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Bemstein-Ausklang in Villach

Mit dem „anderen Bernstein“ wurde das ihm gewidmete Festival des Carinthischen Sommers in Ossiach und Villach beschlossen. Mit dem Bernstein, den Freunde und Fans „Lenny“ nennen. Mit dem Bernstein vom Broadway, mit einem Musical-Potpourri und seiner einzigen Oper „Trouble in Tahiti“. Kein Urquell einer Oper, wie sie Gershwin mit „Porgy and Bess“ geschaffen hat, keine Menotti analoge Kammeroper - ein belangloses Stück aus der Nachkriegszeit, als Suburbia als Slogan galt: Das Leben einer öden Wohnsiedlung im Zank des Alltages.

Das Originellste blieb die Filmpersiflage mit dem jazzelnden Terzett. Aus der „West Side Story“, aus „On the Town“ und „Wonderful Town“ wurden nahtlos die Hits aneinandergefügt, die Bernsteins Ruhm am Broadway begründeten. Pulsierendes Leben und mitreißenden Wirbel, manchmal auch vokale Glanzpunkte vermittelte ein Studentenensemble unter dem Dirigenten Mark Janas; neben den ebenfalls von der Indiana Univer- sity stammenden Jazz-Solisten erwarb sich das österreichische Jugendsymphonieorchester wieder einmal Meriten. Die Universität selbst bedeutet ein Unikum auf der Welt: Von 35.000 Studenten sind 16.000 Musiker, die nicht nur Konzerte und Kammeropern, sondern laut Marcel Prawy auch „Walküre“, „Parsifal“ und .Arabella” spielen.

Abends zuvor hatte Leonard Bernstein das letzte Orchesterkonzert mit .dem Israel Philharmonie Orchestra in Villach dirigiert Zunächst die „Serenade für Violine, Streicher und Schlagzeug“ nach Platons „Gastmahl“, ein Loblied der Liebe - ein fünfsätziges, noch klassischen Formgesetzen unterworfenes Werk, welches der Solovioline den Orchesterapparat ge- genüberstellt, im Adagio Tiefgang findet und Festestrünkenheit ZUP Jazzorgiastik gedeihen läßt. Die Entwicklung von 1954 bis 1963 verrät die dritte (und vorläufig letzte) Symphonie „Kaddish“, die in der heuer gefundenen Endfassung erstmals in Europa vorgestellt worden ist. Zum aramäischen „Kaddish“ verfaßte der Komponist selbst den Text über Glaubensprobleme der Juden, die nicht der Gottesautorität der Christen unterworfen sind, mit ihm disputieren, ja Rechenschaft fordern, wieso er das Bündnis mit den Menschen gebrochen habe, weil sich die Menschheit zerfleischt.

Die Krise der Religion widerspiegelt sich im Ringen zwischen Tonalität und verbrämter Dodeka- phonik sowie zweifelnder Aleato- rik. Der heilen Welt ordnet sich wieder volksliedhafte Melodik und Harmonik zu, wie der tiefreligiöse Bernstein eben seine Gottesbeziehung offenbart. Und seine symphonische Musik, deren Theatralik er weder in Werk noch Wort verleugnet, setzt schon die auf die „Mass“ hinweisenden Mittel ein, die eine mögliche szenische Ausdeutung nicht leugnen.

Ein Sprecher - eindrucksvoll ohne Pathos der amerikanische Filmschauspieler Michael Wäger -, eine Sopranistin - ausgezeichnet die für Montserrat Caballė eingesprungene Gabriele Fuchs -, der von Günther Theuring fabelhaft studierte Wiener Jeunesse-Chor und ein Chor der Wiener Sängerknaben stellten dem orchestralen Geschehen einen packenden Widerpart. Mitgerissen von der zwingenden Gestik und Mimik des Dirigenten Bernstein erlebte der Komponist Bernstein einen grandiosen Erfolg. Glaube, Ehrlichkeit und tiefgreifende Musikalität sowie der Mut zur religiösen Auseinandersetzung gaben dem Carinthischen Sommer einen kaum zu überbietenden Höhepunkt im Verein mit dem Menschen Bernstein, dessen Geste am Schluß bedeuten mag „Seid umschlungen Millionen!“.

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