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Kontrolle kann niemals Vertrauen ersetzen

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Wird nicht bei der A ufklärung der Unregelmäßigkeiten rund um das Wiener A llgemeine Krankenhaus nur der längst gehegte Verdacht des kleinen Mannes bestätigt? Meinungsumfragen hatten schon vor einiger Zeit auf das angekratzte Image von Politikern und Beamten aufmerksam gemacht. Auch die Tatsache, daß unüberschaubare Riesenprojekte breiten Spielraum für Unredlichkeiten bieten, ist nicht überraschend.

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Wird nicht bei der A ufklärung der Unregelmäßigkeiten rund um das Wiener A llgemeine Krankenhaus nur der längst gehegte Verdacht des kleinen Mannes bestätigt? Meinungsumfragen hatten schon vor einiger Zeit auf das angekratzte Image von Politikern und Beamten aufmerksam gemacht. Auch die Tatsache, daß unüberschaubare Riesenprojekte breiten Spielraum für Unredlichkeiten bieten, ist nicht überraschend.

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Alle gesellschaftlichen Systeme beruhen auf dem Zusammenwirken von zwei Komponenten:

einer funktionalen, weitgehend der Rationalität unterworfenen, auf Leistungserbringung und Zweckhaftigkeit ausgerichteten Dimension

und einer personalen, dem wissenschaftlich-technischen Zugang weitgehend entzogenen Komponente, die nach metarationalen Kriterien funktioniert.

Die Verläßlichkeit im personalen Bereich beruht notwendigerweise auf Eigenschaften wie Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit, Zuverlässigkeit und Treue der jeweils beteiligten Personen. Vertrauen ist eine notwendige Voraussetzung in diesem Bereich.

Es ist eine Illusion zu glauben, daß man diese Eigenschaft durch noch so komplizierte Kontrollmechanismen ersetzen kann. Die Systeme des Ostblocks beweisen das drastisch. Dort blüht Korruption in einem für westliche Verhältnisse verblüffenden Ausmaß, trotz aller Versuche, die Systeme organisatorisch zu perfektionieren.

Das bedeutet aber, daß sich die personale Dimension nie perfekt vorprogrammieren läßt. Sie wird nie frei von!* Überraschungen sein, aber auch nie frei von Enttäuschungen.

Anders ist der Anspruch des wissenschaftlich-technischen Bereichs gesellschaftlicher Systeme. Hier gilt das der Zuverlässigkeit. Gefordert wird, daß alles, wie vorausberechnet, eintritt. Abweichungen sind hier nicht zulässig. Sie sind zu bekämpfen.

Ein wesentlicher Irrtum in unserer Zeit besteht darin, daß wir Organisation und gesellschaftliche Systeme nur vom technisch-wissenschaftlichen Aspekt her begreifen. Das wirkt sich vor allem bei der Anstellung aus: Gesucht wird der funktionstüchtige Manager, der in seinem Fachbereich sattelfeste Spezialist. Ausgeklügelte Verfahren testen möglichst „objektiv" diese Fähigkeiten.

Schwerer erfaßbar, weniger hoch eingeschätzt und daher nur wenig berücksichtigt werden jedoch alle jene Fähigkeiten, die für die verläßliche Funktionsweise des oben erwähnten personalen Bereichs erforderlich sind.

Im Gegenteil vielfach ist man an Personen interessiert, „die sich's schon richten können", die einen „gesunden Egoismus" haben, die „über Leichen gehen können", die „einen g'sunden Schmäh' haben" und andere Leute „einseifen" können, die „ nicht alles so genau nehmen".

Man muß sich einmal ernsthaft fragen, in wievielen Unternehmen, öffentlichen Institutionen, politischen Parteien wirklich die für die Funktionsweise des personalen Bereichs wichtigen Fähigkeiten wie Treue, Redlichkeit, Wahrhaftigkeit die Auswahlkriterien für den Aufstieg in der Hierarchie darstellen.

