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Konjunktur im Schnellzugstempo

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Nachdem Präsident Nixon die erste Konfrontation mit dem Kongreß klar für sich entschieden hat, schießt sich die Kritik der Opposition jetzt auf die Preisfront ein. Die Opposition hatte gehofft, ein Veto des Präsidenten gegen ein vom Kongreß beschlossenes Gesetz zur Berufsausbildung Körperbehinderter niederzustimmen, konnte aber die dazu notwendige Zweidrittelmehrheit im Senat nicht aufbringen. Obwohl es nicht populär ist, humanitären Zielen dienende Gesetze durch Veto zu blockieren, ist die Regierung vor allem bestrebt, den Ausgabenrahmen des Budgets von 269 Milliarden Dollar zu halten, damit kein Öl ins Feuer der Inflation fließe.

Als Nixon im Sommer 1972 nach langem Zögern und nach hartem Ringen mit seinen eigenen freiwirtschaftlichen Überzeugungen die sogenannte „Phase“ der Preis- xmd Lohnkontrollen einführte, tat sr es auf Grund zweier Überlegungen: Inflation ist eine politisch meist tödliche Krankheit, und: das internationale Vertrauen in den Dollar hängt von der Stabilität der Preise ab. (Inzwischen hat die amerikanische Regierung gelernt, daß die zweite Maxime nicht unbedingt richtig ist.)

Hand in Hand mit den Kontrollen führten Regierung und Nationalbank (Federal Reserve Bank) eine Reihe von flankierenden Maßnahmen durch, welche die Wirtschaft erheblich unterkühlten und manche große Industrie an den Rand des finanziellen Zusammenbruches brachten. Doch diese Roßkur tat ihre Wirkung. Die Inflationskurve, die unter Johnson auf 6 Prozent gestiegen war, sank unter 3 Prozent, und die Regierung bekam die Lohn- und Preisentwicklung fest in den Griff. Das ging wohl zunächst auf Kosten der Beschäftigung, aber dafür stiegen, wie immer in Zeiten, in denen man den Gürtel enger schnallt, Produktivität und Arbeitsleistung, so daß Nixon zum Zeitpunkt der Wahlen, im November 1972, mit Stolz auf seine Leistungen in der Wirtschaftspolitik verweisen konnte. Es war sogar möglich, noch knapp vor der Wahl die Konjunktur wieder etwas anzuheizen, so daß im November nicht

bloß stabile Preise, sondern auch eine wieder aufwärts weisende Beschäftigungskurve für Nixons Wiederwahl wirkten.

Dem Präsidenten kam zugute, daß die Gewerkschaften, nach anfänglichen Protesten, die Lohn-Preis-Kontrollen hinnahmen, womit sie auch zum Ausdruck brachten, daß ihnen eine zweite Präsidentschaft Nixons lieber war als die Ungewißheit einer mit Utopien experimentierenden Regierung McGoverns.

Nachdem der große Wahlsieg über die Bühne gegangen war, entschloß sich der Präsident, die Lohn-Preis-Kontrollen abzuhauen. Die zweite Phase brachte bereits ein gewisses Nachziehen der in der ersten Phase eingefrorenen Preise, die dritte schließlich enthält nur noch einen Appell an freiwillige Preisdisziplin.

Weit verbreitet ist in den USA die Meinung, Nixon habe den Gewerkschaften versprochen, nach den Wahlen die Löhne und Preise wieder freizugeben, da 1973 wichtige Kollektivverträge auslaufen.

Heute erheben sich Zweifel, ob dieser Zeitpunkt richtig gewählt war. Vor allem bei Lebensmitteln, und hier wieder besonders bei Fleisch, steigen die Preise alarmierend. Gegen diesen Anstieg, der im Februar und im März jeweils die Prozont-grenze überschritt, entwickelten sich in den letzten Wochen spontane Boykottbewegungen. Soeben ist in New York eine fleischlose Wocho zu Ende gegangen und die Organisationen rufen bereits zu weiteren fleischlosen Tagen auf lange Frist auf. Die Erfolge ihrer Aktion allerdings waren bis jetzt mäßig: Fischpreise schössen in die Höhe, einige wenige Lebensmittelketten senkten die Fleischpreise, die meisten entließen jedoch Arbeiter und Angestellte, und die Farmer hielten ihre Anlieferungen zurück. Präsident Nixon führte einen Plafond für Fleischpreise ein, aber dieser Plafond schützt eigentlich nur die letzten Preiserhöhungen und wird von vielen als eine zu schwache und zu späte Maßnahme verurteilt. Es würde einer vie1 “tigeren Enthaltungsperiode bedürfen, um die Preise vom Konsum her zurückzurollen, indes ja der steigende

Lebensstandard, der Fleischverbrauch durch Bevölkerungsschichten, die früher weit spärlicher Fleisch konsumierten, eine der Hauptui'sa-chen für das Anziehen der Preise ist.

