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Kontraste der Sicht

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Im Burgtheater wurde das Stück eines Österreichers abgelehnt, weil sich die Aufführung, wie man lesen konnte, mit der Würde des Hauses nicht vereinbaren lasse. Dieses Stück hieß „Ein Fest für Boris" von Thomas Bernhard. Es kam dann, mit großem Erfolg bei allen maßgeblichen Kritikern, in Hamburg heraus. Eine Besprechung der Fernsehaufzeichnung brachte die FURCHE bereits. Nun, nach zweieinhalb Jahren, spielt es das Burgtheater doch in seiner zweiten, dem Haupthaus an „Würde" gleichgestellten Bühne. Nach zweieinhalb Jahren, ein für Wien typischer Fall.

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Im Burgtheater wurde das Stück eines Österreichers abgelehnt, weil sich die Aufführung, wie man lesen konnte, mit der Würde des Hauses nicht vereinbaren lasse. Dieses Stück hieß „Ein Fest für Boris" von Thomas Bernhard. Es kam dann, mit großem Erfolg bei allen maßgeblichen Kritikern, in Hamburg heraus. Eine Besprechung der Fernsehaufzeichnung brachte die FURCHE bereits. Nun, nach zweieinhalb Jahren, spielt es das Burgtheater doch in seiner zweiten, dem Haupthaus an „Würde" gleichgestellten Bühne. Nach zweieinhalb Jahren, ein für Wien typischer Fall.

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Man denkt zunächst an Becketts „Endspiel", dessen beide Hauptfiguren aus der Fülle des Lebendigen auf eine Seinssituation reduziert sind, wobei die beiden Krüppel in den Mülltonnen als Annex wirken. Bei Thomas Bernhard weitet sich dieses Mülltonnenmotiv zu fünfzehn beinlosen Krüppeln in Rollstühlen. Die beinlose Hauptfigur, die „Gute", schenkt ihrem beinlosen Gatten Boris zu seinem Geburtstag in perversem Hohn Schaftstiefel und lange Unterhosen, worauf er in einem Wirbel der Gefühle — er schlägt wie rasend Pauke — stirbt. Man kann bei diesem Stück nicht so sehr von einer Seinssituation sprechen, sondern eher von einer physiologisch bedingten psychologischen Sondersituation, die aus einem ungeheuerlichen Haß gegen das Leben, wider die Weltordnung, als schauriges Sinnbild des Lebens verstanden werden soll. Die visionäre Kraft dieser Szenen macht sie zur Dichtung.

Im Akademietheater geht unter der Regie des Polen Erwin Axer die entscheidende Szene, das hohnvolle Schenken der Stiefel, der langen Unterhose, völlig unter. Das grelle Lachen der „Guten" am Schluß wird dadurch sinnlos. Bei Axer ist die haßvoll schaurige Bankettszene mit dem gezielten Schlag ins lebendige Leben lediglich eine gespenstische Show. Als „Gute" erweist Judith Holzmeister in ihrem monologartigen Gespräch mit der völlig schweigsamen Dienerin, das zwei Drittel des Abends währt, grandiose Intensität des Hohns, lächelnder Bissigkeit. Die beiden Schweigsamen: Martha Wallner ist als Dienerin dauernd unterdrückter Protest, Bruno Dallansky als Boris ganz debiler Idiot. Eindrucksam differenziert wirkt die Reihe der hemmungslos fressenden Krüppel an der langen Tafel. Eva Starowieyska bietet als Bühnenbild schwarze Wände, hohe weiße Türen, Tische.

Kleists Novelle „Die Marquise von O ..." hat vor vierzig Jahren Ferdinand Bruckner dramatisiert. Ihn reizte es, in dieser Marquise, die während einer Ohnmacht geschwängert wurde, die Mutterschaft an sich zu verherrlichen, wobei der Mann nichts weiter als ein Phantom ist. Nun hat auch der vor acht Jahren aus Ost-Berlin nach West-Berlin übersiedelte Hartmut Lange die stofflich von Rousseau herankommende Novelle unter dem Titel „Die Gräfin von Rathenow" als Komödie dramatisiert. Worum geht es ihm? Die Aufführung im Volkstheater gibt Antwort.

