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Kommt der Staat vor den Familien ?

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An der Frage, die Familienlasten durch Kinderfreibeträge oder Kinderabsetz-beträge zu berücksichtigen, scheiden sich die Geister - auch in der Oppositionspartei.

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An der Frage, die Familienlasten durch Kinderfreibeträge oder Kinderabsetz-beträge zu berücksichtigen, scheiden sich die Geister - auch in der Oppositionspartei.

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Das Steuerreformpapier, das die ÖVP kürzlich der Öffentlichkeit vorgelegt hat, enthält zahlreiche interessante und eindrucksvolle Vorschläge. Manche Anregungen bedürfen einer näheren Erläuterung und einer vertieften Diskussion.

In einem Ansatz aber ist es gänzlich verfehlt: in den Vorschlägen zur Besteuerung der Familie.

Dazu ist die Wiedereinführung des Absetzbetrages für jedes Kind in der Höhe von 1.200,— bis maximal 6.000 Schilling (also für maximal 5 Kinder!) vorgesehen. Das würde bedeuten, daß im Falle einer zukünftigen Verwirklichung dieses Konzeptes sich die Lohn- und Einkommensteuer, die nach dem Tarif errechnet wird, um einen solchen fixen Betrag ermäßigt.

Damit hat die sogenannte „große Oppositionspartei" auf das Konzept zurückgegriffen, mit welchem die sozialistische Alleinregierung im Jahre 1973 zielstrebig begonnen hatte, die grundsätzliche Konzeption, die die ÖVP schrittweise aufgebaut hatte, ebenso konsequent durch eine sozialistische zu ersetzen.

Hier macht sich einmal mehr die chronische Vernachlässigung der Diskussion grundsätzlicher ordnungspolitischer Vorstellungen in der ÖVP bemerkbar. In der steuerrechtlichen Frage nämlich, ob die Famüienlasten durch Kinderfreibeträge oder Kinderab-setzbeträge zu berücksichtigen sind, scheiden sich die Geister.

Schon der Grundsatz der Einkommenbesteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verlangt, daß der Steuerzahler nur soweit zur Bestreitung der Staatsausgaben herangezogen werden darf, als er wirtschaftlich dazu in der Lage ist. Das heißt, daß der Steuerzahler mit steigendem Einkommen unverhältnismäßig mehr Steuern zahlt.

Da die Sorge für die eigene materielle Existenz vor der Sorge für die materielle Existenz des Staates Vorrang hat, gewährt der Steuertarif dem Steuerzahler ein steuerfreies Existenzminimum, nach dessen Überschreitung er erst zur Finanzierung der Staatslasten herangezogen wird.

Es ist dabei nicht zu verhindern, daß derjenige, der eine höhere Steuer zu zahlen hat, von diesem Existenzminimum mehr profitiert als jemand, der weniger an Steuern zu entrichten hat. Das liegt im Wesen der Progression wie auch im Wesen der Anerkennung eines gleichen Existenzminimums für alle Staatsbürger.

Warum aber soll dem Kind ein solches Existenzminimum vorenthalten werden? Setzt nicht auch die Leistung eines Existenzminimums für das Kind die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerzahlers herab, nach deren Befriedigung erst ein Beitrag zu den Budgets der öffentlichen Hand erwartet werden kann?

Die Verweigerung eines steuerwirksamen Existenzminimums bedeutet, daß zuerst die Pflicht zur Steuerleistung besteht, dann aber erst (je nach dem Wohlwollen des Staates) der Staat eine Beihilfe oder einen fixen Steuerrabatt gewährt. Die Staatsfinanzierung rangiert vor dem Unterhalt der Familie.

Das Existenzminimum würde als Steuerfreibetrag gewährt, d. h. es wird vor Anwendung des Steu-ertarifes vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen. Niemand kommt auf die skurrile Idee, dem Steuerzahler das Existenzminimum als fixen Steuerabsetzbetrag von der vorher ermittelten Einkommensteuer großzügig abzuziehen.

Mit Recht wird anerkannt, daß die Sicherung des Existenzminimums aus einem bestimmten Einkommen Vorrang hat, bevor die Steuerbemessung stattfindet. Warum soll dies gerade im Falle der Unterhaltspflicht für die Kinder des Steuerzahlers anders sein?

Es ist erstaunlich, wie stark die irreführende Behauptung in kritiklosen Ohren immer wieder wirkt, mit den in absoluten Beträgen gleichen Kinderabsetzbeträ-gen wären dem Staat „alle Kinder gleich wert".

Sind dem Staat nicht auch alle Steuerzahler „gleich wert", wenn er das gleiche Existenzminimum als Freibetrag und damit progressionsmildernd gewährt?

Muß man nicht, wenn man die Wirkung der Steuerprogression mit steigendem steuerpflichtigen Einkommen nach oben akzeptiert, es konsequenterweise auch akzeptieren, wenn die Wirkung der Steuerprogression mit fallendem steuerpflichtigen Einkommen (z. B. durch Wirksamwerden von Freibeträgen) nach unten, d. h. durch progressiv stärkere Entlastung wirksam wird?

Bei anderen Freibeträgen stört dies paradoxerweise den Gesetzgeber keineswegs: Für energiesparende Investitionen werden jährlich bis zu 10.000 Schilling, und das (normale)' KFZ-Pauschale wird bis zu 6.864 Schilling im Jahr als Freibetrag gewährt, obwohl Besser verdienende damit eine höhere Steuerersparnis erzielen als die Bezieher geringerer Bruttoeinkommen.

Aber selbst wenn die für die Familie provokanten Inkonsequenzen beseitigt würden, bliebe nach wie vor die Tatsache, daß von einer gleichen Behandlung aller Kinder durch die Gewährung von fixen Absetzbeträgen in Wahrheit keine Rede sein kann: Alle diejenigen, die weniger Steuern zu zahlen haben als der Absetzbetrag ausmacht, können einen solchen nicht nützen.

Die Gleichheit, die hier verlangt werden muß, ist erstens die Gleichheit der Höhe des Existenzminimums für alle Kinder ohne Rücksicht auf das Einkommen des Familienerhalters. Das ist durchaus nicht selbstverständlich, ist doch der Familienerhalter nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) zu seinen Lebensverhältnissen angemessenen Unterhalt seiner Kinder verpflichtet.

Die zweite Gleichheit, die verlangt werden muß, ist, daß nicht nur den erwachsenen Steuerpflichtigen, sondern auch den Kindern ein Existenzminimum (wenn, auch sicherlich nicht in gleicher Höhe) zuerkannt werden muß.

Die heutige bundesdeutsche Koalition unter der Federführung von CDU/CSU ist in dieser Frage viel konsequenter: Sie hat die Rückkehr zur erprobten Kombination von Kinderfreibeträgen und Kindergeld ab 1986 angekündigt. Die Fehlentscheidung des Jahres 1974 durch den damaligen Gesetzgeber, die Freibeträge zu streichen, wird damit korrigiert werden.

Möge die große Koalitionspartei in Österreich ihren Weg bis zu ihren Regierungschancen zu einem Lernprozeß in dieser Richtung nützen.

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