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Konfliktkultur pflegen

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Konflikte gehören - wir bekommen es täglich zu spüren -zum Leben der Kirche, genauso wie zu anderen Gemeinschaften von Menschen auch. Sie sind allerdings nicht unvermeidbar und sollten nicht vorschnell unterdrückt oder glattgebügelt werden, denn sie haben im Zusammenleben der Menschen eine wichtige Funktion. Wir alle kennen die reinigende, klärende Wirkung von Gewittern; allerdings ist die Voraussetzung für eine solche Wirkung von Konflikten erst gegeben, wenn man sich emsthaft und ohne viel Voreingenommenheit mit ihren eigentlichen Ursachen befaßt.

Eine der ganz wesentlichen Ursachen für Konflikte ist die Angst. Angst ist zunächst ein subjektives Gefühl, das reale Ursachen hat, aber manchmal auch völlig unberechtigt sein kann. Aber auch wenn sie objektiv noch so unberechtigt sein mag, ist sie trotzdem emstzunehmen, weil sie subjektiv echt ist. Wir haben uns als Kinder im Finsteren oft gefürchtet, obwohl uns ganz sicher keine Gefahr gedroht hat. Aber Angst kann man auch erzeugen, um sich gegen Widerstände durchzusetzen.

Man muß nicht Drewermann heißen, um zu erkennen, daß es auch in der Kirche viel Angst gibt mit all ihren kräfteraubenden, lähmenden Folgen. Lange genug stand der zu fürchtende Gott im Vordergrund christlichen Bewußtseins, hinter dem der liebende Gott oft gar nicht recht erkannt wurde. Papst Johannes XXIII. hat hier so vieles wieder ins Gleichgewicht gebracht und es wäre gut, würden wir seine Eröffnungsansprache beim Zweiten Vatikanischen Konzil öfter nachlesen!

Aus der Angst vor dem strafenden Gott entsprang die Angst vieler vor den Hierarchen, vor den hohen Institutionen der Kirche. Mit der wachsenden Betonung der Commu-nio-Kirche, mit dem Wissen, daß jeder Christ durch die Taufe direkt von Gott zur Mitverantwortung für die Kirche berufen ist, wurde eine andere Angst größer.

Der bisher durch formale Autorität und durch die autoritäts-betonende Gesellschaftsordnung geschützte Amtsträger erfährt, daß diese herkömmliche Gesellschaftsordnung sich nun auch in der Kirche langsam ändert und damit die verbleibende formale Amtsautorität eine Quelle für Konflikte wird, wenn sie zu stark betont und nicht von persönlicher Autorität gestützt wird.

Angst gibt es also nicht nur „unten", sondern offensichtlich immer mehr auch „oben" in der Kirche, in verschiedenen Ausprägungen. Wie so mancher Pfarrer Angst vor seinem Pfarrgemeinderat hat, so wird das bei manchen Bischöfen gegenüber diözesanen Gremien nicht anders sein.

Die Angst des für die Wahrung der Einheit Verantwortlichen vor der wachsenden Vielfalt, die Angst des - oft unsicheren - Vorgesetzten vor Andersdenkenden, vor Kritisierenden, vor der „Öffentlichkeit", das alles verbindet sich manchmal mit der Angst vor „noch höheren" Oberen und mit der Angst vor der letzten Verantwortung vor Gott auch für Dinge, die über den eigenen Verantwortungsbereich hinausgehen.

Weil man aber auch noch Angst davor hat, daß die eigenen Ängste und Unsicherheiten vor „Unzuständigen", ja womöglich vor Gegnern sichtbar werden könnten, wird Angst oft hinter Härte und formalen Krücken der Autorität versteckt. Freilich ist nicht alles Angst, was Konflikte auslöst; oft sind es einfach Mißverständnisse, Fehlinformationen (oder fehlende Informationen!), Geltungsbedürfnis (oft aus Minderwertigkeitskomplexen entstehend) und manchmal - aber viel seltener als vermutet - die reine Bosheit.

Wer also an einer echten Konfliktbewältigung interessiert ist, sollte damit beginnen, sich über seine eigenen Ängste klar zu werden und sie dann auch auszusprechen.

Gleichzeitig aber sollte er im Konfliktpartner (wenn man ihn so nicht als Gegner sieht, hat man schon viel gewonnen) dessen Ängste zu erkennen versuchen - aber nicht, un> sie sich dienstbar zu machen, sondern um dem anderen diese Ängste zu nehmen.

Konfliktkultur ist, wenn auch unter Schmerzen, erlernbar. Statt hinter sich Brücken abzubrechen, damit man selbst „nicht Wanken und Weichen kann" und damit jeden eigenen Spielraum einzubüßen, sollte man sich bewußt sein, daß zerstörte Brücken zwischen zwei Ufern von beiden Seiten her wiederaufgebaut werden sollten.

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