Die Begebnisse sind aus Italien nach Brandenburg in die Zeit der Napoleonischen Kriege verlegt, es ist ein Offizier der französischen Armee, der Marquis de Beville, der sich an der hier Gräfin von Rathenow genannten Witwe verging. Entscheidender Unterschied zu Kleist: Als die Gäfin von ihrer Familie verdächtigt wird, es mit dem Stallburschen Leopold getrieben zu haben, kommandiert sie ihn aus Trotz zu sich ins Bett, ein Befehl, dem der Domestike nur zögernd folgt Der Marquis findet sich damit ab. Das soll nun Sozialkritik sein, denn ohne Sozialkritik, so meint wohl der Autor, darf es heute kein Stück geben. Diese als Rache am Standesdünkel verpackte Bettgeschichte ödet an. Was sollen wir mit ihr? Die zarten Reize der Kleistschen Novelle gehen verloren, statt dessen entstand eine mit den primitiven Mitteln höchst durchschnittlicher Stückeschreiber verfaßte Szenenfolge.

Im Volkstheater hat man für diese Komödie, der Buchausgabe entgegen, die Neufassung mit dem psychologisch unwahrscheinlichen letalen Schluß gewählt: Der Marquis erschießt sich. Überdies wird die ganze Aufführung unter der Regie von Bernd Fischerauer mit lyrischer Musik von Tommaso Albinoni überlastet, Pseudotragisches ist da melodramatisch aufgeplustert, täuscht dennoch über Längen nicht hinweg. Doch sind die fragmentarischen Bühnenbilder von Christian Schieckel sehr wirksam, so gleich anfangs die Gartenmauer mit der Kutsche im dichten künstlichen Nebel. Gemessenes Spiel von Helmi Mareich als Gräfin. Verhaltene Glut erweist Peter Wolsdorf als Marquis, das Naturburschenhafte des Stallknechtes liegt Manfred Jaksch durchaus, in Abstand zu nennen ist Rudolf Jusits als Bursche des Marquis. Ein Autor unter den Darstellern: Peter Turrini führt als römischer Makler eine prächtige italienische Suada vor.

Ältere Menschen, die nichts zu tun haben, verbohren sich häufig in Wunderlichkeiten, die bis zu einem Tick ausarten können. Das zeigt der Amerikaner Paul Osborn in seinem vor 34 Jahren entstandenen Stück „Alter schützt vor Torheit nicht", das derzeit vom Volkstheater in den Wiener Außenbezirken aufgeführt wird. Was sich da bei vier ältlichen Schwestern, dreien ihrer Männer, einem Sohn und dessen Braut an mancherlei harmlos Verschrulltem begibt, verfolgt man recht gern. Osborn beobachtet gut, er verzichtet sehr berechtigt auf schwankhafte Wirkungen, übersteigert die Vorgänge aber auch nicht ins allzu Ernsthafte, was der Vorwurf kaum vertragen würde. Ansprechende Aufführung unter der Regie von Karl Schuster, bei der vor allem die Damen zur Wirkung gelangen: Erika Ziha, Marianne Gerzner, Erna Schickel, Trude Hajek, Maria Urhan. Maxi Tschunko entwarf das nette Bühnenbild.

Der Autor des derzeit in den Kammerspielen aufgeführten Stückes „Ein Zimmer für zwei" heißt Francis Veber. Er bekennt, daß es in seiner Familie vierzehn Autoren gab, sein Vater war Drehbuchautor, die Mutter Romanschriftstellerin, der Großvater Verfasser von Vaudevilles und sein Großonkel Tristan Bernard hatte sich als Lustspielautor, wie man weiß, einen sehr bekannten Namen geschaffen. Nach alledem ist offenbar für den Nachkommen nicht viel übriggeblieben, das Talent des Geschlechts hat sich im Lauf der Zeit verbraucht. Das beweist dieses Stück, in dem sich ein Berufskiller, der einen Prominenten bei einer Auffahrt mit Zielfernrohrgewehr umzulegen hat, in ein — Hotelzimmer einmietet, für das, wie sich herausstellt, schon die Anmeldung eines Vertreters angenommen wurde. Zeichen der Zeit: Der Killer als Lustspielfigur! Witzig soll es wirken, daß der präsumptive Mörder den andern den ganzen Abend hindurch nicht loswird. Lahmes Stück. Unter der Regie von Edwin Zbonek werden die beiden Hauptrollen von Sieghardt Rupp und Alfred Böhm in ihrer bekannt routinierten Art gespielt.

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