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Konsens in Osterreich

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FURCHE: Herr Vizekanzler, in einer Briefaktion an Wähler spre- chen Sie von einem neuen Kurs, den die ÖVP in Österreich eingelei- tet habe. Gleichzeitig verweisen Sie auf Übereinstimmungen mit der SPÖ in wichtigen Fragen. Wie können Sie dem Wähler Unterschie- de in den politischen Programmen klarmachen?

VIZEKANZLER JOSEF RIEG- LER: Von der ÖVP ist in der Frage der Privatisierung der Anstoß ge- kommen. Da hat sich die SPÖ auch von ihren Positionen gelöst. Das gleiche hat sich bei der Steu- erreform abgespielt.

Ideologische Verhärtung schlug durch bei der Verankerung von Ehe und Familie in der Verfassung. Sie scheiterte an der ablehnenden Hal- tung der Sozialisten. Ideologische Positionen schlugen auch bei der Verbesserung der Familienbeihilfen durch: Sozialisten wandten sich gegen die Mehrkinderstaffel, weil sie davon ausgingen, daß jedes Kind gleich viel wert sei. Wahlrecht, Ar- beiterkammerreform sind weitere Positionen, wo parteipolitische Unterschiede sehr klar heraus- kommen.

FURCHE: Aber gerade bei der Wahlrechtsreform gab es eine Über- einstimmung in der Praxis: Nichts ist herausgekommen.

RIEGLER: Alte Vorschläge gin- gen von hundert Einerwahlkreisen aus. In den Verhandlungen zeigte sich, daß damit das eigentliche Ziel, ein Persönlichkeitswahlrecht zu schaffen, nicht erreicht wird, weil man ja nur einen Kandidaten wäh- len kann. Man kann zwar splitten zwischen Partei und den anderen Kandidaten, nicht aber zwischen Persönlichkeiten wählen.

FURCHE: In Ihrer Briefaktion schreiben Sie, Österreich brauchte einen Schub nach rechts. Ist das eine Aussage über künftige Macht- konstellationen?

RIEGLER: Nein. Gemeint ist damit im wirtschaftspolitischen Bereich eine stärkere Ausformung von mehr Marktwirtschaft, wobei das nicht heißt Kapitalismus, son- dern Marktwirtschaft in zweifach ausgeprägter Verantwortung: im Sinne sozialer Gerechtigkeit und für den Schutz der Umwelt. Ich verstehe den Begriff rechts also nicht parteipolitisch, sondern ord- nungspolitisch: Weg vom Staat, hin zu Eigenständigkeit im wirtschaft- lichen, aber auch im gesellschaftli- chen Bereich, Aufwertung einzel- ner Gemeinschaften und Organi- sationen.

FURCHE: Was ist dann links für Sie?

RIEGLER: Der Sozialismus.

FURCHE: Was verstehen Sie darunter?

RIEGLER: Sozialismus heißt für mich Staatswirtschaft, möglichst viel Zentralstaat und Zentralge- walt.

FURCHE: Wie steht's dann um die Solidarität?

RIEGLER: Die habe ich ja in meinem Programm.

FURCHE: Hat Solidarität nicht auch etwas mit Sozialismus zu tun?

RIEGLER: Nicht nur. Solidarität ist ein ausgeprägtes Element der christlichen Soziallehre. Es gibt sie auch im Sozialismus. Der Teil ist ja in Ordnung. Für mich ist am Sozia- lismus das Übergewicht des Staa- tes problematisch, ebenso des Apparates - und damit verbunden die relativ schwache Position des einzelnen und der verschiedenen Unternehmungen beziehungsweise gesellschaftlichen Gruppierungen.

FURCHE: Die Grünen stehen für Umweltkompetenz, die Frei- heitlichen setzen auf liberale Wirt- schaft und nationales Selbstbewußt- sein. Gegen sozialen Leistungsab- bau treten die Sozialisten auf. Wo- für steht die ÖVP?

RIEGLER: Sie steht für ökoso- ziale Marktwirtschaft. Für eine starke, leistungsfähige Markt- wirtschaft, die zu sozialem Aus- gleich und zum Schutz der Umwelt fähig ist. Die ÖVP steht für einen starken österreichischen Patriotis- mus im Gegensatz zur deutschna- tionalen Ausrichtung der Freiheit- lichen.

