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KONZERTE

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Gidon Kremer wie Hans im Glück: Spielte der junge Geiger doch sein erstes Konzert, nachdem er von der UdSSR endlich einen unbefristeten Reisepaß ausgestellt bekommen hatte. Kremer wird in Hinkunft im Westen reisen und geigen können, wie es ihm beliebt. Und er mußte vor allem nicht die Kontakte zu seinem Heimatland abbrechen, wie dies vielen seiner Kollegen geschah. Man denke nur an Rostropowitsch. Kremer startete in Wien, im „Philharmonischen“ im Musikverein mit Brehms' Violinkonzert. Und einmal mehr durfte man das ungemein harmonische Spiel dieses jungen Geigers bewundern. Ein Künstler ohne Allüren, ohne das Bedürfnis, ständig seine fulminante Technik hervorzukehren, ohne jedes Auftrumpfen. Er geigt behutsam und doch kraftvoll, horcht hinein ins Orchester, reagiert mit höchster Präzision. Und stets merkt man, wie sehr es Kremer auf dieses Zusammenspiel mit dem Orchester ankommt, aufs Musizieren, in dem virtuose Passagen wie eine Selbstverständlichkeit wirken.

Hiroyuki Iwaki dirigierte. Er versteht sich mit den Philharmonikern ausgezeichnet. Ein Routinier, ein Könner mit Geschmack und Gespür. Kein schwelgerischer Brahms-Dirigent, sondern ein vorzüglicher Begleiter. Solide auch seine Aufführung von Bartöks „Konzert für Orchester“. Effektvoll und klug disponiert. Nur die federnde Kraft dieser Musik klang gedämpft, in Gemütlichkeit umgemünzt.

Eigentlich wäre „Opernring 2“, also die Staatsoper, für sie die richtige Adresse. Sie als Kassandra in den „Trojanern“ zu erleben, oder als „Figaro“-Gräfin, wäre für Opernfans das Ereignis. Aber da man sie uns dort vorenthält, gastierte Jessye Norman im Wiener Konzerthaus. Eine Primadonna mit einer wunderbaren Samtstimme, mit erleser Pianokultur, mit strahlenden Spitzentönen... Aber sie kam mit Schubert-Liedern, Hugo Wolfs Mörike-Liedern und dem „Italienischen Liederbuch“. Und da ging es nicht mehr um dramatische Bravour, leidenschaftliche Ausbrüche und den großen Opern-gestus. Da wären Verinnerlichung und Schlichtheit schon fast alles gewesen. Und gerade diese Eigenschaften fehlen dem Liedgesang der Norman fast zur Gänze. Da merkte man die Grenzen, die dieser Diva gesetzt sind; in so einfachen Werken wie Schuberts „Meeres Stille“ stören Sprachbarrieren, da leidet die Wortdeutlichkeit, da leidet Schubert geradezu unter ihrem kunstvoll raffinierten Vortragsstil. Zu erkennen, daß Schubert nicht ihre Welt ist und nicht ihrem Temperament entspricht, macht sie sehr leicht.

Hingegen überzeugt sie mit Wiedergaben, in denen eine Art Operndramatik den Ton bestimmt. „Gretchen am Spinnrad“ oder das Ave Maria Schuberts kann man dramatisieren. Da stimmen dann plötzlich Ausdruckstiefe, dramatischer Gestus und Operntemperament zusammen. Und die komödiantisch-besinnlichen Momente im „Italienischen Liederbuch“ werden zu köstlichen Genreszenen. Da ist Jessye Norman ganz sie selbst. Eigenwillige Bühnenpersönlichkeit mit Gespür für psychologisch interessante Momente. Ge-offrey Parsons begleitete sehr diskret, half aber in den heiklen Momenten kaum.

