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Konfliktstoff gibt es noch immer genug

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Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Polen sind noch immer weit davon entfernt, „normal" zu sein. Der Alltag, der nach dem Papst-Besuch eingekehrt ist, hat auch wieder die zermürbenden Positionskämpfe aufleben, die Zahl der „Waffenstillstandsverletzungen" anwachsen lassen. Mit gestärktem Selbstbewußtsein, routiniertem Geschick und zäher Unnachgiebigkeit verteidigt sich die Kirche, wo sie sich übergangen oder herausgefordert fühlt.

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Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Polen sind noch immer weit davon entfernt, „normal" zu sein. Der Alltag, der nach dem Papst-Besuch eingekehrt ist, hat auch wieder die zermürbenden Positionskämpfe aufleben, die Zahl der „Waffenstillstandsverletzungen" anwachsen lassen. Mit gestärktem Selbstbewußtsein, routiniertem Geschick und zäher Unnachgiebigkeit verteidigt sich die Kirche, wo sie sich übergangen oder herausgefordert fühlt.

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„Der Papstbesuch war ein Höhepunkt der Verbesserung der Beziehungen, aber kein Wendepunkt. Zweifellos hat sich das Klima zwischen Kirche und Staat verbessert, auch wenn es hier durchaus Kontinuität gibt", konstatiert der stellvertretende Leiter des Staatsamtes für Kirchenfragen, Merker.

Daß durch den Papstbesuch keine dramatische Wende erzielt wurde, läßt sich an vielen Indizien und Einzelfällen tatsächlich nachweisen: • Ohne die Kirche ausreichend zu informieren und ihre Stellungnahme einzuholen, wurde etwa im Marienheiligtum und Wallfahrtsort Tschen-stochau von den lokalen Behörden ein Straßenbauprojekt betrieben, das nach Meinung des Episkopates die Ruhe des Klosters empfindlich gestört hätte. In allen Kirchen des Landes wurde in den Sonntagsmessen bei den Fürbitten um eine „gerechte Lösung in Tschenstochau" gebetet, und das „Wir bitten Dich, erhöre uns!" schallte mächtig, mächtiger als sonst.

Die schließlich gefundene Kompromißlösung, die am 7. Jänner 1980 zwischen Staat und Episkopat gefunden und kurz vor dem Parteitag im Februar bekanntgegeben wurde, empfinden die Katholiken des Landes jedenfalls als tragbar, manche sogar als „Sieg". Ein katholischer Publizist gUfbbt sogar: „Wer das in Tschenstochau geplant hatte handelte auch gegen das Interesse der Kommunistischen Partei, weil der Konflikt nur mit einem Erfolg der Kirche enden konnte." • Der ungehinderte Zutritt der Kirche zu den Massenmedien, von Kardinal Wyszynski als eine der fundamentalen Voraussetzungen für eine volle Normalisierung bezeichnet, ist nach wie vor nicht möglich. Der stellvertretende Direktor des Amtes für Glaubensfragen, Merker, wörtlich: „Wir sehen keine Änderungen vor." Er räumt zwar ein, daß die Auflage der katholischen Presse zu gering sei, erklärt dies aber - wie gehabt - mit dem allgemeinen Papiermangel.

Das katholische Wochenblatt „Ty-godnik powczechny" (mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren) ist am Kiosk frei überhaupt nicht zu bekommen, aber gegen eine Leihgebühr kann man die Zeitung wenigstens für einen Tag haben. Kirchliche Radio- und Fernsehübertragungen scheinen nicht mehr unbedingt ein Hauptanliegen des Episkopates zu sein, obwohl die Forderung danach noch immer im Raum steht. Hier scheint vor allem die Frage der Zensur das Haupthindernis zu sein, auf die der Staat nicht verzichten will, was aber für die Kirche untragbar wäre.

„Das Wort Gottes ist ungebunden", zitiert bedeutungsvoll ein hoher kirchlicher Würdenträger ein Wort der Bibel. Die offizielle Kirche hat durch ihre Hirtenbriefe, in den Kirchen verlesen, ohnehin ein überaus wirksames und freies Kommunikationsmittel. Die katholische Opposition schlägt überdies der Zensur ein Schnippchen und hat sogar Bücher über den Papstbesuch (samt Farbbildern!) gedruckt.

