6823224-1973_48_17.jpg
Digital In Arbeit

Konsensusdemokratie?

19451960198020002020

Nachdem der Wirtschäftsbeirat zumindest für die interessierte Öffentlichkeit seit mehreren Jahren von der wirtschaftspolitischen Bild fläche verschwunden ist und offensichtlich nicht annähernd jene Aktivität entwickelt wie in den sechziger Jahren, erhebt sich die Frage, ob und, wenn ja, warum dieses einst so vielgepriesene und vielbewunderte Kind der Paritätischen Kommission sich im Sand verlaufen hat. Diese Überlegung muß zu der zweiten Frage führen, ob nicht der Wirtschaftsbeirat nur auf einem Weg vorangeschritten ist, auf dem ihm bald auch die Paritätische Kommission folgen wird. Um es kurz zu mächen, eine derartige Entwicklung kann durchaus eintreten, sollte aber •nicht eintreten.

19451960198020002020

Nachdem der Wirtschäftsbeirat zumindest für die interessierte Öffentlichkeit seit mehreren Jahren von der wirtschaftspolitischen Bild fläche verschwunden ist und offensichtlich nicht annähernd jene Aktivität entwickelt wie in den sechziger Jahren, erhebt sich die Frage, ob und, wenn ja, warum dieses einst so vielgepriesene und vielbewunderte Kind der Paritätischen Kommission sich im Sand verlaufen hat. Diese Überlegung muß zu der zweiten Frage führen, ob nicht der Wirtschaftsbeirat nur auf einem Weg vorangeschritten ist, auf dem ihm bald auch die Paritätische Kommission folgen wird. Um es kurz zu mächen, eine derartige Entwicklung kann durchaus eintreten, sollte aber •nicht eintreten.

Werbung
Werbung
Werbung

Die großen Wirtschaftsverbände „besitzen“ wichtige Bereiche autonomer wirtschaftspolitischer Entscheidungen von zum Teil großer Tragweite. Am wenigsten im Licht der öffentlichen Diskussion stehend, aber von größtem wirtschaftspolitischem

Am 18. November 1963 hat unter dem — in der Folge halbjährlich wechselnden — Vorsitz von Doktor Wolfgang Schmitz die konstituierende Sitzung des Beirates fUr Wirtschafts- und Sozialfragen stattgefunden. Die bisher letzte Koalitionsregierung und die ersten .Einparteienregierungen der ÖVP und der SPÖ unterhielten zum Beirat ein sehr unterschiedliches Verhältnis.

„Die Furche“ möchte die Vollendung des zehnten Beiratsjahres zum Anlaß nehmen, das Augenmerk der Öffentlichkeit auf den Beirat, die, in seiner Idee und in seiner Arbeitsweise derzeit ungenützten Potenzen zu lenken.

Die folgenden Autoren sind prominente gegenwärtige oder ehemalige Mitglieder des Beirates: DDDr. Alfred Klose vertritt die Bundeskammer als Leiter ihrer wirtschaftspolitischen Abteilung, Dr. Heinz Kienzl vertrat im Beirat bis 1968 den ÖGB und ist heute Generaldirektor der Oesterreichischen Nationalbank, der Bergbauernexperte Dipl.-Ing. Dr. Franz Stummer repräsentiert die Landwirtschaft und Dkfm. Dr. Otto Zöllner ist heute stellvertretender Kammeramtsdirektor der Wiener Arbeiterkammer. Prof. Horst Knapp ist Österreichs führender Wirtschaftsjournalist, der den Weg des Beirats seit seiner Gründung mahnend oder anregend, stets aber als interessierter Beobachter begleitet. (Siehe dazu auch unseren Beitrag von Wolfgang Schmitz in Nummer 47/1973 der „Furche“ unter dem Titel „Ungenützte Potenz? — Zehn Jahre Wirtschaftsbeirat“.)

und wirtschaftlichem Gewicht ist das Wirtschaftsimperium der Landwirtschaft, angefangen von den Lagerhausgenossenschaften bis zur Genossenschaftlichen Zentralbank. Daß der

Gewerkschaftsbund mit seinen angeschlossenen Gewerkschaften auf dem Gebiet der Lohnpolitik eine für das österreichische Wirtschaftsgeschehen ganz maßgebende Rolle spielt, ist jedermann bekannt, und daß schließlich die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, angefangen von der Preispolitik bis zur Wirtschaftsförderung, einen gewaltigen Einfluß auf die wirtschaftliche

Entwicklung nimmt, ist dem Kenner der Materie auch nicht neu.

Wenn die großen Verbände ihr politisches und wirtschaftliches Potential dm Kampf gegeneinander mobilisieren, kann für Österreich dabei nichts Gutes herausschauen. Aber

selbst wenn die Tätigkeit in diesen Bereichen unkoordiniert erfolgt, muß es zu schweren Friktionen kommen.

Natürlich kann die Regierung sich als Drehscheibe der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen betrachten, ein multilaterales Verhältnis mit den Wirtschaftsverbänden pflegen und dann mit dem Gewerkschaftsbund die Lohnpolitik, mit der Landwirtschaftskammer die landwirtschaftspolitische Preispolitik, mit der Handelskammer Maßnahmen der Währungspolitik beraten und beschließen.

Im anderen Modell, dem der Wirt-schiaf'tspartnerschaft, versuchen die Verbände im Gespräch miteinander Lösungen auszuarbeiten und mit der Regierung bilateral zu verhandeln. Dabei kann die Regierung selbstverständlich richtungweisend und als Katalysator für die verschiedenen Meinungsdifferenzen auftreten.