Rutschte bei der Norman Schubert stellenweise irrtümlich ins Opernfach, so bemühte sich der Dirigent Vaclav Neumann in der „Großen Symphonie“ im Musikverein, einen „veroperten“ Schubertvorzustellen: Es gehörte zu den geschmacklich eigenartigsten Versuchen des vorigen Jahrhunderts, von populären Werken Transkriptionen herzustellen. So wie die großen Tastenartisten, Franz Liszt etwa, die Opernschlager für Klavier bearbeiteten und in jeden Haushalt und Salon katapultierten, so bearbeiteten andererseits Komponisten gerade die beliebten kleinen Liedwerke und Kammermusikstücke für den großen Konzertsaal. Damit das Publikum auch dort nicht seine Schlager vermissen mußte. Vaclav Neumann und die Symphoniker im Einsatz für eine Parade seltsamer Bearbeitungen: „Erlkönig“, von Hector Berlioz zum Wahnsinnsmonolog zurechtinstrumentiert; „Gruppe aus dem Tartarus“, von Brahms eher diskret untermalt; das „Ständchen“, von Offenbach versüßlicht; „An die Musik“, von Max Reger mit viel Orchesterplüsch zur Schlagerhymne aufgebauscht... Kleinkunst - zum großen Opernmonolog aufgeblasen. Von Intimität des Lieds ist da nichts mehr zu spüren. Dafür soll üppiges Schwelgen in Klangpracht berük-ken. Und Hermann Prey, für Schubert-Lieder der Publikumsliebling, sang diese Nummern mit hinreißendem Schmelz.

Außerdem hörte man Martinus „Fantasies symphoniques“ und Smetanas „Vaterland“. Böhmisches, temperamentvoll und energiegeladen musiziert.

Im Rahmen der „Tage der russischen und sowjetischen Musik in Österreich“ gab der Klaviervirtuose Wladimir Krainjew einen Solistenabend. Der Mittdreißiger aus Sibirien hat die Wüdheit dieses riesigen Landes, auch die Leidenschaft des ausdrucksbesessenen Musikers. Daß der Künstler dabei bereit ist, durchaus beträchtliche Risken einzugehen, macht seine Interpretationen anfechtbar, weil ihm doch allerhand danebengeht, jedoch niemals langweilig. Sein Anschlag reicht von federnder Eleganz bis zur brutalen Wucht, die den stabilen Steinway in Modest Mussorgskijs „Bildern einer Ausstellung“ aufschreien ließen wie einen alten Betteinsatz; das rasende Tempo seiner Läufe, die Sicherheit seiner Akkordwürfe (in der wilden A-Dur-Sonate von Sergej Prokof-jew) benahnveinem den Atem. Daß seine Beethoven-Interpretation („Les Adieux“) nicht gerade klassisch ausfiel, muß nicht unbedingt verurteilt werden. Krainjew wird sicherlich noch reifen...

Das ORF-Symphonieorchester unter Leif Segerstam spielte im Zyklus „Musik des XX. Jahrhunderts“ Skrjabin und Schostako-witsch. Dessen 14. Symphonie ist eigentlich ein Zyklus von elf Liedern für Sopran, Baß, Streicher und Schlagzeug. Vertont sind dabei Gedichte über den Tod, inhaltlich und stilistisch allerdings so verschieden wie die Dichter Apollinaire, Lorca, Chrennikow und Rilke. Die kammermusikalisch heikle Begleitung gelang stimmungsvoll, die finnischen Solisten Taru VaU jakka und Heikki Teivanen bewältigten mit ihren schönen Stimmen das fast eine Stunde lange Werk mit Konzentration und Kondition.

Seine Vorzüge wesentlich besser ausspielen konnte der Dirigent Leif Segerstam dann in der Erstaufführung (!) der um zwei Generationen älteren, bombastischen III. Symphonie von Alexander Skrjabin. Thematisch übersichtlich, aber harmonisch und instrumentatorisch pastos, zudem noch mit drei Sätzen, die pausenlos ineinander übergehen, vermochte diese'funkelnde, leidenschaftlich bewegte Musik doch nicht so zu packen, wie man es ihrem Schöpfer schon wegen seines Arbeitsaufwandes wünschen wollte.

Im großen Musikvereinssaal unter Vaclav Neumann Antonin Dvoräks Requiem. Ein Werk der satten slawischen Farbtönungen, elegischer Entfaltung der Kantilenen, des Schwelgens in schönen Details. Neumann führte den Wiener Singverein, das gutstudierte ORF-Symphonieorchester und die Solisten (Jane Marsh, Margarita Lilowa, Heinz Zednik und Jaroslaw Stajnc) mit großer Sorgfalt. Ein Routinier, der von seinem Können nicht viel Aufhebens macht, sachlich und korrekt bleibt. R. W.

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