Ohne es wissenschaftlich belegen zu können kommt mir vor, daß vielfach doch hemdsärmeliges Durchsetzungsvermögen, eine Portion Geschick im Intrigenspiel, eine gewisse Schauspielerische Begabung des Blendens und Vortäuschens von Fähigkeiten, eine gewisse gut dosierte liebedienerische Unterwürfigkeit im Umgang mit den richtigen Vorgesetzten eine gute Erfolgsmi-

schung für den Aufstieg auf der Karriereleiter darstellen.

Darf man sich dann darüber wundern, daß dieser einfach nicht auszuschaltende personale Bereich auf die Dauer nicht funktionieren kann?

Noch schwerer wiegen diese Bedenken in einer Gesellschaft - und es sei hier nicht weinerlich beklagt, sondern nüchtern festgestellt -, die rein materialistisch orientiert ist. In der Erfolg und Glück im wesentlichen Ausmaß am materiellen Standard gemessen und dargestellt wird. In einer solchen Konstellation müssen einfach materielle Anreize, Provisionen, Honorare aber auch Bestechungsgelder eine ganz wesentliche Motivationskraft haben.

„Man muß sich fragen,... in wievielen Unternehmen,... politischen Parteien ... Fähigkeiten wie Treue, Redlichkeit, Wahrhaftigkeit die A uswahlkriterien für den Aufstieg ... darstellen."

Unter solchen Voraussetzungen und in einem solchen Klima kommt der Größenordnung, in der heute vielfach Geschäfte abgewickelt und Aufträge vergeben werden, eine besondere Bedeutung zu. Beim derzeitigen Geldwert endet die Vorstellung des Normalverbrauchers etwa in Größenordnung 5 bis 10 Millionen Schilling. Das entspricht dem Doppelten bis Dreifachen einer schön eingerichteten Wohnung oder eines Hauses mit schönem Grund.

Beträge, die darüber hinaus gehen werden zwar im Alltagsleben immer wieder erwähnt, wenn es um Wirtschaftsstatistiken, Budgetzahlen oder Umsatzziffern von größeren Wirtschaftseinheiten geht. Welche Werte allerdings dahinterstecken ist nur mehr kaum vorstellbar.

Nun wickeln aber alle Länder, im Westen wie im Osten, einen immer größeren Teil ihrer Aktivitäten über öffentliche Budgets ab. In ihrem Rahmen werden Milliardenbeträge für Aufträge an die Wirtschaft vergeben.

Mit wachsender Projekt- und Auftragsgröße nehmen nicht nur die Beträge zu, die im Spiel sind, sondern vor allem auch die Unüberschaubarkeit. Diese Unüberschaubarkeit tritt in vielen Bereichen zutage: Wie am Beispiel des Allgemeinen Krankenhauses in

Wien offenkundig wurde ist es zunächst einmal eine technische Unüberschaubarkeit.

Das Zusammenführen und Koordinieren von Fachwissen in sehr spezialisierten Teilbereichen ist nun einmal schwierig und funktioniert vielfach nicht. Mag es vom Standpunkt einer ökonomischen Vorgangsweise zweckmäßig sein, für ein Großkrankenhaus etwa die Sterilisierung der Geräte zentral durchzuführen, so mag es für manche Spezialabteilung mit spezifischer Ausrüstung äußerst ungünstig sein, bei dieser Dienstleistung von einer Zentrale abhängig zu sein.

Neben dieser technischen Undurchschaubarkeit tritt bei Großprojekten immer deutlicher auch eine prognostische Undurchschaubarkeit zutage: solche Vorhaben erstrecken sich einfach zu weit in die Zukunft hinein, oft über viele Jahre. Eine Vorhersage der Bedingungen, unter denen sich die Endphase des Projekts abspielen wird, ist dann einfach redlicherweise nicht möglich.

