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Kommunales Kräftespiel

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Durch die Gemeinderatswahlen am 14. April könnte Bewegung ins kommunalpoütische „Ökosystem” Niederösterreichs kommen. ÖVP und SPÖ glauben zwar nicht an große Veränderungen. Aber es gibt zwei „Unbekannte”: „grüne” Bürgerlisten und Zweit-wohnsitzer. Die Premiere der Briefwahl in Wiener Neustadt macht den 14. April überdies für ganz Österreich interessant.

Uber eine Million Wahlberechtigte werden in 559 Gemeinden zu den Urnen gebeten (die Statutar-städte St. Pölten, Krems, Waidhofen a. d. Ybbs haben einen eigenen Wahltermin). Derzeit regieren in 394 Gemeinden ÖVP-Bürgermei-ster, in 155 Kommunen SP-Bür-germeister, und zehn Gemeindeoberhäupter stützen sich auf Sonderlisten.

Die Verteilung der Gemeindemandate: 6.618 ÖVP, 4.379 SPÖ, 204 Namens- oder Sonderlisten, 87 FPÖ, 41 KPÖ.

Am 14. April sind um acht Gemeindemandate mehr zu vergeben. Die Volkszählung 1981 bedingt auch eine Mandatsverschiebung innerhalb der vier Landesviertel.

Konkret: das bevölkerungsarme Waldviertel (derzeit 1.511 VP, 813 SP, 28 FP, 5 KP, 61 Listen) muß 16 Mandate abgeben. Das abwanderungsbedrohte Weinviertel (derzeit 1.494 VP, 617 SP, 24 FP, 35 Listen) gar 36. Dafür erhält das Mostviertel (ober dem Wienerwald) 18 neue Mandate (derzeit: 2.050 VP, 1.201 SP, 20 FP, 10 KP, 47 Listen). Das Industrieviertel (unter dem Wienerwald) wird um 42 Mandate aufgestockt (derzeit: 1.748 SP, 1.563 VP, 15 FP, 26 KP, 61 Listen).

Gerade im Industrieviertel (Gemeinden rund um Wien) leben die meisten der rund 160.000 Zweit-wohnsitzer. In einigen Wienerwaldgemeinden gibt es schon mehr Wochenendhaus-Besitzer als „Ureinwohner”. Die Mobilisierung möglichst vieler Zweit-wohnsitzer könnte unter Umständen die politischen Verhältnisse „umdrehen”. Nach dem Gesetz über die Landesbürgerschaft ist nämlich schon wahlberechtigt, wer „immer wiederkehrend”, wenn auch nur tage- oder wochenweise in der Gemeinde lebt.

Die meisten „grünen Bürgerlisten” - insgesamt wollen -schon über 30 kandidieren — gibt es auch im Industrieviertel. Die eher bürgerlichen „Vereinten Grünen” (VGÖ) und die linksstehende .Alternative Liste Niederösterreich” (ALN) erstellen sie meist gemeinsam. Man hofft, daß man noch auf der Sympathiewelle für die Be-setzer der Stopfenreuther Au mitschwimmen kann. Und man rechnet mit Zuzug Unzufriedener aus allen Lagern.

ÖVP und SPÖ geben sich gelassen. Bei den Gemeinderatswahlen

1980 habe es 75 Listen gegeben, meint VP-Landesparteisekretär Gustav Vetter. „Gibt es eben jetzt über 100”, stellt er lapidar fest.

Übrigens: von den 75 Listen im Jahr 1980 standen 46 der ÖVP nahe.

Trotzdem gibt es neuralgische Punkte, wo „grüne Bürgerlisten” Erfolg haben könnten. Die Hainburger Bürgerliste hat bereits über 50 Kandidaten aus allen sozialen Schichten. Man rebelliert dort gegen ein angeblich „selbstherrliches” VP-Regime. In der Industriegemeinde Neunkirchen steht eine „grün-alternative Liste” gegen die SP-Rathausmehr-heit auf.

VGÖ-Landeschef Werner Moidl kandidiert in Pitten. Ein interessantes Kräftemessen, weil die in Pitten ansässige Firma Hamburger gemeinsam mit dem Land das Projekt „Grüne Tonne” zur getrennten Sammlung von Giftmüll durchführt.

In Baden gab es einen ALN-Ge-meinderat, den ehemaligen ALN-Chef Fritz Zaun. Ob ihn seine Nachfolgerin beerben wird, ist unsicher. Zaun brachte in seiner Amtszeit kaum konstruktive Vorschläge ein. Außerdem war seine Amtsführung im eigenen Lager umstritten (Vorwurf der Veruntreuung, Mitarbeit bei der von Libyen mitfinanzierten links-grü-nen Zeitschrift MOZ).

Mit Interesse kann man dem Wahlausgang in Wiener Neustadt entgegensehen. Die VP-Mehrheit im Land hat die Briefwahl für Statutarstädte beschlossen. In Wiener Neustadt kommt dieser Beschluß erstmals zum Tragen.

Die Machtverteilung in der .Allzeit Getreuen”: 28 SP, 9 VP, zwei Mandate einer VP-Splitter-liste, ein KP-Mandat. Die VP hofft durch die Briefwahl auf Stimmen- und Mandatsgewinne. Gelingt das, wird die SP die Wahl anfechten. Dann muß das Oberstgericht entscheiden, ob die Briefwahl mit der Verfassung in Einklang steht oder nicht. Entscheidet es für die Briefwahl, kann die Volkspartei im Nationalrat wieder einen Anlauf für die Einführung in ganz Österreich starten.

Aus dieser Sicht sind die Gemeinderatswahlen im größten Bundesland Österreichs von allgemeinem Interesse. Aber auch unerwartet hohe Gewinne „grüner” Listen könnten als Signal für die etablierten Politiker — nicht nur auf Gemeindeebene — verstanden werden.

Leicht werden es die „Grünen” in Niederösterreich nicht haben. Denn ÖVP und SPÖ haben gemeinsam eines der modernsten Naturschutzgesetze beschlossen. Es sieht auch die Parteienstellung von Gemeinden bei Groß-Kraft-werksbauten vor. Es gibt in Niederösterreich ein modernes Umweltschutzgesetz, eine Umweltschutz-Anstalt, eine „Grüne Akademie”, und vor allem die ÖVP hat in etlichen Bezirken des Landes Modell-Versuche für eine effiziente Giftmüll-Sammlung und die Wiederverwertung von Rohstoffen gestartet. Die gerade in Niederösterreich stark forcierte Dorferneuerungskampagne aber bietet der ländlichen Bevölkerung neues Heimatbewußtsein und vor allem neues Selbstbewußtsein.

Freilich. Ein selbstherrlicher „Gemeindekaiser” kann dieses ehrliche Bemühen der Landespolitiker für den Gemeindebürger zur hohlen Polit-Phrase werden lassen.

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