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Konzerte

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Hector Berlioz’ „Große Totenmesse” (entstanden 1830) wurde in Wien zum ersten Mal aufgeführt: eine grandiose, aber doch in der Wirkung eher theatralische Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Jüngsten Gericht; die liturgischen Texte sind stark subjektiv verändert. Ein musikalisches Monsterwerk in Fortissimo mit einem Riesenorchester und 210 Chorsängern, sehr expressiv in der Klangwirkung (und eigentlich seiner Zeit weit voraus), das an die Ausführenden hohe Anforderungen stellt. Leif Segerstam am Dirigentenpult war hier in seinem Element, das ORF-Orchester und vor allem der Chor (ORF und Jeunesse) sowie Heinz Zednik in dem heiklen Tenorsolo des Sanctus boten großartige Leistungen.

Free Music (Improvisation und „Jazz”) gibt es in Amerika und in Österreich seit rund 20 Jahren. Unsere Reform Art Unit verzichtete im Künstlerhaus weitgehend auf Baßimprövisation, Thema, Motiv oder auch bloß Struktur. Nur in seltenen Fällen, wenn sie es doch taten, gelangen ihnen musikähnliche Stellen, sonst werkten die sechs Mann nach Kräften drauflos. Das erste „Stück” dauerte fünf Viertelstunden und fand erst durch einen verbalen Gewaltakt des Leaders ein Ende.

Im Musikverein standen junge Leute des Konservatoriums der Stadt Wien vor einem wesentlich größeren Risiko: richtig komponierte und „gesetzte” Musik wiederzugeben. Sehr gut gelang dem mit Fieber am Pult stehenden Josef Maria Müller die „Rienzi”-Ouver- türe von Wagner, die Pianistin Noriko Nishitani brillierte in Mendelssohns g-Moll-Konzert mit perlenden Läufen, die Sopranistin Tamar Rachum im „Gloria” von Poulenc als Mezzavoce-Sängerin.

Einige Tage später spielten dann die echten „Profis” in einem prachtvollen Konzert unter der Leitung von Carlo Maria Guilini auf: Die Symphoniker waren im Musikverein in Hochform, legten die „Freischütz”-Ouvertüre von Weber frisch, mit dramatischer Wucht und mitreißender Musikalität hin und beschlossen den Abend in derselben Art mit Strawinskys „Feuervogel”; die Suite erfordert temperamentvolles Zupacken und liegt Giulini besonders gut. Vor der Pause debütierte Shlomo Mintz im Violinkonzert von Mendelssohn und erwies sich als verinnerlichter, beinahe scheuer Lyriker voll zarter Empfindung; sein Ton ist nicht voluminös, aber gesanglich edel, die Technik untadelig, was auch an Hand einer stürmisch bejubelten Zugabe (5. Caprice von Paganini) bewiesen wurde. Diesem interessanten Geiger sollte man einmal Gelegenheit geben, in Wien Bach zu spielen, und zwar bald: er wird rasch teurer werden!

Das Ausharren des Publikums bis 23 Uhr und der Beifall widerlegten musikhistorische Vorurteile gegen den „Mitridate, Re di Ponto”. Hätte Mozart dieses Werk Note für Note genauso, aber nicht mit 14, sondern mit 24 Jahren geschrieben, wäre niemand auf die bekannten beckmesserischen Gedanken gekommen. Die konzertante Aufführung des Salzburger Mozarteum- Orchesters unter Leopold Hager im Wiener Musikverein zeigte Mozart als Meister der Opera šeria. Daß der „Mithridate” nicht mehr den Weg in die Opernhäuser findet, liegt an der Wandlung der Institution - vor allem kann der Ersatz der im Barock so hochgeschätzten Kastratenstimmen durch Tenöre (wie einst) oder Frauen (wie heute) nicht voll befriedigen. Alle Mitwirkenden, lleana Cotrubas, Agnes Baltsa, Ar- leen Auger, Edith Gruberovä sowie Werner Hollweg, aber auch Christine Weidinger und David Kübler, lösten ihre Aufgabe hervorragend.

B

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