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Konzil der Poeten

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Mehr als fünfzig Literaten, Theologen und Literaturwissenschafter haben vor zwei Jahren in Tübingen über den Dialog zwischen Theologie und Literatur diskutiert. Die Referate und Protokolle des Symposions liegen nun in Buchform vor. Kurt Marti, einer der Teilnehmer des Symposions, vermerkt in seinem 1985 erschienenen „Tagebuch mit Bäumen“, am Ende der Tagung habe es das Bonmot gegeben, hier sei öfter von Buddha als von Christus die Rede gewesen: „Eine Uber-treibung. Und doch: kann vom christlichen Glauben heute noch unter Ausblendung anderer Religionen gesprochen werden?“

In der Tat scheint dies das auffälligste Ergebnis, die wichtigste Weichenstellung der Veranstaltung gewesen zu sein: daß künftighin der Dialog zwischen Theologie und Literatur nicht mehr bloß spezifisch christliche Literatur — was immer das sein mag —, sondern auch im weiteren Sinn religiös zu nennende Texte zum Gegenstand haben muß.

Selbstverständlich markierte das Symposion nicht in jedem Fall wirklich den neuesten Stand des Dialogs; auf der allzu akademischen Art, sich dem Thema zu nähern, liegt auch ein Hauch von weltfremder Betriebsblindheit. Dieser Eindruck wäre schleunigst korrigiert, könnten wir in dem Band außer dem in den Arbeitsphasen Gesprochenen auch noch das nachlesen, was „ab 22 Uhr, nach getaner Arbeit“ beim Wein gesprochen wurde, wo die Hausherren Walter Jens, Hans Küng und Karl-Josef Kuschel „als heitere Symposiarchen“ (Kurt Marti) walteten.

„Literaturtheologie“ war der versuchsweise verwendete — und gleichzeitig heftig kritisierte -Name für die Sache, um die es ging. Gewiß wird der literarischtheologische Dialog nicht mehr von der klassischen Frage geleitet, was „christliche Literatur“ sei. Aber die Frage nach den Kriterien der Beschaffenheit von Literatur, die in einem engeren oder weiteren Sinn christliche Inhalte hat, war dennoch stets präsent.

Schon Walter Jens ließ in seiner großen Eröffnungsrede keinen Zweifel daran,“ welche Literatur seinen Kriterien standhält: „Paul Claudel in allen Ehren; aber er stünde, allein für sich, auf vereinsamtem (wiewohl hohen Respekts werten) Posten, wenn die Poeten, Bildhauer und Maler, versammelt zu einem gewaltigen imaginären Konzil, das alle großen Künstler einlüde, die seit der Mitte des letzten Jahrhunderts gearbeitet haben ..., aus ihren Schriften über den Nazarener und seine Kirche vorläsen.“

Und in der Diskussion über konkrete Texte (von Peter Härtung, Günter de Bruyn, Gertrud Fussenegger, Kurt Marti) wurde — Theorie hin, Theorie her — sehr bald klar, was geht und was nicht. Gertrud Fusseneggers Lesung aus dem Roman „Zeit des Raben, Zeit der Taube“ sah sich einer einhelligen Kritik gegenüber: So nicht, hieß es. Anders kamen die Gedichte Kurt Martis an: Offenbar sind theologische Gedichte möglich, die mehr und anderes in anderer Weise sagen können als Prosatexte.

In der Podiumsdiskussion zum

Thema: „Ist ,Gott' heute literarisch darstellbar?“ gab Adolf Muschg, nach gelungenen Beispielen befragt, folgendes zur Antwort: „Ein vollkommen gelungenes Beispiel christlicher Literatur will ich noch anfügen. Es hat ein paar Nachteile: Weder ist es Literatur, noch sind Christen beteiligt. Die Reporterin Peggy Parnass hat es niedergeschrieben. Sie berichtet, wie sie im Gerichtssaal hinter einer alten Frau saß, die nach vierzig Jahren auf den Prozeß über ihre Kriegsverbrechen im KZ wartete. Sie beschreibt die schweren Hände der Frau, ihr Gesicht, die Unfähigkeit, aus sich herauszugehen, ihre Gefangenschaft in diesem Gerichtssaal und beschreibt dann, wie sie, die Reporterin, deren Eltern im Konzentrationslager umgekommen sind, plötzlich weinen mußte: aus Erbarmen mit dieser Frau und aus Solidarität mit ihr gegenüber dem Richter...“