Wie das bei Papiermangel, Zensur und totaler staatlicher Kontrolle aller Druckereien möglich war, gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen -und zu den größten Ärgernissen der Behörde, die der wachsenden Zahl katholischer Untergrundpublikationen hilflos gegenübersteht.

• Weitere grundlegende Forderungen der Kirche Polens, nämlich nach einem „öffentlich-rechtlichen Status" und nach Erlaubnis von katholischen Organisationen, stoßen beim Staat nach wie vor auf taube Ohren.

Auf der jüngsten Bischofskonferenz Anfang März, wurde daher erneut daraufhingewiesen, daß sich die Kirche zwar an der notwendigen moralischen Erneuerung der polnischen Gesellschaft beteiligen wolle, daß sie dazu aber der „unerläßlichen Mittel der Aktivität, wie freie Vereinigungen und Institutionen", bedürfe.

• Die nach dem Papstbesuch stark angestiegene Zahl der Anmeldungen zu den Priesterseminaren - eine der geistigen und geistlichen Folgen der historischen Visite - hat auch unerwünschte Nebeneffekte. Die staatlichen Behörden machten nun darauf aufmerksam, daß sie mehr Seminaristen zum Militärdienst einzuziehen gedenken. „In der Regel werden 10

bis 15 Prozent der Seminaristen zum Militär eingezogen. Wenn es mehr Seminaristen gibt, dann werden auch mehr eingezogen", gibt sich Direktor Merker logisch.

• Auch die Kandidatenlisten für die polnischen Parlamentswahlen am 23. März sind ein Indiz dafür, daß der Staat seine Versuche, die Katholiken zu spalten und an sich zu binden, nach wie vor betreibt. Die regimetreue „Pax"-Organisation und die von ihr abgespaltene christlichsoziale Vereinigung haben insgesamt drei Sitze mehr zugesprochen erhalten, die Neo-Znak-Gruppe im Sejm soll wieder nur fünf Sitze erhalten:

Obwohl die Neo-Znak mit der alten, episkopattreuen Znak nicht zu vergleichen ist, nicht das volle Vertrauen der Kirchenführung besitzt und ein Arrangement mit dem Regime als Leitziel hat, ist das ein deutlicher Hinweis, wen die Kommunisten bevorzugen.

Das der Znak-Abgeordnete Bender, der eine kritische Parlamentsrede gehalten hatte, auf der Kandidatenliste nicht mehr aufscheint, ist ein weiterer Hinweis dafür, daß das Regime die katholischen Gruppierungen im Sejm an der Kandare haben möchte.

• Ein Problem, das durch den Papstbesuch aufgeworfen wurde, konnte aber wenigstens gelöst werden - die Kosten, die jene historische Visite verursacht hat. Die zum Teil horrenden finanziellen Forderungen an die Kirche (für die Errichtung von Altären und Parkplätzen, Platzmieten, Sicherheitskosten) wurden in langen Verhandlungen auf ein realistisches Maß reduziert. Da hatte etwa der „Aero-Klub" in

Nowy Targ einfach eine Rechnung übersandt, auf der bloß die Forderung enthalten war, aber keine Aufschlüsselung der Kosten. Die Kirche bestand auf einer detaillierten Kostenübersicht - und siehe da, die Forderung stellte sich als um 15 Prozent überhöht heraus. Alle ähnlichen Fälle konnten gelöst werden - „in guter Atmosphäre", wie auch von kirchlicher Seite betont wird. Uber das Gesamtausmaß der Kosten der Papstvisite wird vereinbarungsgemäß von Kirche und Staat geschwiegen.

Zusammenfassend läßt sich, fast ein dreiviertel Jahr nach dem Papstbesuch sagen, daß es noch immer genug Konfliktstoff zwischen Staat und Kirche in Polen gibt (der jährlichen Bewilligung von 50 bis 70 Kirchenneubauten und Renovierungen stehen etwa 700 unerfüllte Wünsche gegenüber!).

Ein Ende der Reibungen ist nicht abzusehen. Unübersehbar und spürbar ist jedoch das noch gewachsene Selbstvertrauen, die Glaubenskraft der polnischen Katholiken und jene Bewegungen im Geist und in der Seele, die nicht zu quantifizieren und äußerlich ablesbar sind.

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