frau hauptsächlich beteiligt sind, den eigentlichen Stein des Anstoßes bildet.

Daß dem Vizekanzler steuerrechtlich aus dieser florierenden Firma, die auch schon einträgliche Töchter in die

Welt gesetzt haben soll, mehr Schuldenverpflichtungen als Einnahmen erwachsen, rührt niemanden zu Tränen. Vielmehr weist die Veröffentlichung der Steuerbescheide durch Androsch darauf hin, wie sehr sich führende Politiker dem benken des „kleinen Mannes“ entfremden können. Der nämlich reagiert auf die dadurch zutage getretenen Fakten in erster Linie wohl mit der gängigen Klage: Die Großen können sich’s richten!

Und in der Tat ist der Trick, durch Schuldaufnahmen große Einkommen bzw. Vermögen zu egalisieren, recht einfach. Die Frage ist halt nur, ob auch jeder andere Österreicher von seinem Geldinstitut so ohne weiteres Kredite dieser Größenordnung bekäme, zumal ein gewisser Finanzminister Androsch vor nicht allzu langer Zeit beredt für die Einschränkung von Personalkrediten eingetreten ist…

Daß die Vermögensverhältnisse des ÖVP-Obmannes ähnlich liegen, wird auch kaum einen Österreicher zu besonderem Mitleid veranlassen. Am Beispiel Androsch zeigen sich nämlich nicht nur Schwachstellen in der Regierungspartei, sondern auch viele im Agieren der Opposition. So ist es zwar richtig, daß erst eine genauere Kenntnis der’Bilanzentwicklurig der „Consultatio“ etwa seit 1970 die Behauptungen des Vizekanzlers erhärten oder widerlegen könnte, er habe aus seiner politischen Karriere keine beruflichen Vorteile gezogen.

Wenn aber in diesem Zusammenhang auch der Ruf nach einem „Untersuchungsausschuß“ erhoben wird, dann muß man sich nicht nur über die Unkenntnis der Grundsätze unserer Verfassung wundern (denen zufolge solche Ausschüsse des Parlaments ja nur Einrichtungen und Angelegenheiten der „Vollziehung“ überprüfen können), sondern man fragt sich mit Staunen, welches „Staatsbild“ einer solchen Forderung zugrundeliegt. Wäre es denn nicht schon der „totale Staat“, wenn ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß zu jeder x-beliebigen Privatfirma gehen und deren Bilanzen einsehen könnte?

Schließlich zeigt sich am Beispiel Androschs, wie leichtfertig Politiker -- ganz gleich, ob solche der Regierungsmehrheit oder der Opposition - an dem Ast sägen, auf dem sie alle miteinander sitzen. Zum Unterschied von altgefestigten Demokratien ist ja in unserem Lande das Ansehen der Politiker nicht gerade hoch. Das Grundproblem, eine angemessene Besoldung unserer Parlamentarier, Regie-

rungsmitglieder und anderer höchster Polit-Funktionäre der öffentlichen Meinung plausibel zu machen, kann daher nur mit größter Umsicht und feinstem Taktgefühl, nicht aber mit demagogischen Gemeinplätzen angegangen werden.

Schon seit dem „tiefstaplerischen“ Wettrennen zwischen Bundeskanzler Kreisky und dem Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer anläßlich der letzten Novellierung des Be- zügegesetzes für Politiker wurden Geister wachgerufen, die man nur schwer mehr loswerden dürfte! Was soll denn eine Bevölkerung von Politikern halten, die sich „scheinbar“ - und

‘wirklich -nicht „anscheinend“. zu hoch bezahlt vorkommen?

Muß nicht jeder Generaldirektor eines verstaatlichten Unternehmens sogar den Bundeskanzler bei einem Vergleich der Einkommen für ein „Ar- mitschkerl“ halten, vom einfachen „Volksvertreter“ ganz zu schweigen? Die Frage der „gerechten Politiker-Besoldung“ muß sicher im größeren Zusammenhang gesehen werden. Befriedigend gelöst werden wird sie wohl nie ganz, denn auch die Relation zwischen der Abendgage selbst eines begnadeten Künstlers auf der einen und dem Unfallchirurgen, der zur gleichen Zeit Menschenleben rettet, auf der anderen Seite, ist letztlich nicht befriedigend regelbar. Den „gerechten Lohn“ im gesellschaftlichen Gesamtzusammen-

hang gibt es nicht - auch nicht für Politiker.

Was sich am Beispiel Androsch letztlich zeigt, ist die Unmöglichkeit, mit Bezügegesetzen, U nvereinbarkeits- vorschriften oder ähnlichem allein auskommen zu wollen. Ob einer Macht mißbraucht, politische Beziehungen ausnützt oder sich auf andere Art ungerechtfertigte Vorteile verschafft, ist im letzten keine Frage der Einhaltung von Rechtsnormen, sondern der ethischen Selbstbeschränkung. So würde ja auch das althergebrachte und noch immer wohlbegründete „Privileg der Immunität“ sein Odium ohne jede Gesetzesänderung sofort verlieren, wenn sich unsere Parlamentarier eine andere „Auslieferungspraxis“ zurechtlegten und beispielsweise bei Ehrenbeleidigungen nicht grundsätzlich gerichtliche Ahndungen verhinderten.

Zusammenfassend muß man wohl als Quintessenz der eher unerquicklichen Auseinandersetzung um Sold und Privilegien unserer Politiker - selbst wenn es unmodern klingt - festhalten: Am Beispiel Androschs zeigt sich der enge Zusammenhang zwischen Politik und Moral!

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