Das sei eine der wenigen christlichen Geschichten, die er erzählen könne, fügte Muschg an. In der Tat, wenn der Begriff einer „christlichen Literatur“ überhaupt einen Sinn haben kann, dann wird, was sie bedeutet, immer nur dann sichtbar, wenn das, was sie besagt, gleichzeitig unterlaufen wird. Biblisch gesprochen: Wer die „christliche Literatur“ retten will, wird sie verlieren, hat sie schon verloren.

Ein Gesichtspunkt, den der Theologe Heinz Zahrnt ins Spiel brachte, würde es verdienen, weiterbedacht zu werden. Er wäre wohl auch imstande, den Dialog aus jener verwünschten akademischen Nabelschau herauszuführen, aus der ihn nicht einmal die — ebenfalls typisch akademische — Selbstkritik so leicht holen kann.

Heinz Zahrnt sagte nämlich: „Ob mir ein literarischer Text als christlich begegnet oder nicht, hängt wohl auch vom jeweiligen Resonanzboden ab. Während des Kirchenkampfes im sogenannten Dritten Reich hat für uns in der Bekennenden Kirche die damalige .christliche Literatur' eine Rolle gespielt. Wenn man heute die Texte wieder liest, ist man erschrocken ob ihrer mangelnden Qualität: Der Resonanzboden damals war ein anderer als heute.“ Diesen „Resonanzboden“ mitzu-

bedenken, ihn — vorher noch — überhaupt mitzuhören, könnte wohl andere Ergebnisse, andere Beurteilungskriterien erbringen.

Offenbar hängt es nicht allein von der literarischen Qualität — sagen wir etwa des „Sonnengesanges“ - ab, ob der Text als große Offenbarung oder als banaler süßlicher .Kitsch empfunden wird. Liegt es nicht auch an einem veränderten „Resonanzboden“, wenn Becketts „Warten auf Go-dot“, ehedem beklemmender Ausdruck existentieller Sinnsuche, nach drei Jahrzehnten plötzlich als köstliche Clownerie erscheint: mit einem Mal eher befreiend als beklemmend!?

Für die Frage, was beim Dialog zwischen Theologie und Literaturwissenschaft eigentlich herauskommen könne, spielte beim Tübinger Symposion das Mörike-gedicht „Die schöne Buche“ (1842) eine Art Schlüsselrolle. Natur

- werde hier zum „Ausdruck für die ^Anwesenheit des Göttlichen“, hatte Romano Guardini seinerzeit aus diesem Text herausgelesen. Sich gegen eine solche theologische Vereinnahmung verwahrend, stellte Theodore Ziolowski (Princeton/USA) fest, es handle sich vielmehr „um einen höchst kunstvollen Raum, den der Dichter in seiner Erinnerung durch rein ästhetische Mittel umgestaltet hat.“

Wer hat nun recht? Kann es überhaupt Ziel des Dialogs sein, daß der eine dem anderen recht gibt, sich zur Sicht des andern bekehrt? Das bestformulierte Nein kam vom Theologen Dietmar Mieth: „Vielleicht läge die Relevanz eines theologischen Gesprächs mit der Literaturwissenschaft) in einer produktiven Kollision statt in falscher Harmoniebildung.“

Wie die Protokolle zeig«n, gab es auch in Tübingen eher Kollisionen als falsche Harmoniebildung. Produktiver freilich könnten die Kollisionen schon noch werden.

THEOLOGIE UND LITERATUR. Von Walter Jens, Hans Küng, Karl-Josef Kuschel (Hrsg.). Mit Beiträ gen von W. Barner, G. de Bruyn, I. Drewitz, G. Fussenegger, H. Halb-fas, P. HärtUng, K. Jeziorkowski, W. Killy, P. K. Kurz, K. Marti, D. Mieth, A. Muschg, J. Schröder, H. Zahrnt, E. Zeller, Th. Ziolowski. Kindler-Verlag, München 1986. 272 Seiten, geb., öS 280.80.

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