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Konkurrenz im Äther

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Die kleinen Privatsender proben den Aufstand gegen etablierte Rundfunkstationen. Der Kampf um neue Hörer verlangt aber auch neue Konzepte und bessere Programme.

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Die kleinen Privatsender proben den Aufstand gegen etablierte Rundfunkstationen. Der Kampf um neue Hörer verlangt aber auch neue Konzepte und bessere Programme.

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Während im nördlichsten Land der Bundesrepublik Deutschland der erste private Radiosender schon in den Äther strahlt, in Isenhagen (Niedersachsen) bei „Funk und Fernsehen Nordwestdeutschland“ (FFN) bereits fleißig auf den Programmstart am 1. Januar 1987 hingearbeitet wird, streiten in Hamburg immer noch 24 Organisationen um die Vergabe der einzigen privaten Hörfunklizenz.

Bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, besonders beim Norddeutschen Rundfunk (NDR), wird man da nicht ohne Grund zunehmend nervöser. Und dann geschah, was man schon lange befürchtet hatte. Daß es dabei ausgerechnet die „Welle Nord“ in Kiel, das regionale Landesprogramm des NDR für Schleswig-Holstein, getroffen hat, bleibt eher nebensächlich.

Tatsache ist, daß während einer der populärsten „Hörertelefon-Sendungen“ kein einziger Hörer-Anruf das Studio in Kiel erreichte. Obwohl sich weder Sendetag, Sendezeit noch Gestaltung der Sendung geändert hatten.

Das Kieler Funkhaus des NDR geriet daraufhin in Panik und mit ihm die oberen Instanzen in Hamburg und Niedersachsen. Was war überhaupt passiert?

Seit Anfang Juli 1986 versucht der Privatsender „Radio Schleswig-Holstein“ (RSH) dem NDR Konkurrenz zu machen. Neben flotter Programmgestaltung wird auch mit sehr viel Raffinesse die Werbetrommel gerührt, um Hörer zu gewinnen.

Das reicht bis zu selbstgeschriebenen oder in Auftrag gegebenen Leserbriefen in lokalen Tageszeitungen, wo es zum Beispiel heißt: „Endlich ist eine Alternative zum langweiligen öffentlich-rechtlichen Radioprogramm da. Das private Schleswig-Holstein-Radio sendet rund um die Uhr flotte Musik, bringt Nachrichten kurz und informativ und läßt nebensächliche Infos einfach draußen. Dagegen ist das NDR-Programm eine einzige Zumutung. Von einer Stunde Programm am Morgen zum Beispiel sind 40 Minuten Musik (höchstens), alles andere sind unnötige und unsinnige Gespräche, Monologe über vollkommen unwichtige Dinge aus dem Munde von Politikern, Geistlichen und-soweiter. Das Schlimme ist, wir bezahlen die Profilierungssucht dieser Journalisten auch noch...“

So war's zu lesen im Flensburger Tageblatt. Einen Peter Frankenberg, der diesen Leserbrief verfaßt haben will, sucht man im örtlichen Telefonbuch allerdings vergeblich.

Ganz unberechtigt ist seine Kritik am Hörfunkprogramm von NDR 1 sicher nicht, aber ob das RSH eine echte Alternative ist, bleibt dahingestellt. Man solle dem Kieler Privatradio nicht zu viel Ehre zukommen lassen, meint NDR-Redakteur Michael Naura. Der „Kaiser-Wilhelm-Jubel hinter dem Deich“ werde sich bald legen.

Doch es klingen auch andere Töne an. Gerd Kuka, Redakteur bei der „Hamburg-Welle“ (NDR 1): „Wenn wir uns nicht umstellen, sind wir erledigt. Mehr Angst als vor Radio Schleswig-Holstein habe ich vor dem künftigen Privatsender in Hamburg.“

Scheinbar unbeeinflußt von Komplimenten und Kritik arbeiten die 30 Redakteure um Programmdirektor Hermann Stümpert und Chefredakteur Jürgen Köster in einer ehemaligen Tabakhalle an ihrem Vollprogramm für RSH. Die Moderatoren sind zum großen Teil Radio-Neulinge, was zur Zeit nicht zu überhören ist. Damit lassen sich die NDR-Hörer bestimmt nicht alle abwerben.

