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Konservierte Vergangenheit

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Demolierte Biedermeierbauensembles, zum Beispiel in Baden. Abbröckelnde Palast- und Kirchenfassaden. Statuen auf Dach-bekrönungen werden von Abgasen zerfressen. Decken- und Wandfresken in Schlössern, Kirchen, Klöstern verblassen; Regen dringt durch kaputte Dächer und zerstört sie. Und immer wieder mutwillige Verschandelungen in Kirchen ... Die Bilanz gefährdeter österreichischer Kunstwerke, vor allem der weniger beachteten Denkmäler in Kleinstädten und auf dem Lande, ist erschreckend: Ein Riesenheer von Restauratoren müßte in ständigem Einsatz dem durch Luftverschmutzung, Budgetknappheit, vor allem aber auch durch Unkenntnis und gewissenlose Spekulationswut der verantwortlichen Eigentümer beschleunigten Verfall des Kulturbesitzes aufhalten.

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Demolierte Biedermeierbauensembles, zum Beispiel in Baden. Abbröckelnde Palast- und Kirchenfassaden. Statuen auf Dach-bekrönungen werden von Abgasen zerfressen. Decken- und Wandfresken in Schlössern, Kirchen, Klöstern verblassen; Regen dringt durch kaputte Dächer und zerstört sie. Und immer wieder mutwillige Verschandelungen in Kirchen ... Die Bilanz gefährdeter österreichischer Kunstwerke, vor allem der weniger beachteten Denkmäler in Kleinstädten und auf dem Lande, ist erschreckend: Ein Riesenheer von Restauratoren müßte in ständigem Einsatz dem durch Luftverschmutzung, Budgetknappheit, vor allem aber auch durch Unkenntnis und gewissenlose Spekulationswut der verantwortlichen Eigentümer beschleunigten Verfall des Kulturbesitzes aufhalten.

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Gerade in diesem kritischen Moment zeigt die Sektion Restauratoren der Berufsvereinigung bildender Künstler im Kronprinzenappartement des Schlosses Schönbrunn eine Ausstellung „Rettung von Kunstwerken“. Eine enorm wichtige Schau, weil sie die Aufgabe hat, das Gewissen der Bevölkerung den österreichischen Kulturgütern gegenüber zu wecken und auf die Probleme der Erhaltung von Kunstobjekten und auf wichtige Rettungsmaßnahmen aufmerksam zu machen. Denn Rettung von Kunstwerken ist längst nicht mehr allein das Problem einer überforderten staatlichen Zentralstelle, des Bundesdenkmal-amtes, und einiger weniger Experten, der staatlichen Restauratoren in den Museen. Die sachgemäße Rettung der österreichischen Kunst- und Kulturbestände, der hunderten Burgen, Schlösser, Paläste, Kirchen, Klöster, Pavillons, Gärten, der zahllosen Bauskulpturen, Gemälde, Fresken, dekorativen Holzarbeiten, Bibliotheksbestände in Privatbesitz usw. fordert heute mehr denn je Privatinitiative, die aktive Denkmalpflege im weitesten Sinne. Denn es ist — ob es nun Gemeinden, Banken, Versicherungen, Realitätenspekulanten wahrhaben wollen oder nicht — längst keine Frage, daß die Umweltqualitäten prinzipiell nicht durch Verdrängung des vorhandenen Kultur- und Umweltbestandes und allein durch dessen Ersatz durch meist unangemessene Neuschöpfungen verbessert werden können.

Nicht nur künstlerische und historische Werte des Lebensraumes erhalten durch diese Einstellung ein neues Gewicht, sondern vor allem auch die unersetzlichen Psychotope.

Die Bedeutung der Privatinitiative wird gerade jn „Krisenzeiten“ spürbar. „Wir leben in einer Epoche, in der der Materialverschleiß, auch der bei alten Kunstwerken, enorm groß ist“, warnte schon vor Jahren Denkmalamtpräsident Dr. Erwin Thalhammer: „Vieles geht einer End-

phase entgegen. Wenn wir nicht rettend eingreifen und die Substanz erneuern, geht gerade jetzt viel zugrunde und ist für die Nachwelt endgültig verloren!“

Aber wie soll etwa das Bundes-denkmalamt mit seinem armseligen Budget von etwa 20 Millionen Schilling Wunder wirken, wo hunderte Millionen für Soforthilfe notwendig wären? Man kennt den Riesenkatalog der in Wien und den Bundesländern „dringenden Fälle“, man

weiß, wie man heute überall immer nur gerade das vor dem Verfall rettet, was in höchster Gefahr ist: einmal die Kuppel der Wiener Karlskirche, dann die Plastiken der Votiv-kirche, dann wieder die Fassade irgendeines Palais... Und nur in wenigen Fällen ist großzügige Planung möglich: wie etwa bei der Schalla-burg, deren Terrakottenhof seit Jahren systematisch instand gesetzt wird, oder bei Schloß Niederweiden, das eben saniert werden mußte oder es wäre für immer verloren gewesen.

