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Kokain im Vormarsch

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Neben der Arbeitslosigkeit (im Jänner offiziell bei 16,4 Pro- zent) und der Wohnungsnot ist die schillernd-schreckliche Welt der Drogen für Bevölkerung und Me- dien ein Dauerthema. Jeder Bewoh- ner einer spanischen Großstadt hat die kriminellen Folgen der Sucht zumindest in seinem Bekannten- kreis erfahren: Überfälle mit Faust- hieb oder Messer auf Passanten und Geschäftsleute sind auf der Tages- ordnung. Nach der jüngsten Stu- die der Madrider Stadtverwaltung kennen 40 Prozent der Madrilenen jemanden, der illegale Drogen nimmt.

Die Geschichte eines Süchtigen beginnt meist mit Alkohol im zar- ten Alter von 14 Jahren, dann folgt Haschisch. Mit dem Tabak sind die späteren Drogenabhängigen meist schon zwei Jahre vor dem Alkohol vertraut geworden. Die Endstation ist Heroin mit 16 bis 18 Jahren. Als Überbrückung bis zum nächsten „Schuß" greift der „ Junkie" manch- mal zu Pharmazeutika.

Maria Nieves Herrero, Direkto- rin eines Madrider Zentrums zur Betreuung von Drogensüchtigen, bestätigt einen Wandel der Kon- sumgewohnheiten. Wegen der Aids- Infektionsgefahr beim intravenö- sen Weg wird Heroin von der jün- geren Generation vor allem ge- raucht. Außerdem ist die Zahl der Fälle von Kokain-Konsum stark steigend, was den Trend weg von der Spritze ebenfalls illustriert. Noch 1987 sei ein Kokain-Süchti- ger in ihrem Zentrum etwas Außer- gewöhnliches gewesen, erläutert Maria Nieves Herrero.

Spanien dürfte nicht nur für die Kokain-Kartelle eine der Eingangs- pforten in den europäischen Markt sein. Dementsprechend massiv sind auch die Drogen-Probleme auf der iberischen Halbinsel. Die Maßnah- men der Behörden sind allerdings vergleichsweise ungenügend. So wurde beispielsweise die technische Unterlegenheit der spanische Zoll- fahndung in Galicien, einem der neuralgischen Punkte des Drogen- schmuggels im Nordwesten des Landes, kürzlich offen diskutiert: Mit „vier Meter kurzen 200-PS- Booten gelingt es dem Zoll kaum, die großen Schiffe der Schmuggler (mit jeweils vier oder fünf 300-PS- Motoren ausgestattet) im stürmi- schen Atlantik zu stellen.

Die Süchtigen selbst figurieren oft nur als Zahlen in Statistiken. Diese müssen entweder zum Nach- weis der guten Kontrolle durch die öffentliche Verwaltung herhalten oder sie dienen als Beleg für die Notwendigkeit von zusätzlichen drastischen Maßnahmen.

Eines jedenfalls ist sicher: Die Zahl der Drogentoten ist alarmie- rend gestiegen: 1987 waren es in Spanienl66,1988 jedoch schon249 Personen. Im abgelaufenen Jahr hat sich diese Zahl sogar verdoppelt. In der Hauptstadt Madrid fand im heurigen Jänner schon jeden zwei- ten Tag ein Drogensüchtiger den Tod, während es 1989 noch insge- samt 126 Fälle waren.

Polemiken gibt es um die Anzahl der Drogensüchtigen: Die Tages- presse schätzt die Zahl der Heroin- süchtigen allein für Madrid auf 100.000. Eine offizielle Studie hin- gegen kommt nur auf eine Zahl von ein paar tausend! Maria Herrero wiederum schätzt die Zahl auf Anfrage auf rund 8.000. Auf die Frage, warum unter den Drogento- ten nur etwa 15 Prozent Frauen und Mädchen sind, verweist die Leiterin des Drogenzentrums auf den typischen Einstieg in die Dro- genwelt. Bei den 14- bis 16jährigen Burschen sei es vor allem die Grup- pe, die zum Drogenkonsum verlei- te. Bei den Mädchen gäbe es jedoch keine entsprechende Cliquen-Bil- dung. Damit entfalle auch der Gruppendruck. Allerdings scheine sich dieser Unterschied zunehmend zu verwischen, stellt Herrero fest.

Die Lösung des Drogenproblems solle vor allem von der Zentralre- gierung ausgehen, meint die Mehr- heit der Madrilenen. Auf dieser Ebene ist derzeit allerdings kein Durchbruch zu erwarten. Erwäh- nenswert ist da nur eine Entschei- dung in Sache Methadon, die weni- ge Tage vor den letzten Parlaments- wahlen gefallen ist: Diese Ersatz- droge soll in Zukunft gratis an aidskranke Heroinsüchtige, aller- dings ohne Verpflichtung, sich ei- ner Entziehung zu unterziehen, abgegeben werden.

Auf Madrider Kommunalebene versuchte man bisher, mit sechs Zentren, die zur Betreuung und Resozialisierung von Drogenabhän- gigen in den einzelnen Stadtvier- teln eingerichtet worden sind, zur Lösung des Problems beizutragen. Ein Team aus einem Arzt, einer Krankenschwester, vier Psycholo- gen und vier weiteren Mitarbeitern versucht, den Betroffenen die so- ziale und berufliche Wiedereinglie- derung zu erleichtern. Vor diesen Integrationsbemühungen sind zehn- bis 15tägige Entgiftungsku- ren erforderlich, bei denen auch die Angehörigen eingeschaltet werden. Sie sollen den Entzug kontrollie- ren und durch gezielte Gabe von schwachen (Schlaf-) Pulvern er- leichtern.

Nach dieser ersten ambulanten Phase des Programms nimmt der bis dahin erfolgreiche Patient an Gruppen- und Einzeltherapien teil. Jeden Vormittag werden handwerk- liche Schulungen, Spiele und Sport angeboten. Dabei übernehmen die Teilnehmer für kleinere Aufgabe eigene Verantwortung. Die ärztli- che Kontrolle ergänzt die Betreu- ung. Nur 60 Prozent der ehemali- gen Drogensüchtigen machen das Programm die vorgesehenen sechs Monate hindurch mit. Die Zahl der Abbrecher ist also hoch.

Bereits zwischen 700 und 1.000 Süchtige stehen auf der Warteliste dieses kostenlosen Madrider Pro- gramms. Ungefähr gleich viele Personen werden betreut.

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