Angenommen, ein Großprojekt in einem Entwicklungsland erstreckt sich in seiner Erstellung auf mehr als 5 Jahre. Dann müssen Werte eingesetzt werden für die Löhne, die in 5 Jahren zu zahlen sein werden, für die Transportkosten, für die eingesetzten Rohstoffe, usw ... Wer kann da wirklich vernünftige Ziffern erwarten! Da müssen selbstverständlich breite Irrtumsmargen eingebaut werden! Übrigens ein potentielles Reservoir für Unredlichkeiten.

Nun zur nächsten Frage: Wer soll in einem solchen Fall überprüfen, ob sachgerecht vorgegangen wird? Die Komplexität der Materie gestattet es meistens nicht, daß einzelne sich ein Gesamtbild machen können. Die Kontrolle wird Sachverständigen übertragen, die jedoch meistens wieder nur einen Teilaspekt überblicken.

Nun gibt aber auch die Summe von Sachverständigenmeinungen noch kein Gesamtbild, weil sehr häufig bei Großprojekten an jenen Punkten Probleme auftauchen, wo sich verschiedene Sachbereiche überschneiden. Für Uber-schneidungen gibt es aber keine Experten.

Noch schwieriger ist die Kontrolle von solchen Projekten. Auch hier ergibt

sich wieder das Problem, daß zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit von Maßnahmen nicht rein ökonomische Kriterien ausreichen. Sehr oft sind die der Entscheidung zugrundeliegenden Faktoren eine bunte Mischung von technischen und ökonomischen Faktoren: Haltbarkeit, Qualität, rechtzeitige Verfügbarkeit sind unentwirrbar vermischt mit unterschiedlicher Bewertung an sich gleicher Leistungen.

Daher kann sich der für die wirtschaftliche Kontrolle Verantwortliche bei solchen Fragen erst wieder nur auf Sachverständigenmeinung verlassen. Oft desselben Sachverständigen der bei der Erstentscheidung zu Rate gezogen worden ist.

Bedenkt man noch, daß Kontrolle tatsächlich erst oft nach Abschluß langjähriger Projekte möglich ist, so ist leicht erkennbar, welche Fülle von Unüberschaubarkeit grundsätzlich erhalten bleiben muß. Und welche Fülle von Verschleierungsmöglichkeiten gegeben ist. Ein in sich einiger Vorstand kann in einer Aktiengesellschaft alle Dinge so abwickeln, daß der beste Aufsichtsrat niemals oder nur durch Zufall ihm hinter die Schliche kommen kann.

Ein Ausweg: Aufgaben wieder möglichst in überschaubarem Rahmen zu lösen. In einem Rahmen, in dem das Verschleiern von Unregelmäßigkeiten nicht so leicht gemacht wird, in dem die verführerische Kraft der zu vergebenden Beträge geringer als bei den heute üblichen Mammutprojekten ist.

Vielfach zeigt sich ja wie auch am Beispiel des Allgemeinen Krankenhauses, daß sogar vom sachlichen Anliegen her, die Aufgliederung von Großprojekten in überschaubare Teilprojekte zweckmäßig gewesen wäre.

Wo nicht nur der Spezialist das Sagen hat, sondern der „Hausverstand" des Verantwortlichen zu Ehren kommt, kann sich dieser auch mit der Aufgabe identifizieren. Selbstverständlich läßt sich unter solchen Bedingungen auch alles leichter kontrollieren.

Damit ist das zugrundeliegende moralische Problem nicht gelöst. Es gibt dafür auch kein Patentrezept. Allerdings wären die Auswahlkriterien für erfolgreichen Aufstieg in Politik, Wirtschaft und Verwaltung schon wert, überdacht zu werden!

Trotz allem werden wir weiterhin mit Bestechungen, Veruntreuungen rechnen müssen. Obwohl wir uns nicht damit abfinden dürfen, werden wir doch gut daran tun, solche Verbrechen in Zukunft weniger leicht zu machen. Die bewußte Abkehr von unserer größenwahnsinnigen Technologie wäre ein Schritt in diese Richtung. Er wäre nur aus diesem Grund zu begrüßen.

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