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Konkordanzdemokratie: Offenes Parlament

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Die österreichische Konkordanzdemokratie — also das in der politischen Kultur verankerte Konfliktregelungsmuster der gütlichen Einigung und Verständigung, des Aushandelns und Kompromisses, des Sich-Vertragens nach Gleichgewichts- und Balancegesichtspunkten unter Zurückdrängung des Mehrheitsprinzips mit der Tendenz zur Einstimmigkeit - in Gestalt der neuen Großen Koalition wird heute in der öffentlichen Meinung unter ihrem Wert gehandelt.

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Die österreichische Konkordanzdemokratie — also das in der politischen Kultur verankerte Konfliktregelungsmuster der gütlichen Einigung und Verständigung, des Aushandelns und Kompromisses, des Sich-Vertragens nach Gleichgewichts- und Balancegesichtspunkten unter Zurückdrängung des Mehrheitsprinzips mit der Tendenz zur Einstimmigkeit - in Gestalt der neuen Großen Koalition wird heute in der öffentlichen Meinung unter ihrem Wert gehandelt.

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Für Intellektuelle ist das kantigere Konkurrenzmodell angelsächsischen Zuschnitts einfach attraktiver. Freilich muß auch kritisch angemerkt werden, daß noch mehr Augenmerk als bisher den heutzutage unerläßlichen Ergänzungen und Widerlagern einer Großen Koalition zugewendet werden muß.

Eine durchdachte Verbesserung und Weiterentwicklung des politischen Systems ist weder Verrat noch Schwäche, aber auch nicht heroischer Griff nach den Sternen.

• Wahlrechtsreform: Gegen die Erstarrung der politischen Eliten und zur Verbesserung des Kontaktes zwischen Wählern und Gewählten soll dem Wahlberechtigten ein Einfluß auf die Kandidatenaufstellung eingeräumt werden.

• Demokratiereform durch klugen Ausbau der direkten Demokratie in der Gesetzgebung und der Partizipation in der Verwaltung: In einer partizipatorischen Demokratiereform liegt ein Komplementärinstitut zur Konkordanzdemokratie mit Kritik- und Kontrollfunktion. Dann, und nur dann wäre es auch gerechtfertigt, an längere Funktionsperioden des Parlaments zu denken, um die Langfristigkeit von Planungen und Handlungabläufen zu berücksichtigen.

Demokratische Politik muß immer wieder den engen Horizont der Gegenwärtigkeit aufbrechen, muß mehr sein als Wendigkeit für den Tag.

• Verfeinerung, Auffächerung und Strukturierung der verschiedenen Prozeßphasen der Entscheidungsbildung in Bund, Ländern und Gemeinden; bei Zunahme von Konflikten bieten sich jene seit den beiden Republikgründungsperioden in unserem Erfahrungsschatz ruhenden Einrich-

tungen zur Konsensfindung neuerlich an: die Länderkonferenzen.

• Entstaatlichung und Ent-(partei)politisierung von Lebensbereichen (Wirtschaft, Bildung und Kultur, Posten- und Wohnungsvergabe), aus deren heutigem Zustand so viele Verdrossenheiten wachsen.

• (Selbst-)Aktivierung der Gesellschaft, also der Bürger, Medien, Kirchen, Wissenschaft und Kunst: von dort müßten noch mehr Ideen, Initiativen, Informationen, köstliche und kostbare Farbtupfer der Phantasie kommen.

Trotz aller Schelte bewiesen die Parlamente der westlichen Demokratie eine Lebenskraft, die nur den erstaunen kann, der die unausweichliche Realität des komplizierten, arbeitsteiligen modernen Staates mit der schlichten Identität der abgeschlossenen Insel Utopia verwechselt.

Die freien Wahlen zum Parlament - mehr noch als seine of t kritikwürdige Praxis - sind neben den liberalen Grundrechten Systemmerkmal der westlichen Demokratie. Gerade in der Sehnsucht der Menschen in Diktaturen nach diesen Einriditungen spiegelt sich ihre fortbestehende Leuchtstärke.

Doch der Parlamentsalltag ist glanzloser. Die dialogischen Instrumente müssen gerade bei einer Großen Koalition stärker als Minderheitsrechte entfaltet werden, um das Parlament als Ort der Offenheit und Öffentlichkeit komfortabler auszustatten, in dem Staatshandeln verständlich und plausibel gemacht wird.

Besonders heftiger Unmut trifft heute die Parteien, wobei es gar nicht so sehr um die Parteien schlechthin geht — die es geben wird, solange es Pluralismus, parlamentarisch! Demokratie und Verhältniswahlrecht geben wird -, sondern in Wahrheit um die Zukunft der Großparteien vom Volksparteitypus einer sozialen Integrationspartei.

Idealiter sollten sie in sich Partizipationschancen und Leistungsangebote für Staat und Gesellschaft vereinen, für die „kleinen Leute" und sozial Schwachen da sein und überdies feinnervige Sensoren für Intellektuelle aufweisen, neue Themen mehrheitsfähig machen und jeweils Mehrheiten suchen, Konflikte entschärfen, Lasten und Opfer gerecht verteilen, also Pluralismus koordinieren, um die Welt nicht zu erlösen, aber zu verbessern. Tun sie das? Können sie das?

Die Großparteien müssen Ballast abwerfen. Das wird sie beleben, ja erst wieder politisieren. Wenn man ein ausgesprochenes Vielparteiensystem nicht für sehr stabil und krisenstark hält, so müssen die österreichischen Großparteien ein Umfeld nicht parteienbesetzter Bürgeraktivitäten und Lebensformen freigeben, zu dem sie ein offenes Kapillarsystem politischer Kommunikation aufrechterhalten.

Der Autor ist Professor für Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungslehre an der Universität Graz. Der Beitrag ist ein Auszug einer Rede anläßhch der Festakademie zum 75. Geburtstag von Hermann Withalm.

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