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Kojaks Fall in Budapest

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In Budapest wurde wiedereinmal die Jahresernte der heimischen Filmproduktion vorgestellt. Es war keine große Ernte diesmal. Und doch gab sie vielfach zu denken.

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In Budapest wurde wiedereinmal die Jahresernte der heimischen Filmproduktion vorgestellt. Es war keine große Ernte diesmal. Und doch gab sie vielfach zu denken.

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Wie ernst und unbefangeii' die Probleme des Alltags angefaßt werden, wie das Unglück des einzelnen aus der Wohnungsmisere wächst, die die Kinder der geschiedenen Paare, deren Partner durchwegs in Zweitehen leben, hin- und hertransportiert werden, wie die Jugend in der Schule randaliert. All das kommt ernst, sehr ernst zur Sprache, bildet oft nur noch den alltäglichen Rahmen zu dem, was der Film eigentlich sagen will.

Aber es gelingt, in der alten Budape- ster Boulevard-Tradition, auch immer wieder, die Alltags-Tücken witzig darzustellen. Wenn etwa der große amerikanische Detektiv Kojak in Budapest einen Mordfall aufzuklären unternimmt und zu dem Ergebnis kommt, daß der Tote keineswegs einem Mörder zum Opfer Fiel, sondern der ganzen Kette von Unzulänglichkeit, Gleichgültigkeit, Schlamperei, die den Alltag des realen Sozialismus kennzeichnet.

Man lebt nicht nur mit den Gegenwarts-Problemen, sondern auch mit den Schatten der Vergangenheit. Imre Gyöngyössy und Barna Kabay zeigen in „Bruchstücke des Lebens“ eine alternde Frau, die sich seinerzeit von ihrem Mann trennte, weil er politisch belastet war. Er ist längst rehabilitiert, hat eine angesehene Stellung, aber die Ehe ist nicht mehr zu heilen, der Verrat der Frau nicht wieder gutzumachen.

Auch der sicher beste Film der diesjährigen Übersicht behandelt die Rä- kosi-Zeit in ihren letzten Zuckungen, kurz vor dem Aufstand von 1956. Der Fall spielt irgendwo in der Provinz, entzündet sich an einem Fußballspiel von lokaler Bedeutung.

Nur ist die eine Partei die Polizeimannschaft, Vereinsvorsitzender ein örtlicher Polizei-Machthaber, der diesmal versäumt hat, die gegnerische, überlegene Mannschaft durch Geldgeschenke milde zu stimmen. Als das Spiel verlorengeht, ist natürlich der Schiedsrichter schuld.

Aber der Polizeioffizier nimmt persönliche Rache, mißhandelt den Unparteiischen so, daß er bald darauf stirbt. Ein Journalist, der den Fall wahrheitsgemäß darstellen will, wird mitsamt seiner Familie unter härtesten Druck gesetzt. Erst das Eingreifen eines höheren Polizeioffiziers befreit den Journalisten aus dem Gefängnis.

Trockenes Nacherzählen der Handlung kann leider wenig von der athenischen Atmosphäre des Films vermitteln, von den vielen Details, auf die das Publikum spontan und wissend reagiert, von der geradezu tollkühnen Mischung heiterer und tödlich ernster Episoden. Eine Randbegebenheit aus der tiefsten Provinz wird zum Exempel, an dem man den Mechanismus eines bösen Systems demonstrieren kann.

Hier werden nicht mehr nur die Betroffenen angesprochen. Dies sollen auch die Jüngeren wissen.

Ferenc Kösa, der vor drei Jahren Aufsehen erregte mit seinem „Porträt eines Champions“, mit der Dokumentation über einen Fünfkämpfer und vielfachen Olympiasieger, der unbe- dankt abgeschoben wird, hat eine neue Mutprobe geliefert. Wer ein Gefühl hat für historische Entwicklungen, wird dieses Stadium des Übergangs von erlebter Gegenwart zur lebendigen Geschichte mit Herzklopfen beobachten.

Zufällig war während dieser Filmwoche interne Gelegenheit, den noch nicht ganz fertigen „Mephisto“-Film zu sehen, den Istvän Szabö nach dem neuerdings wieder vieldiskutierten Roman von Klaus Mann gedreht hat. Für den 42jährigen Ungarn sind Namen wie Gründgens oder Harlan nicht viel mehr als Namen. Dafür ist ihm das Problem umso geläufiger: der Künstler, der sich mit der totalitären Macht arrangiert, die ihm Raum gibt zur persönlichen künstlerischen Entwicklung.

Auch Szabo wollte wie Ferenc Kösa - die paradigmatische Gültigkeit des Falles aus der möglichst genauen Rekonstruktion der Zeitumstände ent- wicklen: Hamburg, Berlin, Paris um 1933. Aber Hendryk Höfgen ist niemand anderer als Hendryk Höfgen.

Szabö hat ihn aus dem erotsichen Zwielicht geholt, hat die Figur so normal wie möglich gezeichnet, damit sich umso mehr Menschen mit ihm identifizieren können, damit nicht der bequeme Ausweg bleibt, mit einem solchen Nazi-Mitläufer und seinen perversen Neigungen habe man nichts gemein.

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