Der Beifall zwischen Hamburg und Kiel jedoch gehört zur Zeit ihnen allein. In einer Anzeige haben die frechen Kieler die momentane Situation gut getroffen: „Lieber NDR, du mußt jetzt ganz tapfer sein ...“

Die NDR-Programm-Macher müssen nun bald reagieren. Ihre bislang konkurrenzlose Stellung im elektronischen Medienzirkus, die sie risikolos auch Sendungen am Hörer vorbei gestalten ließ, gehört jetzt schon fast der Vergangenheit an.

Das neue Konzept scheint ebenso der Amerikanisierung anheimzufallen, wie die Privaten von Anfang an bei den Amerikanern abschauen. „Radio als Begleitung“ lautet das nicht mehr zu überhörende Stichwort. Auch wenn im Staatsvertrag über den NDR steht: „Der NDR hat den Rundfunkteilnehmern einen objektiven und umfassenden Uberblick über das internationale, nationale und länderbezogene Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sein Programm soll der Information und Bildung sowieder Beratung und Unterhaltung dienen.“

Man setzt beim NDR nun auf großflächig angelegte Unterhaltung mit viel populärer Musik und weniger Wortbeiträgen. Gerne wollen die Verantwortlichen auch auf den großen theoretischen Unterbau verzichten, wenn dadurch die Hörer bei der Stange gehalten werden.

Viele Journalisten beim NDR sind über diese Tendenzen im eigenen Haus nicht begeistert. Wolfgang Hausmann von „Radio Niedersachsen“ (NDR 1) sieht immer noch die Information der Hörer als seine vornehmlichste Aufgabe. Wolle man die Journale, in denen das Wort den Ausschlag gibt und die Musik lediglich auflockernde Funktionen hat, ersatzlos aus dem Hörfunkprogramm streichen, wären die öffentlich-Rechtlichen tatsächlich wieder kulturlos und erfüllten in keiner Weise mehr ihren Auftrag zu Information und Bildung.

Im Norden der Bundesrepublik spitzt sich die Diskussion um das Radio zu, da gab Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling vergangene Woche in Bonn bekannt, daß man für Lokalsender des Fernsehens weitere Frequenzen gefunden habe. Die Bundespost sei technisch dazu in der Lage, in insgesamt 65 Städten des Bundesgebietes ein privates TV-Programm mit örtlich begrenzter Reichweite drahtlos auszustrahlen. Uber sechs Millionen Haushalte und damit mehr als 16 Millionen Zuschauer können es über die normale DacHfentenne empfangen.

Mit der drahtlosen Ausstrahlung als Ergänzung zur Programmverteilung durch Breitbandkabelnetze werde die derzeitige Durststrecke der privaten Programmanbieter erheblich verkürzt. Außerdem würden Wettbewerbsnachteile gegenüber den etablierten öffentlich-rechtlichen Anbietern nun schneller abgebaut.

Als erster neuer Sender nimmt im September dieses Jahres das lokale TV München seinen Betrieb auf. In Schleswig-Holstein wird Lokalfernsehen in Flensburg, Kiel und Lübeck möglich sein, in Niedersachsen stehen sogar in acht Städten freie Frequenzen zur Verfügung, und in Hamburg läßt sich demnächst ein Privatprogramm terrestrisch ausstrahlen.

Im Gegensatz zur Konkurrenz im Radiobereich werden die privaten Fernsehmacher jedoch noch einige Jahre zwischen Ems, Weser und Elbe auf sich warten lassen. Denn die Produktionskosten eines TV-Programms liegen weit höher als beim Hörfunk.

Und noch scheint man sich über das Fernsehprogramm der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht so zu ärgern wie über ihre Radioprogramme. Kritik in Form gestellter Leserbriefe wird es für das Fernsehen wohl erst dann geben, wenn die private Alternative problemlos über die Antenne ins heimische Wohnzimmer dringt.

Noch kann der Verfasser des Leserbriefes aus Flensburg also schreiben: „... Ich werde jedenfalls ab sofort meine Rundfunkgebühren kündigen, da ich durch Danmark Radio, Radio Schleswig-Holstein, Tagesschau und Zeitung genügend Informationen bekomme, um mir eine Meinung bilden zu können ...“

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