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Kontinuität oder Wende ?

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Am 16. März wählen die Franzosen die Nationalversammlung und die Regionalparlamente. Alles spricht für ein Kopf-anKopf-Rennen zwischen den Sozialisten und Bürgerlichen.

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Am 16. März wählen die Franzosen die Nationalversammlung und die Regionalparlamente. Alles spricht für ein Kopf-anKopf-Rennen zwischen den Sozialisten und Bürgerlichen.

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In Frankreich herrscht Wahlhektik. Dies, obwohl die seit 1981 regierenden Sozialisten mit dem Slogan „Confinuite tranquille" (ruhige Kontinuität) in den Wahlkampf gezogen sind und die Bürgerlichen die „alternace tranquille" (ruhige Wende) auf ihr Banner geschrieben haben. Nach der Einführung der Proporzwahl

durch die Sozialisten stehen für den nationalen Wahlgang vom 16. März neben der schon feststehenden Tatsache, daß keine Partei allein — wie etwa die Sozialisten im Juni 1981 — die absolute Mehrheit erzielen kann, zwei Fragen im Zentrum: Erstens, welche Partei wird als stärkste Fraktion in die Nationalversammlung einziehen? Zweitens, wird es dem bürgerlichen Gespann, also der demokratischen Union (UDF) und dem gaullistischen Volksrassem-blement von Jacques Chirac (RPR) gelingen, mehr als die Hälfte der 577 Abgeordnetensitze zu gewinnen?

Von diesen beiden grundsätzlichen Fragen wird abhängen, wen Präsident Mitterrand zum neuen Premierminister ernennen kann. Falls sich jedoch mit den Wahlen das heutige parteipolitische Umfragebild bestätigen sollte, wird Frankreich trotz der von den großen Parteien beschworenen Ruhe in eine längeranhaltende politi-

sehe Krise schlittern: 30 Prozent für die Sozialisten, 47 Prozent für die Wahlallianz der Bürgerlichen, 11 Prozent für die Kommunisten, 5 Prozent für die Rechtsextremen, 3 Prozent für die Ökologen und der Rest für die Linksliberalen und Linksextremen. Das schafft keine klaren Mehrheiten, vielmehr Trubel.

Francois Mitterrand ist einerseits als Staatspräsident Hüter der Verfassung und damit auch Präsident aller Franzosen. An-

derseits setzt er sich für seine politischen Freunde - die Sozialisten — ein, obwohl er damit rechnen muß, eines Tages mit den dann unerbittlichen Bürgerlichen zusammen die Geschicke des Landes zu leiten.

Mitterrand stellte seinen kämpferischen Einsatz vor Jahresende vor allem über die öffentlichen Medien unter Beweis.

Daraus ging hervor, daß er in keinem Fall bereit ist, seinen Präsidentenstuhl zu verlassen.

Nach jüngsten Meinungsumfragen wird Mitterrand nach einem langen Formtief überraschenderweise wiederum von der Hälfte der Franzosen geschätzt oder mindestens akzeptiert. An Popularität schlägt er seine Widersacher Giscard d'Estaing und Jacques Chirac hoch, liegt aber stark hinter dem sozial-liberalen Politiker und vor Jahren noch verachteten Ex-Premierminister Raymond Barre zurück.

Premierminister Fabius und der erste Sekretär der sozialistischen Partei, Lionel Jospin, führen einen auf drei Pfeilern abgestützten Wahlkampf. Zunächst verteidigen sie die selbst von einem bürgerlichen Wochenmagazin wie dem „Point" als „ehrenhafte Bilanz" bezeichneten Resultate von fünf Jahren Regierungszeit unter dem Doppel-Etikett: Gelungene Strukturreformen und Nachweis wirtschaftspolitischer Führungsqualität.

Tatsächlich ist die linke Wirtschaftspolitik seit 1983 einigermaßen ins Lot gekommen, obwohl die Arbeitslosigkeit bis über 2,4 Millionen Arbeitslose (über neun Prozent der Gesamtbeschäftigten) angestiegen ist. Positiv schlägt hingegen der Kampf gegen die Teuerung (4,7 Prozent für 1985) zu Buch, negativ die bescheidene Wachstumsrate (1,5 Prozent für 1985) und zumal das Loch im Außenhandel von rund 25 Milliarden Francs. In zweiter Linie rufen die Sozialisten die Wähler auf, „nützlich", das heißt gleichzeitig gegen die Rechte sowie gegen die Kommunisten zu stimmen, um - drittens - nach den Wahlen eine Politik der „ruhigen Kontinuität" zu führen.

Auf der anderen Seite wollen die gemäßigten Rechtsparteien mit ihrer kürzlich verabschiedeten Regierungs-Wahlplattform auf praktisch allen Gebieten den Staatseinfluß zurückbinden und ein umfassendes Reprivatisie-rungsprogramm zunächst für die Banken und von den Sozialisten 1982 verstaatlichten Großunternehmen einleiten.

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