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Konsum ist kein Rohstoff

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Es klappt wieder. Die Tempolimits fallen, die Autofasttage sind aufgehoben, auf den Straßenaltären für Gott Auto können die Menschenopfer wieder dargebracht werden. Die Hausfrauen suchen beim Zeitungsstand 100 Kilo gehamsterten Reis an den Mann bzw. die Frau zu bringen und der Rest vom halbverzehrten Huhn wird wieder in den Mülleimer befördert. Man hat's ja. Und genießt, weil man für den Genuß geboren ist.

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Es klappt wieder. Die Tempolimits fallen, die Autofasttage sind aufgehoben, auf den Straßenaltären für Gott Auto können die Menschenopfer wieder dargebracht werden. Die Hausfrauen suchen beim Zeitungsstand 100 Kilo gehamsterten Reis an den Mann bzw. die Frau zu bringen und der Rest vom halbverzehrten Huhn wird wieder in den Mülleimer befördert. Man hat's ja. Und genießt, weil man für den Genuß geboren ist.

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Fernher vernommene Gerüchte von einem katastrophalen Mangel an Eiweißfutter und Kunstdünger und von anderen Lächerlichkeiten, so von einer Knappheit an Zeitungs-rotationspapier und, infolge chinesischer Graßkäufe, an Kupfer, stören den Wohlstandskonsumenten nicht. Zusammenhänge zur heimischen Versorgung, euwa zwischen der peruanischen Futtermittelproduktion und dem inländischen Eierangebot und -preis, sind für den Genußmenschen spanische Dörfer. Mit sowas befaßt er sich nicht. Drohender Weizenmangel, vielleicht schon 1974, sicher aber später, kann ihm nur ein ironisches Lachen entlocken. Er ist sowieso Hauptkonsument von Schweinefleisch.

Auch der Preis geniert ihn nur am Rande. Keine Benzinpreissteigerung kann den Sonntagsausflug ins Weiße, Grüne oder Blaue, keine Bierpreissteigerung den Genuß einer Löschaktion verhindern. Preissteigerungen umgeht man doch mit Lohnforderungen — 10 Prozent, 16 Prozent, 38 Prozent „Abgeltung“. -Auf die Idee, statt dessen den Genuß zu beschränken, kommt man weder privat ■ noch öffentlich. Mancherorts ist zwar der private Einkauf um ein paar Prozent gesunken, aber der Grund ist feststellbar: man spart bei Gemüse und Obst, aber beileibe nicht bei Bier und Benzin. Auch der Staat baut an seinen „Cheopspyramiden“ weiter, an Ausstellungen, Olympiaden, Vergnügungsinseln, Pala verhallen für Speseneuropäer und verwandte Typen, und Nulltarife werden als politische Kußhändchen nach allen Seiten verschickt — nur die Konzentration auf das Lebensgewicht, etwa auf die Beschaffung von Eisenbahnwaggons, Spitalsbetten, Treibstoff- und Lebensmittelvorräten wird aus dem Bewußtsein verdrängt. Das wäre konservativ, nostalgisch, romantisch. In- den Ämtern wird das Abschalten des Lichts beim Verlassen des Raumes vorgeschrieben, aber die Ver-sohwendungstarife bei Strom (mit Zwang zu einer Mindestabnahme) werden nicht durch Spartarife (Mehrkosten bei Mehrverbrauch) ersetzt. Man kann Wachstum und Genuß nicht stören.

Es wird jedoch immer zweifelhafter, ob man die Benzinimporte mit Münzverschlechterung nach mittelalterlichem Fürstenbrauch, z. B. durch Verringerung oder Beseitigung des Edelmetallgehalts oder durch Papiergeldvermehrung wie in der Zeit Napoleons vor 170 Jahren bestreiten kann. Lohnerhöhungen in Inlandsgeld interessieren die Lieferanten absolut nicht, die Scheichs und Schahs verlangen Edeldevisen und Gold. Man wird sich daher eines Tages fragen müssen, ob man die Währungsreserven für Sonntags-aütos, für Ausflugsbenzin, für tropisches Luxusmöbelholz, für Whisky und Wodka ausgeben kann. In manchen Ländern, so in Israel und sogar in den USA, hat man schon erkannt, daß der Inlandskonsum letzten Endes keine praktikable Konjunkturstütze ist und die Teuerung nicht eine Aufforderung zur Lohnerhöhung, sondern zur Konsumeinschränkung ist. Es ist sicher bitter, wenn es in Israel nur noch 20 Dekagramm Fleisch pro Kopf und Woche gibt und die Regierung dieses Sonnenlandes trotz der Regenfluten dieses Winters den Import von Regenbekleidung zwecks Devisenersparnis verbietet. Aber mit Inflation wird man eben des Mangels nicht Herr.

Es ist dabei völlig gleichgültig, ob der Mangel relativ durch politische Erhöhung von Monopolpreisen wie beim Erdöl oder absolut wie bei Silber, Eiweißfuttermitteln oder Zuk-ker ist. Man wird zur Kenntnis nehmen müssen, daß zuwenig Rohstoff da ist und daß die Knappheit immer größer wird. Optimist ist nur noch der Genußmensch, von den Weltmärkten sind die Optimisten schon längst verschwunden. Sie sehen dort deutlicher, was auf uns zukommt.Zwei entscheidende Prozesse haben nämlich den point of no returm erreicht. Der eine ist die Verlagerung des Schwergewichts von der Final-zur Urproduktion, von der Konsum-zur Rohstoffindustrie. Hat man sich bisher seit Jahrzehnten bei geringen Rohstoffpreisen — verursacht durch günstige Lagerstätten, technisch vereinfachte Gewinnungsmethoden und billige Massentransportmittel — einem gigantischen Ausbau der Finalproduktion widmen und damit das Konsumzeitalter einläuten können, so kehren wir jetzt zur industriellen Struktur des vorigen Jahrhunderts zurück: notgedrungen wird jetzt wie einst die Urproduktion, die Energieerzeugung, die Rohstoff Industrie der große Kapitalschlucker, der Planungserste. Die billigsten Stellen für Wasserkraftwerke sind längst ausgebaut, jedes künftige Werk steht an komplizierterer und daher teuerer Stelle. Die billigsten Erdölquellen sind schon längst erschlossen, jetzt kann man nur noch kostspielig draußen im Ozean, im arktischen Eissumpf, im tropischen Regenwald Erdöl suchen und bohren. Mangan, unentbehrlich für die Stahlproduktion, geht auf den Kontinenten zur Neige, man findet es jeüoch reichlich in großen Meerestiefen, doch Um welchen Gewinnungspreis! In den USA baut man riesige Kohleverflüssigungsanlagen. Sie „verzehren“ ungeheures Investitionskapital, das der Finalindustrie entzogen wird, und der von diesen Fabriken gewonnene Energierohstoff ist alles andere als billig. Eisenerz aus hochprozentigen und marktnahen Vorkommen wird immer seltener, die Herstellung künstlicher, für die Industrie unentbehrlicher Diamanten ist aufwendiger als Gewinnung natürlicher Steine usw.

Kein Lohnkampf, keine Inflation kann der Genußsucht des Konsumenten die Straße zum billigen Rohstoff offenhalten, weil es den leicht zu beschaffenden Grundstoff nicht mehr gibt.

Der zweite Prozeß ist die blitzartige Ausbreitung des Tauschhandels. Das Land, das genügend Zucker produziert, kann sieh Erdöl ertausehen, Fleisch gebt gegen Gemüse, das Land mit Weizenüberschuß bekommt alle gewünschten tropischen Rohstoffe, Panzer gegen Benzin ist ein besonders beliebtes Geschäft. Wer nichts zu tauschen hat, bleibt im Straßengraben der Geschichte liegen. Denn das Spiel ist aus.

Wir werden uns entscheiden müssen, ob wir konsumierend zur Hölle fahren oder uns auf das Lebensnotwendige besinnen und beschränken. Einstweilen scheint man sich allerdings vom Dolce vita noch nicht lösen zu können. Man baut so noch immer riesige Freizeitzentren, während weätüber die „Grüne Revolution“ infolge Düngermangels zu den Akten gelegt und dem Gespenst des Hungers furchtbares Leben eingehaucht wird.

Man träumt noch immer den Traum des Konsumenten und bemerkt nicht, daß längst eine Wiederaufführung der Vertreibung aus dem Paradies gespielt wird. Wohl hat manches in dem Stück die moderne Regie verändert, aber der Höhepunkt des Dramas, die Austreibung des Konsumenten durch das Gartentürl Edens in das Land der Tränen und Schweißperlen, steht uns unverändert bevor.

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