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Körperkultur - „Mittel zu kommunistischer Erziehung"

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500 fackeltragende Sportler, die sowjetischen Olympia-Kandidaten, hatten sich im Oktober 1979 auf dem Ma-majew-Hügel, der im Zweiten Weltkrieg so erbittert umkämpften Erhebung bei Stalingrad (heute Wolgagrad), eingefunden. Von der Riesenstatue der „Mutter Heimat" ertönte eine Stimme:

„Meine lieben Söhne und Töchter der großen Heimat! Hier, auf der geheiligten Erde, nehmt meinen mütterlichen Befehl entgegen: Die Erde der Heldenstadt, das ganze Land, hat euch unter sein olympisches Banner gerufen. Die Heimat erweist euch das große Vertrauen, daß ihr ihre sportliche Ehre verteidigt. Denkt immer daran!"

Daraufhin schwor der Fechter Alexander Romankow Tür alle anderen: „Wenn mir die Verteidigung der sportlichen Ehre der geliebten Heimat auf dem großen Sportfeld - den Olympischen Spielen in Moskau - anvertraut wird, dann werde ich in den Minuten der großen Prüfungen nicht zittern und alle Kräfte restlos zum Ruhm des Sportbanners der Heimat einsetzen."

Es ist vielleicht gut, sich daran nach Abschluß der Olympischen Spiele zu erinnern, weil schon damals erkennbar war, welchen politischen Stellenwert die Spiele für das Regime in Moskau darstellen würden.

Sowohl unmittelbar vor als auch während der Spiele ist von sowjetischer Seite mit schonungsloser Deutlichkeit die Verpolitisierung des sportlichen Fesiis dargelegt worden.

„Allein die Tatsache, daß die Olympischen Spiele erstmals in der Geschichte in einem sozialistischen Staat, in der UdSSR, stattfinden werden, ist ein überzeugender Ausdruck der Anerkennung des würdigen Beitrags der Sowjetunion zur Festigung des Friedens", verkündete etwa der Moskauer Bürgermeister.

In der Parteizeitung „Prawda" meinte die dreifache Goldmedaillengewinnerin Tamara Press: „Moskau ist zweifellos die größte Sportstadt der Welt geworden. Die Anlagen unserer olympischen Hauptstadt haben in der Welt nicht ihresgleichen.

„Und wenig später hieß es in derselben Zeitung: „Der wachsende Einfluß des sozialistischen Sports auf die Sportbewegung in der Welt ist eines der besten und wirksamsten Mittel, den Menschen auf der ganzen Welt die Überlegenheit des sozialistischen Systems über den Kapitalismus zu demonstrieren."

Auch die Losungen, Parolen und Spruchbänder, die schon vor oder während der Spiele aufgehängt oder ausgegeben wurden, zeigten das Bemühen der sowjetischen Machthaber, eine Identität von Politik und Sport, von olympischer Idee und dem Moskauer Regime herzustellen oder zu suggerieren: „Sport, Frieden, Fortschritt" hieß

etwa eine Spruchbandschöpfung. Oder: „Von der Freundschaft im Sport zum Frieden auf der Erde".

In der Wochenzeitung „Neues Leben" peitschte ein Gedicht die roten Sportler zum Erfolg: „Sportler unsres großen Landes/Nehmt des ganzen Volkes Kraft zum Ringen /Ihr müßt siegen! /Kling am allerschönsten, unser olympisch Siegeslied!"

Und warum sollten sie siegen? Die 23jährige Eurasierin Nelli Kim, „Seniorin" der UdSSR-Turnerinnen-Riege: „Die Fortschritte des sowjetischen Turnens sind die Folgen des Fortschritts des Sozialismus als Ganzes."

Niemand hätte sich darüber wundern dürfen, denn „von ihren Anfängen bis zum heutigen Tag steht die Geschichte von Sport und Körperkultur in der Sowjetunion kontinuierlich unter dem Motto ,Sport als Aufgabe und Mittel der politischen Macht' zunächst zur Veränderung und inzwischen zur Be-

,, Von sowjetischer Seite ist mit schonungsloser Deutlichkeit die Verpolitisierung des sportlichen Festes dargelegt worden"

wahrung beziehungsweise Stabilisierung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse. In der Sowjetunion war und ist die Abhängigkeit des Sports von der Politik qualitativ wie quantitativ von anderer Art als in den entwickelten westlichen Industrie-Gesellschaften," schreibt dazu einer der besten Kenner des sowjetischen Sports, Karl-Heinz Ruffmann.

Schon eine Parteiresolution vom 13. Juli 1925 weist dem Sport eine funktionale Rolle bei der Errichtung der kommunistischen Gesellschaft zu: „Sport hat ein untrennbarer Bestandteil der politischen und kulturellen Gesamterziehung zu sein."

Eine Partei-Resolution vom Jahresanfang 1949 machte es dem Sowjetsport zur Aufgabe, „die Weltsuprematie in den wichtigsten Sportarten in den nächsten Jahren zu erringen." Zweck dieses Auftrags war, wie der Sowjetsportphilosoph Kukuschin in einem umfassenden Werk 1975 dargelegt hat, folgendes: „Seine natürliche Anziehungskraft auf sehr große Teile der Bevölkerung .. .machen den Sport zu einem geeigneten Kanal zur Verbreitung einer bestimmten Ideologie."

Genau aus diesem Grund hat sich die Sowjetunion auch vehement gegen Pläne gewehrt, daß größte Sportfest, die Olympiade, zu „kosmopolitisie-ren". Ein Vorstoß vom damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage wurde 1971 von der Zeitung „Sowjetsport" folgendermaßen kommentiert:

„Wir können nur hoffen, daß gewisse Leute scheitern werden mit ihren

Versuchen einer Revision des olympischen Rituals, das den Athleten verpflichtet, für seines Landes Ruhm nach Sieg zu streben."

Vor der Olympiade in Moskau, als man vom IOC her in Genf versuchte, Nationalhymnen und Flaggen bei den Spielen abzuschaffen um damit boykottwilligen Ländern doch die Teilnahme zu ermöglichen, argumentierten die sowjetischen Sportfunktionäre genau so: Eine „Entnationalisierung" des Sports, nach Moskauer Auffassung gleichzeitig auch eine Verleugnung des „überlegenen gesellschaftlichen Systems", das Superathleten hervorbringt, könne Moskau nicht gelegen sein.

Denn seit 1964 ist es, laut Partei- und Regierungsbeschluß, amtlich: „Körperkultur und Sport sind ein fester Bestandteil des sowjetischen Volkes, sie sind Mittel zu kommunistischer Erziehung, zur Festigung der Gesundheit, zur Vorbereitung auf eine hochproduktive Arbeitsleistung, zur Verteidigung der Heimat... Diese Erziehung erfolgt im Geiste der kommunistischen Ideologie, des sowjetischen Patriotismus und hoher moralischer Prinzipien, die im Kodex der Erbauer des Kommunismus verankert sind."

Eindeutiger geht's wohl nicht mehr.

Übrigens: Viele sind zu den Spielen nach Moskau gefahren (und auch heimgekehrt) in der festen Überzeugung, daß Sport und Politik nichts miteinander zu tun haben ...

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