Die Regierung wird natürlich im ersteren Fall eine größere Bedeutung für die Wirtschaftspolitik haben als im zweiten. Ob das Ergebnis aber unter allen Umständen günstiger ist, kann bezweifelt werden. Politische Präferenzen bei den großen Wirtschaftsverbänden mögen ein Gespräch untereinander manchmal leichter erscheinen lassen als ein Gespräch mit der Regierung. Wenn man also zu dem Schluß kommt, daß das Verhältnis Wirtschaftspartner und Regierung zumindest in den wichtigen Punkten ein bilaterales sein kann, dann ist es naheliegend, innerhalb dieser Konstruktion auch eine wissenschaftlich arbeitende Körperschaft tätig sein zu lassen.

Aufgabe einer derartigen Institution war es und muß es auch sein, ideologisch auflockernd, das heißt rationalisierend zu wirken. Aufgabe

der fachlich orientierten Mitarbeiter der Wirtschaftsverbände kann es ja nicht sein, immer stärker und stärker ideologische Differenzen herauszuarbeiten und am Ende zu dem Schluß zu kommen, daß man eigentlich keine gemeinsame Gesprächsbasis hat, sondern zu versuchen, eben die gemeinsame Gesprächsbasis zu finden und zu erhalten.

Wenn aber wie eingangs erwähnt der Wirtschaftsbeirat verhältnismäßig selten und nur mit relativ wenig interessanten Problemlösungsvorvorschlägen an die Öffentlichkeit tritt, dann gibt es dafür verschiedene Erklärungen. Eine oberflächliche und sicherlich unrichtige wäre die, daß Stars abengagiert wurden. Eine viel tiefer gehende ist die Tatsache, daß sich die Landwirtschaft von der Sozialpartnerschaft schon seit langem distanziert hat und auch zum Teil aus politischen Gründen nur mit halbem Herzen und mit halber Hand mitwirkt. Noch wichtiger erscheint mir, daß die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft der Linie der ÖVP, der Linie der totalen Opposition immer mehr folgt. Die Bundeskammer scheint mir somit eine grundlegend andere Politik gegenüber der Regierung und der Opposition zu treiben als seinerzeit der Gewerkschaftsbund; dessen Lage war ja durchaus unterschiedlich von der der Bundeskammer.

In der Zeit der ÖVP-Alleinregie-rung mußte der Gewerkschaftsbund ein wenig um seine Einheit besorgt sein, viel mehr offensichtlich als gegenwärtig die Bundeskammer. Die sozialistische Gewerkschaftsfraktion stellte sich darüber hinaus auf den Standpunkt, daß eine Kooperation mit der ÖVP-Alleinregierung dann auch für die SPÖ vorteilhaft sein wird, wenn das Ergebnis der Mitwirkung des österreichischen Gewerkschaftsbundes als positiv von der Bevölkerung anerkannt wird. Die Bundeskammer und die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern haben offensichtlich eine solche Überlegung nicht angestellt.

Vielleicht könnte als Erklärung für das Schattendasein des Wirtschaftsbeirates auch angenommen werden, daß kaum Probleme existieren, zu deren Lösung er aufgerufen werden könnte. Diese wäre aber sicherlich die Unzutreffendste. Der Kampf gegen den Inflationsdruck kann, nicht nur auf internationaler Ebene, sondern muß im ganz überwiegenden Ausmaß auf nationaler Ebene geführt werden. Er kann nicht von der Regierung allein getragen werden, sondern muß von den Wirtschaftsverbänden mitgetragen werden. Er kann nicht auf pragmatischen Von-Tag-zu-Tag-Lösungen beruhen, sondern muß auf langfristig haltbaren Konzepten aufbauen. Die neue weltwirtschaftliche Situation, die uns die näherrückenden Grenzen des Wachstums beschert hat, die Probleme, die ein voll ausgereifter Industriestaat hinsichtlich Lebensqualität aufwirft und nicht zuletzt die Probleme der wirtschaftlichen Neutralitätspolitik, deren Notwendigkeit uns der Erdölboykott klar vor Augen geführt hat, sind nur einige der großen Aufgaben, vor denen die österreichische Wirtschaftspolitik steht und zu deren Bewältigung sie das intellektuelle Potential und den

wirtschaftspolitischen Einsatz der Wirtschaftsverbände dringend benötigt.

Der Wirtschiaftsbeirat hat also Aufgaben, er hat auch wie ich als Kenner der Personen beurteilen kann, die nötigen Persönlichkeiten unter seinen Mitarbeitern. Was gegenwärtig fehlt, ist offensichtlich also nur der Wille, ihn einzusetzen und den seinerzeit so erfolgreich beschnittenen Weg der Konsensusdemokratie weiter zu verfolgen. Denn

Konsensusdemokratie heißt ja nicht, daß Dinge zerredet werden, oder so lange aufgeschoben werden, bis unter dem übermächtigen Druck der Notwendigkeiten der Konsens herbeigeführt wird.

So dringend sollen aber die Probleme nicht werden. Unser Ziel kann es daher nur sein, sie schon früher bewußt zu machen und.früher rationale und akzeptable Wege für ihre Lösung zu entwickeln. In diesem Rahmen und in diesem Sinne sollte daher auch der Wirtschaftsbeirat tätig sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung