Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Kompetenzverlust für die Kirchen
In den Industrieländern ist eine deutliche Tendenz zur „Privatisierung der Religion" festzustellen: Soweit eine zentrale Aussage der „European Values Study".
In den Industrieländern ist eine deutliche Tendenz zur „Privatisierung der Religion" festzustellen: Soweit eine zentrale Aussage der „European Values Study".
Diese Arbeit ist ein internationales Forschungsprojekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, gesellschaftliche und religiöse Werte, Einstellungen und Haltungen in verschiedenen Ländern zu erheben und zu vergleichen. 1981 wurden erstmals in 29 Ländern Daten erhoben. 1990 gab es eine neuerliche Erhebung. Zwar liegen ihre endgültigen Ergebnisse noch nicht vor, wohl aber ein vorläufiger Überblick über einige wichtige Fragen.
Den Kirchen wird vielfach die Kompetenz abgesprochen, zu wichtigen Fragen Aussagen zu machen: Nur jeder vierte Belgier, Deutsche oder Franzose findet, die Kirchen sollten sich zur Frage der Homosexualität
äußern, nur jeder dritte Holländer, Belgier, Deutsche oder Franzose meint, sie seien in Sachen außereheliche Beziehungen kompetent.
Selbst in der Abtreibungsfrage wird die Zuständigkeit der Kirchen in vielen Ländern von weniger als der Hälfte der Bevölkerung anerkannt. Wirkliche Kompetenz räumen der Kirche in diesen Fragen eigentlich nur die Iren ein. Auch in den USA liegen die Werte vergleichsweise hoch (zwischen 57 und 70 Prozent).
Diese Einstellung korreliert mit der Distanz zur Kirche selbst. In den skandinavischen Ländern ist der wöchentliche Gottesdienstbesuch wirklich zum Minderheitenprogramm geworden: zwischen zwei und fünf Prozent in Dänemark, Schweden und Norwegen. Eine relativ starke Bindung (33 bis 43 Prozent) weisen die Südeuropäer und die Nordamerikaner auf. Auch beim Kirchenbesuch fällt die Sonderstellung Irlands auf: Zwei von drei Iren besuchen mindestens einmal wöchentlich den Gottesdienst.
Die Distanzierung zur Kirche wird jedoch überwiegend nicht als mangelnde Religiosität gedeutet. Der zeitgenössische Mensch begreift sich als religiös. Es ist aber eine neue, für das eigene Leben nicht entscheidend wichtige Form der Religiosität, spielt sie doch in allen Ländern (mit Ausnahme von Irland) im Leben weniger Rolle als die Freizeitgestaltung (und rangiert deutlich hinter Arbeit, Familie und Freundschaft als wichtigsten Lebensbereichen).
Auferstehung, Reinkarnation?
Mit Ausnahme von Schweden (38 Prozent) glauben in allen Ländern mehr als 50 Prozent der Bevölkerung an die Existenz Gottes. In Südeuropa und in Nordamerika, sowie Irland liegen die Werte sogar über 80 Prozent. Nur in Irland und Nordamerika aber entspricht dies annähernd dem von Christus geoffenbarten Gott. Nur in diesen Ländern ist nämlich der Glaube an die Auferstehung bei mehr als 50 Prozent der Befragten anzutreffen.
Daß jedoch auch diesbezüglich die Vorstellungen eher unscharf sein dürften, legt die Beobachtung nahe, daß - nimmt man die Daten aller Länder zusammen - 40 Prozent jener, die an die Auferstehung glauben, sich durchaus auch mit der Vorstellung der Reinkarnation identifizieren.
Vorbei sind die Zeiten eines kämpferischen Atheismus, Religion verträgt sich mit dem Selbstverständnis des Menschen in den Industrieländern. Es ist aber eine vom Individuum selbst bestimmte, von der Lehre der Kirchen immer stärker losgelöste Form. In ihr existiert Gott zwar, aber nicht als persönliche, höchste Referenz, sondern eher als religiöser Überbau über eine Lebenshaltung, die Transzendenz nicht mehr ablehnt, sondern selbst bevölkert.
Von dieser Entwicklung sind alle Kirchen betroffen, die katholische keineswegs am stärksten. Denn am weitesten fortgeschritten ist die Säkularisierung im protestantischen Skandinavien.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!