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Konsequenzen ziehen

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Auf den ersten Blick wirken Phi- lip Abelsons Überlegungen recht überzeugend. Die Warnung vor überstürzten Maßnahmen hat et- was für sich. Jedes politische Han- deln mit langfristigen Folgen sollte tatsächlich wohl überlegt sein. Es stimmt auch, daß man wissenschaft- liche Modelle - auch wenn sie sich auf viele Gleichungen, viele Beob- achtungen, viele Computerberech- nungen stützen - nicht als treffsi- chere Prognose-Instrumente anse- hen darf. Das trifft besonders für Klimaprognosen zu. Trotz aller Fortschritte, die durch Satelliten- Beobachtung und Ausbau eines weltweit koordinierten Meßsystems der Wetterbeobachtung möglich wurden, bleibt das Wissen über we- sentliche Zusammenhänge immer noch lückenhaft.

Das stimmt alles. Und es ist auch gut, wenn jemand die Schwächen der Wissenschaft anspricht und vor ihrer Überbewertung warnt. Aber zu denken gibt mir doch, wenn dies gerade in einer Zeitschrift ge- schieht, die im allgemeinen für die Wissenschaft auf die Barrikaden steigt und die von einem Weltbild geprägt ist, in dem Wissenschaft als ein ( wenn nicht sogar der ) Heils- bringer angesehen wird.

Daher lohnt es sich, die Argu- mente Abelsons etwas näher zu betrachten und auf ihre Stichhal- tigkeit abzuklopfen. Es stimmt si- cher, daß es heute nicht möglich ist, genau zu sagen, wie hoch der CO,- Gehalt der Atmosphäre im Jahr 2050 sein wird. Aber ist das so wichtig? Genügt es nicht festzu- stellen, daß die Konzentration die- ses Gases in der Erdatmosphäre in einem bisher nicht gekannten Maß zunimmt? Daß es deutliche Hin- weise auf einen langfristigen Tem- peraturanstieg, einen Rückgang der Gletscher, ein Ansteigen der Mee- restemperatur und des Meerespie- gels gibt? Klarerweise wird es schwer sein, ein so vielfältiges Geschehen, das andere Merkmale in der Antarktis als im Äquatorial- bereich hat, leicht auf einen einfa- chen Nenner zu bringen, es mit wenigen Zahlen zu beschreiben. Aber genügen die vielen Hinweise nicht schon? Vor allem, wenn theo- retisch geklärt ist, daß erhöhte CO,- Konzentration langfristig zur Er- wärmung führt?

Dazu kommt, daß ja C02 nicht das einzige Gas ist, das den Treib- haus-Effekt hervorruft. Bei dem Gebräu an Abgasen, das wir dau- ernd in die Luft blasen, kann kein Mensch wirklich vorhersehen, wel- che potenzierende oder kompen- sierende Wirkung diese Stoffe auf- einander haben.

Daher ist Abelsons Argument mit den schwer vorhersehbaren Folgen der Wolkenbildung auch nicht ziel- führend. Es genügt, daß ihre Be- rücksichtigung nicht eindeutig zu einer Aufhebung des Treibhaus- Effektes führt, sondern immer noch einen Temperaturanstieg erwarten läßt, um auf Maßnahmen zu drän- gen.

Mich erinnert die Argumentation in „Science" an die Debatte um den Abbau der Ozon-Schicht. Da wur- de auch jahrelang gestritten, wie bedeutsam die Berechnungen, wie genau die Beobachtungen seien. Bevor nicht Sicherheit bestünde, wollte man auf Maßnahmen ver- zichten. Und jetzt haben wir end- lich das Ozon-Loch - aber ins Gewicht fallende Konsequenzen werden immer noch nicht gezogen.

Es stimmt auch, daß es kaum möglich ist vorherzusagen, was eine Verdoppelung des C02-Gehalts der Atmosphäre genau bewirken wird. Das wird die Wissenschaft erst dann beantworten können, wenn sie es beobachtet hat. Denn die Wissen- schaft ist immer vergangenheits- orientiert. Sie schöpft ihr Wissen aus dem, was stattgefunden hat. Wissenschaftlich wird sich die Er- wärmung erst dann ausreichend zu- verlässig beschreiben lassen, wenn sie stattgefunden hat. Wollen wir die Erwärmung aber vermeiden, müssen wir auf eine hieb- und stich- feste Beweiskette verzichten und schon auf Indizien reagieren.

Relativierende Aussagen wie die von Abelson - auch wenn sie mit dem Appell zu Handlungen schlie- ßen - haben nämlich die fatale Eigenschaft, die ohnedies bestehen- de Trägheit politischer Entschei- dungsträger zu verstärken. Das Verhalten der USA bei der j üngsten Umwelt-Konferenz ist ein Beweis dafür.

Im Grunde genommen ist die Kritik an der Position Abelsons aber noch tiefer anzusetzen. Wieso sind eigentlich jene, die vor Gefahren warnen, beweispflichtig?Eigentlich wären alle jene, die heute behaup- ten, man könne ohne rasche und drastische Maßnahmen auskom- men, aufgerufen, den Beweis für ihre Behauptung zu erbringen.

Immerhin wissen wir, daß das Ökosystem in der bisherigen Kon- stellation einen überlebensträchti- gen Rahmen für menschliches Le- ben abgegeben hat. Wer die beste- henden Gleichgewichte durch Ein- griffe Verändert, müßte beweisen, daß diese Eingriffe unbedenklich sind.

Wann wird sich diese Einsicht endlich durchsetzen? Sie ist auch ökonomisch sinnvoll. Immerhin wissen wir, daß wir in einem nicht beliebig belastbaren Ökosystem leben, das durchaus auch plötzlich und unumkehrbar umkippen kann, vielleicht noch bevor es zur Ver- doppelung von CO, kommt. Eine Sanierung würde uns dann total überfordern. Die Erwärmung der Erdatmosphäre wäre ein solcher kaum wieder gut zu machender Schaden. Wenn da auch nur der ge- ringste Verdacht besteht, daß dies- bezüglich Bedrohungen lauern, kann man gar nicht rasch und konsequent genug reagieren. Das können wir uns auch viel kosten lassen. Es käme uns immer noch billiger, als die Folgekosten einer weltweiten Umweltkatastrophe.

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