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Konfrontationen im Wasser

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Die kombinierte amerikanische Luft- und Seearmada der 7. Flotte demonstriert gegenwärtig im Golf von Tonking die Zeitlosigkeit der maritimen Strategie. Denn eine grundsätzliche Frage der Machtausübung ist nach wie vor weniger die Bereitstellung der strategischen Waffenpotentiale, sondern vielmehr deren wirksamste Aufstellung. Auch im nuklearen Zeitalter hat hiebei die herkömmliche Geographie nichts an Bedeutung verloren. Die Freiheit der Meere sichert den konventionellen Flotten nach wie vor jenes Operationsfeld, das den Raketen im Luftraum zwar nicht verwehrt ist, wodurch die Undenkbarkeit eines atomaren Krieges aber auf den Abhaltungseffekt beschränkt wird. Galt die Kubakrise von 1962 bisher als Wendemarke auf den Weltmeeren — Abstieg der Amerikaner von ihrer beherrschenden Position auf den Ozeanen und Aufstieg der Russen zur modernsten Flottenstreitmacht —, so scheint das Jahr 1972 nun auch den amerikanischen Admiralen Rückenwind zu geben.

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Die kombinierte amerikanische Luft- und Seearmada der 7. Flotte demonstriert gegenwärtig im Golf von Tonking die Zeitlosigkeit der maritimen Strategie. Denn eine grundsätzliche Frage der Machtausübung ist nach wie vor weniger die Bereitstellung der strategischen Waffenpotentiale, sondern vielmehr deren wirksamste Aufstellung. Auch im nuklearen Zeitalter hat hiebei die herkömmliche Geographie nichts an Bedeutung verloren. Die Freiheit der Meere sichert den konventionellen Flotten nach wie vor jenes Operationsfeld, das den Raketen im Luftraum zwar nicht verwehrt ist, wodurch die Undenkbarkeit eines atomaren Krieges aber auf den Abhaltungseffekt beschränkt wird. Galt die Kubakrise von 1962 bisher als Wendemarke auf den Weltmeeren — Abstieg der Amerikaner von ihrer beherrschenden Position auf den Ozeanen und Aufstieg der Russen zur modernsten Flottenstreitmacht —, so scheint das Jahr 1972 nun auch den amerikanischen Admiralen Rückenwind zu geben.

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Zum erstenmal seit mehreren Jahren sieht das amerikanische Verteidigungsbudget für das kommende Haushaltsjahr eine erhebliche Steigerung in den Ansätzen für den Ausbau der Flotte vor. Man geht bei der Bereitstellung der Mittel sogar weit über das bisherige jährliche War-tungs- und Erneuerungsprogramm hinaus. Die Gründe liegen wohl in erster Linie bei den alarmierenden Meldungen über das Flottenbaupro-gramm der Sowjets. Die „Rote Flotte“ hat sich in den letzten zwanzig Jahren von einer unbedeutenden und im zweiten Weltkrieg wenig erfolgreich operierenden Küstenverteidigungsflotte zur unbestrittenen zweitstärksten Seemacht der Welt entwickelt. Nach Zahlen gewertet, verfügen die sowjetischen Admirale bereits über mehr Kriegsschiffe und einen höheren Mannschaftsstand als ihre amerikanischen Kameraden.

Dabei ist vor allem die Tatsache nicht zu übersehen, daß bereits vor drei Jahren 521 der damals 894 Kriegsschiffe der US-Navy mehr als 20 Jahre alt waren, während von 1575 im Westen registrierten sowjetischen Kriegsschiffen nur zwei dieses Alter aufwiesen. Von 146 amerikanischen U-Booten waren zu diesem Zeitpunkt bereits fast die Hälfte 20 Jahre alt, während die gesamte sowjetische Unterseebootflotte erst innerhalb der beiden letzten Jahrzehnte gebaut wurde.

Noch alarmierender scheint den Verantwortlichen im Pentagon der Umstand zu sein, daß die Sowjets gegenwärtig, je nach Schiffsklasse, drei- bis fünfmal so viele Einheiten wie die Amerikaner auf Kiel legen. Können sich die Russen dabei voll auf das wirtschaftliche Potential der COMECON-Länder stützen, es entweder als Zulieferer für sowjetische Werften heranziehen oder die Schiffsbauanlagen an der Ostsee für eigene Vorhaben ausnützen, so bedeutet das Flottenbauprogramm der NATO-Mächte gerade noch den Ersatz der veralteten Schiffe. Während also die Sowjetmarine an Umfang und Schlagkraft laufend zunimmt, verringert sich die Zahl der NATO-Kriegsschiffe durch deren Überalterung.

Keine „schwimmenden Särge“

Es fällt daher das Timing auf, wenn Anfang des Jahres, unmittelbar vor der entscheidenden Debatte über den amerikanischen Verteidigungshaushalt, Berichte des US-Geheimdienstes freigegeben wurden, die den Verdacht bestätigten, daß die Sowjets mit dem Bau ihres ersten Flugzeugträgers offenbar beginnen, die letzte Lücke zu schließen, die sie von der maritimen Vormachtstellung der US-Navy zu trennen scheint.

Dies könnte eine entscheidende Wende in der bisher völlig eigenständigen und oft auch eigenwilligen sowjetischen Marinestrategie sein. Der verstorbene Kreml-Chef Chruschtschow tat Flugzeugträger noch mit der lakonischen Bemerkung ab: „Schwimmende Särge des Kapitalismus“. Kriegsschiffen bescheinigte er 1952, anläßlich seiner Teilnahme an den Krönungsfeierlichkeiten für

Elizabeth II. von England, höchstens die Eignung, daß man damit komfortabler zu Staatsvisiten reisen könne. Denn die beiden Kreml-Führer Bul-ganin und Chruschtschow kamen mit einem Kreuzer der damals im Westen völlig unbekannten Swerdlow-Klasse in Portsmouth angedampft. Und nur wenige erkannten, daß sich mit diesem Schiffstyp bereits die große Wende der sowjetischen Marinepolitik ankündigte. War es doch der sich gerne als Marinefeind gebende Chruschtschow, der die entscheidende Umorientierung der „Roten Flotte“ von einem verlängerten Arm der Landstreitkräfte zu einem selbständig operierenden Machtinstrument der sowjetischen Politik einleitete. Spätestens in der Kubakrise, sicher bereits aber bei der Landung amerikanischer Truppen im Libanon und in der Suezaktion von 1956 mußte der Kreml-Allgewaltige erkennen, daß politische Druckausübung ohne entsprechende militärische Rückendeckung nur mit halber Kraft geschehen kann.

Das beginnende nukleare Patt der späten fünfziger Jahre ließ den Raketenanhänger Chruschtschow nach einem geschmeidigeren Mittel suchen, das gleichzeitig Schlüssel und Sperrkette seiner imperialistischen Ziele sein konnte, nach der Marine.

Inzwischen ist die sowjetische Flottenpräsenz auf allen Weltmeeren eine nicht wegzudiskutierende Tatsache. Der Waffengang auf dem indischen Subkontinent im vergangenen Jahr war für Moskau ein willkommener Anlaß, sein neues Machtinstrument augenfällig einzusetzen. Vielleicht weniger, um die Vereinigten Staaten an einem ohnedies unwahrscheinlichen Eingreifen zu hindern, als vielmehr, um Pekings Schwäche auf dem maritimen Sektor bloßzustellen. Chinesische Waffenlieferungen an den pakistanischen Verbündeten wären, angesichts verschneiter Hymalajapässe, nur auf dem Seeweg möglich gewesen. Und diesen kontrollierte Moskaus Armada zusammen mit Moskaus Schutzobjekt Indien.

Der indisch-pakistanische Krieg, aber auch die gegenwärtige Auseinandersetzung auf dem indochinesischen Kriegsschauplatz zeigen zwar einerseits den nicht unbeträchtlichen Einfluß der Seestreitkräfte auf die Operationen der Bodentruppen, beweisen aber auch anderseits, daß der politischen und militärischen Druckausübung mit diesem Instrument Grenzen gesetzt sind.

Grenzen zeigen sich vor allem in der Operationsfähigkeit der vier sowjetischen Flotten. Die geographische Ausgangssituation des Landgiganten für eine maritime Strategie ist eher ungünstig. Zwei Teile der Flotte müssen aus Binnenmeeren operieren, deren Ausfallspforten gegenwärtig noch fest in den Händen der NATO sind. Die Anrainerstaaten dieser Meeresengen, die Türkei und Griechenland, die beiden skandinavischen Demokratien Schweden und Dänemark, sehen sich daher einer steten politischen Agitation der Kreml-Führung ausgesetzt. Die

Nordmeer- und die Pazifikflotte tragen das Handikap, daß sie beide nur über einen einzigen eisfreien Hafen verfügen, Wladiwostok und Severo-morsk in der Barentssee. Auch ist man in westlichen Marinekreisen der Ansicht, daß die russischen Schiffe wenig Chancen besitzen, außerhalb des Aktionsradius eigener landgestützter Flugzeuge während einer längeren Dauer erfolgreich operieren zu können. Zwar sehen sich die Amerikaner mit einem fortlaufenden Verlust von Basen, sowohl für die Luftstreitkräfte als auch für die Flotte, konfrontiert. Ihre Stärke liegt nach wie vor in dem Umstand, daß die Marine sowohl den eigenen Luftschirm als auch eine weitreichende Angriffswaffe in ihren Flugzeugen mit sich führt.

Haben diese vergleichsweisen Handikaps nun auch Eindruck bei den Moskauer Strategen hinterlassen? Sowohl der angebliche Bau eines ersten Flugzeugträgers als auch das fortlaufende Bemühen der Russen um Stützpunkte für Marine und

Luftwaffe außerhalb der Sowjetunion lassen diesen Schluß zu.

Verfolgt man nur einigermaßen die Politik des Kreml, ist dieses Moment seiner Außenpolitik nur unschwer zu erkennen. Doch mußten die Moskauer Führer dabei einige Rückschläge und bittere Erkenntnisse hinnehmen. Auf Dauer gesehen, muß die sowjetische Fähigkeit, politischen Druck vor allem auf den Westen auszuüben, in eine Relation zur Zuverlässigkeit seiner Verbündeten und Freunde und deren

Photo: Votava

Leistungsfähigkeit gebracht werden. Als bester Wertmaßstab kann hier wohl das arabische Lager gelten. In diesem Zusammenhang ist nicht unwesentlich, daß die amerikanischen Operationen auf und in allen Weltmeeren solange von den Sowjets nicht fortlaufend überwacht werden können, als die russische Marineaufklärung mehrheitlich von Stützpunkten in der UdSSR aus operieren muß.

Auch wenn die Bezugsebene der klassischen, konventionellen Strategie nicht gegeben ist, erscheint das Bestreben der Vereinigten Staaten, vermehrt das maritime Waffenpotential unter die Meeresoberfläche zu verlagern, bemerkenswert. Mit dem Beschluß der Regierung Nixon, dia Entwicklung einer neuen Generation von Unterseeraketen beschleunigt voranzutreiben, dürften die USA für ein neues Wettrüsten den entscheidenden Anstoß gegeben haben. Oder war als Argument zu diesem Schritt ausschlaggebend, ein verstärktes Rüsten in den Weltmeeren könnte zu einer Abrüstung der landgestützten Raketen führen? Die maritime Komponente in der Strategie hat zweifelsohne eine neue Aufwertung erfahren. Sie wird sicher beim bevorstehenden Moskauer Gipfel eine nicht unwesentliche Rolle spielen.

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