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Körper und Ware

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Prozeß in Hamburg. Um Frauen, besser formuliert um die obszöne Darstellung von nackten „Frauenkörpern“ auf der Titelseite einer sich „links“ gebärdenden Zeitschrift. Eine Wochenzeitschrift mit Millionenauflage, eine Illustrierte, die sich noch in jedem Wahlkampf für Schmidt und die SPD eingesetzt hat. Eine Illustrierte, die gerade eine Serie über die Berufsverbote in der BRD publiziert. Eine Zeitschrift, die „aufklären will“.

Da hatte man also einen Report über St. Pauli gebracht, mit einer aufklärerischen Attitüde, mit lasziven Photos von Transvestiten, Prostituierten. Eine richtige Aufreißerstory, mit einem schmissigen Text, wie es sich gehört. Das ursprünglich vorgesehene Titelbild mit einem nackten Paar wurde (vielleicht ahnte man die Protestrufe) gegen ein „harmloseres“ ausgewechselt. Soweit die Vorgeschichte.

Dann der Aufstand der Feministinnen - allen voran die unvermeidliche Alice Schwarzer - und der „unpolitischen Frauen“ wie Erika Pluhar oder Inge Meysel. Sie hatten den „Stern“ verklagt. Zu Recht, denn eine Zeitung, die aufklärerisch sein will, die fortschrittlich sein will, kann nicht gleichzeitig Sexualität als Ware verkaufen, kann nicht mit dem Geschäfte ma-

chen, wogegen sie kämpft. Es sei denn, sie deklariert sich offen als das, was sie unterschwellig ist. Als Industrie, die mit Nacktheit Geschäfte machen wilL Gutgehende Geschäfte. Nach dem Motto: Mehr Nacktheit ist gleich mehr Geld. Da hüft auch die soziale Verbrämung nichts, da verflacht jedes Engagement zu bloßem Alibi.

Die Frauen haben reagiert, etwas überspitzt vielleicht, etwas zu polemisch vielleicht. Mit Pauschalangriffen vielleicht. Doch sie haben einen Prozeß angestrengt, auf dessen Ergebnis man gespannt sein darf. Sie haben damit an der Allmacht der Medienkolosse gekratzt, haben die scheinbar so heile Fassade der Giganten ins Wanken gebracht. Auch wenn sich nichts ändern sollte.

Dann aber kamen die Reaktionen des angegriffenen Blattes. Da Meß Chefredakteur Henri Nannen Nacktphotos von einigen der anklagenden Frauen im Gerichtssaal verteilen, als wolle er sagen: Die haben nicht das Recht, den ersten Stein zu werfen. Da wurde auf subtile Weise das Engagement der Frauen ins Lächerliche gezogen, da schlössen sich alle Medien einmütig -angefangen von der „Bildzeitung“ bis zum „Spiegel“ - der Meinung des „Stern“ an. Da wurde ehrliches Bemü-

hen verhöhnt. Da spielten die Mediengiganten noch einmal ihre Macht aus und demonstrierten, daß sie eigentlich tun können, was sie wollen.

Es geht hier nicht darum, einer veräußerlichten Sexualität oder Sinnlichkeit den Boden zu bereiten; es geht schlicht darum, daß Zeitungen unter dem Deckmantel der Progressivität Sexualität als Ware anbieten, daß Tabus scheinbar durchbrochen werden, um voyeuristische Bedürfnisse zu befriedigen, um unter dem Schlagwort „befreite Sexualität“ Geld zu verdienen und eine Moral zu untergraben. Ganz bewußt und subtil werden die Grenzen zwischen Ästhetik und Pornographie verwischt, wird unter dem Vorwand der Offenheit die Menschenwürde mit Füßen getreten.

Interessant auch die Reaktionen der österreichischen Medien. Da schreibt der Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“ (am 16. 7.) eine bissige Glosse über den Mißbrauch der Sexualität durch Medien, kritisiert die Darstellung von nackten Körpern als Blickfang für die Leser, da wird in dieser Zeitung jeden Sonntag auf einer ganzen Seite über die Problematik der Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft diskutiert. Alles recht und schön. Doch dieselbe Zeitung bringt am selben Tag ein Nacktphoto einer Schweizer Filmschauspielerin. Ein Photo, das keinerlei Information vermittelt, das auch aus keinem triftigen Grund eingesetzt ist, das einfach als Aufputz für die Sonntagsleser der .Arbeiter-Zeitung“ dient. Warum dieser Widerspruch? Warum kritisiert man auf der ersten Seite ein Phänomen, um auf einer anderen Seite dasselbe zu machen wie andere Zeitungen? Wo bleibt hier die Ehrlichkeit, das Engagement für eine bessere Gesellschaft?

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