Aber gerade die aktive Denkmalpflege von privater Seite, das zeitgerechte AufmerksammaChen und Eingreifen, das für später viele Millionen erspart, ist in Österreich noch immer spärlich anzutreffen: Das Unverständnis, mit dem noch immer Versicherungen, Banken, Geschäftsunternehmungen aller Art kostbare Ortsbilder verschandeln, nur um der Bevölkerung „mitzuteilen“, daß auch diese Firma an der allgemeinen Konjunktur ihren Anteil hat, scheint kaum einzudämmen. Wie oft fallen noch immer schöne alte Portale „modernen Gestaltungen“ zum Op-

fer, über deren Provinzialismus und elenden Geschmack wir schon heute lachen. Oder mit welcher Ungeniertheit räumen auch heute noch Hausherren in den einstigen Kurorten (Ischl, Payerbach-Reichenau, Baden usw.) von ihren Häusern des 19. Jahrhunderts Statuen und Vasen ab, wenn sie nicht überhaupt Fenstersimse und Pflaster abschlagen lassen und diese Bauten so zu bewohnten Ruinen, zu Mahnmalen eines miserablen, total verrotteten Geschmacks machen... In der Wiener Innenstadt scheint dies alles durch das bevorstehende Altstadtschutzgesetz und den Ensembleschutz halbwegs gebannt. Aber was geschieht außerhalb des Zentrums? Da fallen weiterhin die schönsten Empire- und Biedermeierhäuser Bodenspekulationen zum Opfer, da werden auch weiterhin Parks teilweise verschandelt und ruiniert (Sternwartepark, Augarten), da fällt Allee um Allee irgendeiner Straßenverbreiterung zum Opfer, als ob der Verkehr das einzige Maß des Menschen geworden wäre. Und selbst wo man heute Alleen und Grünanlagen schaffen könnte, kümmert sich kein Mensch mehr darum. Weil man sich im Zuge der allgemeinen Verödung und optischen Verwüstung der Großstädte (Paradebeispiel : Simmeringer Hauptstraße) kaum noch darum kümmert, ob in den Straßen, diesen Tankstellenfriedhöfen, die „Optik stimmt“, ob diese Straßenbilder noch leben und für den Menschen tragbar sind.

Wie aber muß eine Bevölkerung denken, wie muß sie dem Schutz alter Kulturgüter gegenüberstehen, wieviel Verständnis kann sie der Erhaltung alter Höfe und Häuserzeilen entgegenbringen, wenn ihr von Staat und Gemeinden stets nur die Anleitung zur geistigen und optischen Verödung geliefert wird? Wird sie in Kulturdenkmälern nicht naturgemäß bloß verkehrsbehindernde, abbruchreife Objekte sehen?

Man weiß schon, welche Aufgabe diese Schönbrunner Ausstellung eigentlich augeteilt bekommen hätte: Zu zeigen, mit welch vielfältigen verantwortungsvollen Arbeitsbereichen Restauratoren konfrontiert werden, welche Probleme Konservierungen aller Art schaffen; und zu beweisen, daß ohne die Arbeiten von Restauratoren und Konservatoren keine aktive Denkmalpflege möglich ist, eine Denkmalpflege, die mit den kulturellen Bedürfnissen unserer Gesellschaft untrennbar verbunden ist. Im Ergebnis erfüllt die Ausstellung diesen Anspruch kaum: eine mehr oder minder zusammenhanglose Schau, was Restauratoren in den letzten Jahren gearbeitet haben; Objekte verschiedener Qualität, über deren Restaurierung ein paar technische Angaben im Katalog vermerkt sind. Das Ganze in einer trostlosen, langweiligen, möglichst unvorteilhaften Aufstellung, die eher an einen stillosen Verkaufsladen erinnert, und obendrein vor der Kulisse

der architektonischen (vor allem in den Stukkaturen) unerhört reizvollen, aber im Erhaltungszustand ein wenig verkommenen Kronprinzenappartements, wo Kaiser Franz Josephs Eltern und später Kronprinz Rudolf wohnten.

Man hat es sich etwas zu leicht gemacht, bloß zu zeigen, was da ein paar Institute und ein paar Restauratoren gearbeitet haben, und mit ein paar Photos zu belegen, wie ein Objekt vor und nach der Restaurierung aussieht. Es geht eigentlich um mehr: Vor allem darum, daß man der breiten und weil völlig uniformierten auch desinteressierten Bevölkerung endlich klarmachen müßte, wa-rum man -zig Millioen, demnächst vielleicht schon viel mehr, in die Rettung von Kunstwerken wird stopfen müssen. Denn der Laie steht fast immer verständnislos vor dem Problem des Konservators und fragt bestenfalls „was. brauch ma das?“ wenn er hört, was die Restaurierung irgendeines Festsaals oder eines Gemäldezyklus oder einer skulpturenbesetzten Attika kostet. Gerade zu belegen, worum es geht, hat Irtan hier gründlich versäumt.

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