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Konzerte

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Wenn die Wiener Philharmoniker unter Dr. Karl Böhm Brahms spielen - im Nicolai-Konzert im Musikverein die „Vierte“ -, bedeutet das schönste Harmonie, Übereinstimmung musikalischen Empfindens, einen Rausch des Wohlklangs. Böhm spart zwar jedes Zuviel an Gestik aus. Da genügt ihm ein kleiner Wink, um etwa den Streichern den schwelgerischsten Samtklang zu entlocken, dort löst ein Akzent bereits einen voluminösen Wohlklang des Blechs aus … Aber sie wissen von einander ganz genau, wie sich der andere jedes Detail wūnsęht. Und das ergibt ein Musizieren im Lot, Aufführungen, die in Tempi, Farben, Dynamik ungemein stimmig sind. Trotz dieser totalen Übereinstimmung werden auch Spannungen spürbar. Glücklicherweise. Denn sie sind sozusagen der Pfeffer, der den Wiedergaben das gewisse Etwas leiht. Ich denke etwa an die weit ausschwingende Adagio-Einleitung der Haydn-Symphonie Nr. 88, in der Böhm diese Spannungen unvergleichlich schön auskostete.

Musik des 20. Jahrhunderts kommt im Konzerthaus erfreulicherweise wieder zu ihrem Recht: Nach Friedrich Cerha präsentierte sich nun der junge Venezianer Giuseppe Sinqpoli als Dirigent moderner Klassik und seines eigenen xneuen Klavierkonzerts. Ein eigen- wüliger Künstler von überragendem Talent. 1971 schloß er sein Medizinstudium ab, 1972 wurde er in Venedig Professor für zeitgenössische und elektronische Musik, studierte damals in Hans Swarowskys Dirigierklasse in Wien. Für 1978/79 hat man ihm, der sich zunehmend auf Oper stürzt, im Konzerthaus bereits als Dirigenten klassischer Werke verpflichtet.

Der erste Wiener Abend verspricht eine Menge. Vorausgesetzt, daß S inopoli sich als Dirigent etwas entspannt. Daß er von diesem eisernen Metronomdenken abrückt, mit mehr Empfindsamkeit an Stücke wie Debussys „La mer“ oder Strawinskis „Petruschka“ herangeht. Vorerst klangen sie nämlich kalt und scharf (und vor allem Strawinski vom ORF-Sym- phonie-Orchester weder klarlinig noch durchsichtig). Ich muß gestehen, mich interessierte viel mehr die Erstaufführung des Klavierkonzerts Sinopolis, mit Käte Witt- lich am Flügel. Ein überaus reizvolles, klanglich vielschichtiges Stück, in dem der Klavierklang, die Schreibweise fürs Klavier, soweit auf das Orchester übertragen wird, daß es sozusagen zum großen Klavier umfunktioniert erscheint.

Keine Frage, daß es Sinopoli dabei um mehr als nur ein Übertragen des Klanges geht. Der Flügel ist für ihn vor allem auch ein Instrument des Salons, dessen typisch pianisti- sche Behandlung er mit dem musikalischen Denken der Gegenwart verflicht. Hier der im Ausdruck übersteigerte Klavierklang des 19. Jahrhunderts, dort die strenge Organisation moderner Schreibweise. .. Das ergibt Spannungen, die, in all ihren Eruptionen, Verästelungen, in ihrem Ausschwingen zu verfolgen, für den Hörer interessant ist. Besonders wenn eine so sichere, mit soviel Kraft und Gespür für Farben spielende Pianistin den Solopart betreut.

KARLHEINZ ROSCHITZ

Im ersten Konzert des Symphoniezyklus im Musikverein gab es eine österreichische Erstaufführung: „Unter der blanken Hacke des Mondes“ für Bariton und Orchester nach Gedichten Peter Hüchels von Francis Burt: effektvolle Deskriptivität in der Tonsprache unserer Zeit, mit Walter Berry als idealem Solisten. Vorher hatte Ferdinand Leitner blutvoll die „Londoner“ c-Moll-Symphonie von Haydn, nachher mit nicht weniger Spannkraft zwei Mozartsche Werke in romantisierender Riesenbesetzung dirigiert: „Kyrie“ d-Moll (mehr als 100 Sänger des „Singvereins“) und „Vesperae solennes de confessore“ wieder mit dem Riesenchor und Elisabeth Speiser, Margarita Lilowa, Thomas Moser, Walter Berry sowie an der Orgel Rudolf Scholz.

Das Küchl-Quartett hat heuer die späten Beethoven-Quartette in seinem Zyklus. Zur Eröffnung gab es im Brahms-Saal gleich zwei davon: Temperamentvoll, entschlossen, konzis und mit ausbalanciertem Klang geriet das Opus 95. Das Es- Dur-Quartett, op. 127, litt in den beiden letzten Sätzen - man hörte esleiderbis indie 26. Sitzreihe-un-’ ter rüder Tongebung, Kratzen des Bogens, unsauberer Intonation; das Ausdrucksbedürfnis war der Technik davongelaufen. Schade, denn’ mit einem leichtgewichtigen Rossini (G-Dur, eine Bearbeitung aus den „Sonate a quattro“ des Zwölfjährigen) hatte der Abend schön begonnen …

HERBERT MÜLLER

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