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Kohls Machtwort

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Mit der Ablöse Heiner Geißlers als CDU-Generalsekretär liegt das Schicksal der Partei allein in Helmut Kohls Händen. Die Machtfrage ist gelöst, jetzt fehlen „nur“ Wahlerfolge.

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Mit der Ablöse Heiner Geißlers als CDU-Generalsekretär liegt das Schicksal der Partei allein in Helmut Kohls Händen. Die Machtfrage ist gelöst, jetzt fehlen „nur“ Wahlerfolge.

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Vor dem Konrad-Adenauer Haus, der Parteizentrale der CDU, standen am Montagmorgen, 28. August, einige Dutzend jugendliche Demonstranten und empfingen die eintreffenden Mitglieder des Parteipräsidiums mit Sprechchören und Plakaten. „Helmut Kohl ist von allen guten Geißlern verlassen“, lautete einer der Sprüche, womit der entscheidende Tagesordnungspunkt der Präsidiumssitzung hinlänglich beschrieben war.

Helmut Kohl hat Heiner Geißler, den von der Partei geliebten, in manchen Kreisen auch gehaßten Generalsekretär, nicht mehr für das Amt vorgeschlagen. Statt seiner soll künftig der Hamburger Bundestagsabgeordnete und außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Rühe, den Posten des obersten Parteimanagers übernehmen.

Kohls Entscheidung gegen Geißler hatte in der CDU - drei Wochen vor ihrem Parteitag in Bremen -Stürme der Entrüstung hervorgerufen. Aber jetzt sieht es so aus, als habe sich wieder einmal bewahrheitet, was man dem Parteivorsitzenden oft attestierte: Wenn es um die Machtfrage geht, reicht so leicht keiner an Helmut Kohls rücksichtslos-kühle Cleverness heran.

Wer damit gerechnet hatte, auf der Präsidiumssitzung würde sich ein Gegenkandidat um den Parteivorsitz melden, wurde enttäuscht. Kohl hat damit auch zu keinem Zeitpunkt gerechnet. Er kennt seine Pappenheimer.

Die Parteitruppen, die ein Rebell hinter sich scharen könnte, mußten erst einmal nüchtern gezählt werden. Kohl hat das vorausgesehen. Wenn es wirklich ernst wird, ziehen sich seine Widersacher nach wie vor in ihre Schützengräben zurück.

Allerdings steht die Mischkalkulation des CDU-Vorsitzenden auch nicht unbedingt auf ehernen Füßen. Auf dem Parteitag will er wiedergewählt werden. Ob er beim erbosten Parteivolk dafür die nötige Mehrheit zusammenbekommt, ist noch nicht sicher. Einen zweiten Wahlgang halten manche sogar für wahrscheinlich.

Doch Kohl ist entschlossen, auch diese Blamage durchzustehen. Daß sein neuer „General“ Volker Rühe durchfallen könnte, wird nahezu ausgeschlossen. Er gilt in der CDU als agiler, aufstrebender Politiker. Allerdings, in der eigentlichen Parteiarbeit hat der 46jährige sich bislang noch nicht hervorgetan.

Auch deshalb wird in den Reihen der CDU nach wie vor die Frage heftig diskutiert, ob es nicht doch eine politische Richtungsentscheidung Kohls war, Geißler durch Rühe zu ersetzen. Wer den alten „General“ und seinen designierten Nachfolger kennt, wird nicht ohne weiteres politische Richtungsunterschiede zwischen ihnen ausmachen können. Beide gehören zu dem Teil der Partei, in dem f ortschritthches, weltoffenes - die strammen Konservativen würden sagen „modernistisches“ — Denken vorherrscht. In ein Rechts-Links-Schema läßt sich diese Personalentscheidung also nicht einpassen. Dennoch werden sich wichtige Akzentverschiebungen ergeben. Das erschließt sich, wenn man Kohls Motive genauer durchleuchtet.

In den zwölf Jahren, in denen Heiner Geißler Generalsekretär der CDU war, hat sich erst mit der Übernahme der Regierung im Jahre 1982 eine Lage ergeben, in der es über kurz oder lang zum Dissens mit dem Parteichef und Bundeskanzler kommen mußte. Geißler wollte stets die CDU in größtmöglicher Unabhängigkeit von der Regierung wissen. Unterstützung ja, aber nicht blinde Akklamation. Vor allem verordnete der Generalsekretär der Partei ständige Grundsatzdiskussionen, damit sie den Weitblick vor lauter grauem Regierungsalltag nicht verliere. Kohl hat das einerseits goutiert, weil Geißler ihm in der Partei den Rücken freihielt.

Andererseits sah er mit wachsendem Unbehagen, daß Geißler immer mehr zum eigentlichen Parteivorsitzenden wurde.Der Vorwurf gegen Geißler aus den konservativen Reihen der CDU, er habe die Partei nach links rücken wollen, bezeichnet den Kern des Problems.

Geißler wollte in der Tat die CDU zur linken Mitte hin attraktiver machen, um bei schwindendem Wählerzuspruch auf der rechten Seite des Spektrums neue Wähler hinzugewinnen zu können. Daß rechts Wähler verlorengingen, war aber keine Reaktion auf Geißlers Parteistrategie, sondern auf die Politik der Bundesregierung.

Geißler avancierte in den Augen rechtskonservativer CDU-Anhänger (und auch in den Augen der Schwesterpartei CSU) zum Bösewicht schlechthin, weshalb man ihm kurzerhand alle Wahlniederlagen der letzten zwei Jahre ankreidete. Kohls Dilemma war, daß er als Parteivorsitzender die strategischen Schachzüge seines Generals immer abgedeckt hatte. Das hätte er wohl auch weiter getan, wenn nicht die Republikaner alle Rechnungen durch ihr erfolgreiches Auftreten über den Haufen geworfen hätten. Rund die Hälfte ihrer Wähler, das behaupten die Wahlforscher, habe früher CDU gewählt. Daß sie es nicht mehr täten, so die konservative Riege in der CDU, sei Geißlers Schuld.

Dies alleine hätte Kohl nicht dazu bringen können, Geißler abzulösen. Entscheidend war, daß er kein Vertrauen mehr zu ihm hatte. Nicht nur, daß da ein Neben-Parteivorsit-zender existierte. Es wurde ihm auch hintertragen, Geißler habe in der schweren Unionskrise im Frühjahr dieses Jahres zusammen mit Lothar Späth und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht Kohls Ablösung als Bundeskanzler betrieben. Was immer daran wahr und was falsch ist, Kenner wissen, daß ein Sturz Kohls in der Tat nur von Geißler hätte inszeniert werden können.

Seine Ära in der CDU ist freilich mit dem Abschied vom Posten des Generalsekretärs noch nicht zu Ende. Im Gegenteil, in ihm sehen die Bonner Auguren bereits den mächtigen Konkurrenten zu Kohl, den es so bisher nicht gab. Denn nun hat Kohl zumindest bis zur Bundestagswahl im Dezember 1990 die Alleinverantwortung für Wohl und Wehe der Partei.

Volker Rühe kann noch nicht in die Pflicht genommen werden, weil er der CDU noch keinen Stempel aufzudrücken vermag. Aber dafür muß Helmut Kohl das halbe Dutzend Kommunal- und Landtagswahlen bis Ende nächsten Jahres auf seine Kappe nehmen.

Spätestens das Abschneiden der CDU bei der Bundestagswahl wird dann auch Kohls S chicksal entscheiden. Erreicht die Bonner Koalition dann keine Mehrheit, ist Kohl politisch am Ende. Dann könnte die Stunde des Heiner Geißler schlagen.

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