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Konzerte

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Unter den großen Artisten der alten Schule ist er einer der letzten, die noch in alter Frische rund um die Welt reisen: Nikita Magaloff, ein Virtuose, für den Chopins Werk in all den Jahrzehnten zu einem runden Ganzen geworden ist. Wie ein Weltbild. Klar, konturiert. Vor allem die sentimentale Note, die mittelmäßige Pianisten bei Chopin so schätzen, das Parfümierte, fegt er mit pianistischem Furioso weg.

Im Wiener Konzerthaus meißelte er seinen Chopin in den Steinway: die Etüden op. 10 und op. 25 und die Prėludes op. 28. Ein Gebäude, in dem senkrechte, also harmonische, und waagrechte, das heißt, die mo- tivisch-theatischen Zusammenhänge glasklar herausgearbeitet schienen. Und sogar dort zusammenstimmten, wo Magaloff seine Parforcejagd antritt. In den Tempi mancher Läufe, wo er plötzlich hektisch wird oder Phrasen maßlos überdehnt, wie in der Dynamik, wo er gelegentlich zu abrupten Kontrasten neigt.

Was all diese Wiedergaben sehr überzeugend bindet, ist allerdings die Atmosphäre. Sein Chopin trägt Virtuosenanstrich. Kritische Distanz, das behutsame Analysieren prägen ihn. Manche finden seine Art, Klavier zu spielen, kühl, unengagiert. Ich würde lieber sagen: ein Wissender, ein souveräner Gestalter versucht, Chopins Werk in seinem ureigensten Spannungsfeld darzustellen.

Eschenbachs großartige Idee war es, die Zirkuspolka von Igor Stra- winsky sowohl mit dem Berliner Radio-Symphonie-Orchester in der Orchesterfassung, wie auch in der Fassung für zwei Klaviere aufzuführen. Das unausdenkbar Groteske freilich, hopsende Elefanten in der Arena gleichzeitig mit Balletteusen auftreten zu lassen, für die zudem ein Balanchine die Choreographie zu liefern hatte - diese unwiederholbare Mischung des Plumpen mit dem überzüchtet Grazüen, kommt in der Version für Symphonieorchester (es gibt auch eine allererste für Zirkusorchester) am besten zum Ausdruck. Die Klavierfassung wurde mehr beklatscht, inzwischen waren die Wiener über den Schock der polytonalen Zitierung des Schubert-Mi- litärmarsches (schepperndes E- Dur über einem hartnäckigen D- Dur-Feld) hinweggekommen. Zwischen beiden Polka-Fassungen gab es Mozarts bezauberndes Konzert für zwei Klaviere und Orchester (KV 365), wieder mit Eschenbach und Frantz. Eschenbach gab die Einsätze vom ersten Klavier aus, wie einst Wolferl, und Frantz übernahm Aug’ in Auge mit dem Partner die Antworten des zweiten Klavierparts - wie einst das Nannerl. Damit war der Phantasie des kulturhistorisch Interessierten jeder Spielraum geöffhet, und Wien dankte dafür, zur Genugtuung und leichten Verblüffung der Ausfuhrenden, mehr als für alles andere.

Vor rund einem Menschenalter trat Walter Berry erstmals in einem Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien “auf, doch sein jüngster Liederabend im Brahms- Saal ließ solche Rückrechnungen eigentlich gar nicht zu: Ab und zu fehlt der Stimme in Pianostellen die Geschmeidigkeit, merkt man die Vorsicht, mit der sie der Künstler einsetzt - das ist alles. Das Schönste seiner Liedkunst aber muß fast ungesagt bleiben: Es ist die Klangfarbe dieser kostbaren Stimme, der mein gewissermaßen die Nähe zum Herzen anhört. Daß an Berrys Vortrag natürlich auch hoher Verstand beteiligt ist, weiß man längst. Wie sich beispielsweise Schumanns Lotosblüte „ängstigt”, das war ein kurzer Blick in die reiche Ausdrucksskala dieses Mannes. Mozart, Mendelssohn, Schumann, R. Strauss und viel Brahms, all das erhielt die Tiefe seiner Gestaltungskraft. Erik Werba am Bösendorfer spielte einfühlsam, als wäre er der Komponist all dieser Köstlichkeiten gewesen.

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