FURCHE: Schätzen Sie die Frei- heitlichen noch immer so ein? RIEGLER: Ja.

FURCHE: Sie plädieren für eine neue Form der parlamentarischen Zusammenarbeit. Kommt es zum Abschied vom Klubzwang?

RIEGLER: Ein neues Wahlrecht wird in die Richtung gehen, daß der Klubzwang praktisch be- deutungslos wird, daß der Abge- ordnete seinem Wähler, seinem Wahlkreis verbunden ist. Es hat ja bereits jetzt Auflockerungen des Klubzwanges gegeben, das heißt bei einzelnen Abstimmungen haben Abgeordnete anders gestimmt. Der Trend geht in diese Richtung.

Es ist nun meine Überlegung gewesen, daß für bestimmte Vorha- ben, wie etwa Demokratiereform, Wahlrecht, Arbeiterkammerre- form, eine Zeitvorgabe zwischen den Koalitionsparteien ausgehan- delt wird; und wenn man nicht zu Rande kommt, dann soll eine freie Mehrheitssuche im Parlament möglich sein.

FURCHE: Arbeiterkammerre- form: Welches Modell schwebt Ihnen da vor?

RIEGLER: Es war die Machtfülle, die die Leute dazu verleitet hat, sich zu bedienen. Man muß die Strukturen so verändern, daß Miß- brauch durch Machtfülle möglichst unterbunden wird.

FURCHE: Und wo soll die Kon- trolle ansetzen?

RIEGLER: Der erste Punkt wird der Ausbau der Minderheitenrechte sein. In den vergangenen Jahren war es so, daß den kleineren Frak- tionen in der Steiermark das primi- tivste Minderheitenrecht verwei- gert wurde, indem man keine Pro- tokolle vorgelegt hat, keine Ein- sichtnahme erlaubte. Das erste wäre also der Ausbau der inneren Kon- trolle, die Schaffung eines Minder- heitenrechts. Das zweite wäre die Kontrolle durch darüberstehende Instanzen wie Sozialministerium und Rechnungshof.

Dann wird auch die Frage der Aufgaben der Interessenvertre- tungen zu stellen sein.

Es war sozialistische Strategie, wichtige und attraktive Arbeitneh- meranliegen ganz bewußt dem Gewerkschaftsbund zu übertragen, sodaß die Arbeiterkammer eigent- lich obsolet wurde; sie ist nur mehr Konsumentenschutz, der gewisse Reiseattraktivitäten anbietet.

FURCHE: Geht das in Richtung Abschaffung des Kammernsystems?

RIEGLER: Ich bin nicht für die Auflösung der Kammern, weil die Interessenvertretung schon ihre Bedeutung für das Funktionieren der Sozialpartnerschaft hat, wenn sie nicht bloß der Popularität einer Interessengruppe dient. Ich bin aber dafür, daß man das Aufgabenge- biet neu und klarer definiert. Man kann auch die Frage stellen, ob nicht in einer Urabstimmung einzelne Be- rufsgruppen darüber befinden sol- len, ihre Kammer aufzulösen.

FURCHE: Ist die große Koalition der künftige Weg, diese Vorhaben durchzubringen?

RIEGLER: Wir werden uns um sie bemühen. Wie weit der Konsens geht, wird sich am Wahltag zeigen. Momentan überwiegen taktische Überlegungen.

FURCHE: Ist der Konsens mit den Sozialisten heute größer als mit den Oppositionsparteien?

RIEGLER: Insofern, als die Frei- heitliche Partei aus taktischen Überlegungen heraus die Opposi- tionsrolle befürwortet.

FURCHE: Außer die FPÖ wird so stark, daß Jörg Haider kommen zu müssen glaubt.

RIEGLER: Das ist für mich nicht ernstzunehmen. Das sind ja An- wandlungen von Größenwahn. Ich kann in keine ernsthafte politische Diskussion ziehen, wenn jemand sagt, daß er bei einem Stimmenan- teil von 20 Prozent den Anspruch auf den Kanzler erhebt. Das ist ja lächerlich.

Mit Vizekanzler Josef Riegler - heute Don- nerstag im „Inlandsreport" - sprach Franz Gansrigier.

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