Sehr ungünstig hat sich die Aufhebung der Kontrollen auf der Währungsfront ausgewirkt. Obwohl zum Zeitpunkt dieser Aufhebung das Preisniveau erheblich unter jenem der westeuropäischen Staaten lag, erzwangen Dollarverkäufe großen Ausmaßes auf den Devisenbörsen eine neuerliche Abwertung des Dollars. Daß die amerikanische Regierung diese Entwicklung nicht ganz so ungern sah, führte zu Mutmaßungen, die Initiative zu diesem Schritt sei eigentlich von Washington ausgegangen.

Ob die nun entstandenen Relationen • den Realitäten entsprechen, wird vielfach bezweifelt. In amerikanischen und europäischen Finanzzentren befürchtet man, daß der Dollar jetzt unterbewertet ist, was wohl der amerikanischen Handels- und Zahlungsbilanz erheblich helfen wird, aber die amerikanische Preisstabilität in Frage stellt. Große Mengen von Getreide und anderen Futtermitteln wurden im vergangenen Jahr in die Sowjetunion exportiert, deren Agrarsystem wieder einmal völlig versagt hat. Dieser Export verursacht jedoch gewisse Verknappungen, die sich sofort in höheren Agrarpreisen und natürlich in höhe-

ren Fleisch- und Lebensmittelpreisen für den amerikanischen Konsumenten niederschlagen.

Für Japaner und Europäer schafft der abgewertete Dollar günstige Einkaufsmöglichkeiten bei industriellen Rohstoffen, was sofort zur Verteuerung der amerikanischen Baustoffe führte. Wohl werden europäische und japanische Automobile und elektronische Geräte die amerikanische Konkurrenz zu spüren bekommen, aber es braucht eine gewisse Zeit, bis sich neue Konsumgewohnheiten entwickeln.

Der stärkste Auftriebsfaktor ist jedoch die amerikanische Konjunktur selbst, die jetzt im Schnellzugstempo daherbraust, nachdem man sie aus politischer Ungeduld vor den Wahlen etwas angeheizt hatte. Sie wird ergänzt von der Konjunktur in Europa und Japan, die diesmal zyklisch nicht gegeneinander, sondern parallel verlaufen.

Freilich muß man bei der Behandlung dieses Themas die Dimensionen abstecken. Selbst extreme Pessimisten befürchten für das laufende Jahr nichts Schlimmeres als ein Ansteigen der Inflationsrate auf 4 bis 4,5 Prozent. Würden die Lebensmittel nicht an der vordersten Front dieser Entwicklung stehen, so würden die Preise noch lange nicht die Schlagzeilen füllen. Die Entwicklung hat aber insofern ihr Gutes, als sie die Regierung zum Handeln zwingt.

Schon hat Nixon angekündigt, daß heuer bloß 50 Prozent der letzt jährigen Agrarexporte nach Rußland gehen werden und daß die Regierang erhebliche Mengen ihrer strategischen Rohstoffreserven auf den Markt werfen wird. Es besteht aber auch kein Zweifel daran, daß bis zum Sommer neuerliche Kontrollen die Preis- und Lohnbewegung einzu-fangen versuchen werden, wenn die Überwindung der momentan ungünstigen saisonalen Faktoren auf dem Lebensmittelsektor noch kein Abbröckeln der Preise herbeiführt.

dersetzung um die Beibehaltung der zivilen Ehescheidung dürfte in Italien die Gemüter derart erregen, daß es einer einigermaßen starken Regierung bedarf, um eine solche Hürde — so oder so — zu nehmen.

Am 1. Dezember 1970 ist das von der Katholischen Kirche und der Democrazia Cristiana angefeindete Ehescheidungsgesetz vom Parlament gutgeheißen worden. Unter seinen Befürwortern stand an vorderster Front der linkssozialistische Abgeordnete Fortuna mit seiner Partei, die es vorzog, der damaligen Regierung Colombo den Todesstoß zu gegen, als auf dieses „fundamentale zivile Freiheitsrecht des Bürgers“ zu verzichten. Bis zuletzt bestand die Möglichkeit, daß es dem Vatikan und der Democrazia Cristiana gelingen könnte, mit einigen liberalen und sozialdemokratischen „Heckenschützen“ im Parlament das umstrittene

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