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Digital In Arbeit

Kooperation, Konfrontation?

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Als Testfall, in extremeren Formulierungen sogar als „bisher schwerste Belastungsprobe der Sozialpartnerschaft“ war im Frühjahr die Diskussion über den Entwurf eines Arbeitsverfassungsgesetzes bezeichnet worden, den Vizekanzler Häuser als zuständiger Ressortminister buchstäblich am letzten Tag des alten Jahres den Interessenvertretungen zur Begutachtung zugeleitet hatte.

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Als Testfall, in extremeren Formulierungen sogar als „bisher schwerste Belastungsprobe der Sozialpartnerschaft“ war im Frühjahr die Diskussion über den Entwurf eines Arbeitsverfassungsgesetzes bezeichnet worden, den Vizekanzler Häuser als zuständiger Ressortminister buchstäblich am letzten Tag des alten Jahres den Interessenvertretungen zur Begutachtung zugeleitet hatte.

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Mittlerweile ist viel Wasser die Donau herabgeflossen, die zum Teil lektische Gereiztheit mit entsprechend giftigen Bemerkungen auf heilen Seiten hat einer abgewogenen Betrachtungsweise Platz gemacht. Wieder einmal hat sich, vielleicht in letzter Stunde, was die Gespräche Jfber das Arbeitsverfassungsgesetz letrifft, die „Feuerwehr“ der Spit-senrepräsentanten der vier großen Interessenvertretungen — Gewerkschaftsbund, Arbeiterkammern, Bun-leswirtschaftskammer und Industriellenvereinigung — bewährt. Am Gründonnerstag, dem 19. April, war s, als im Gebäude der Wiener Ar-seiterkammer nach einer anfangs sehr unerquicklichen Debatte der Weg für eine große Verhandlungs-•unde der Experten freigemacht wurde. Derartiges hört sich leicht an, Iber nur der Insider weiß, wieviel sähe Kleinarbeit geleistet werden muß, ehe dann „in offener Feldschlacht“ am Verhandlungstisch ein solcher Beschluß fallen kann — zu lern gewiß nicht allein die Vorahnung des nahen Osterfriedens beigetragen haben mag.

Es gibt eben — Gott sei Dank — loch eine Anzahl von Männern in Österreich, die bei aller Festigkeit :m Geistig-Grundsätzlichen doch wissen, daß eine Institution wie die Sozial- und Wirtschaftspartnerschaft selbst durch einen Entwurf wie den tum Arbeitsverfassungsgesetz nicht aufs Spiel gesetzt werden darf, ehe licht auch die letzte, kleinste Ver-landlungschance getestet wurde. Hier nützen die in Jahren gewachseien Kontakte, für deren Fruktifizie-rung nur eines schädlich ist: die ständige Präsenz der Massenmedien, ias hingehaltene Mikrophon für die liversen ORF-Journale oder der Ehrgeiz, sich vor der TV-Kamera produzieren zu können. Diejenigen, auf die es wirklich ankommt, gehen in solchen Fällen meist den Reportern aus dem Weg, weil sie wissen, daß die Massenmedien zu unbedachten Äußerungen verleiten, und daß — im Interesse der Sache! — „Transparenz“ auch ihre Grenzen haben muß. So war es auch diesmal wieder, und ohne diese Gesinnung des guten Willens und vor allem ohne die Vertrauenswürdigkeit wäre es kaum gelungen, einen Bruch zu vermeiden.

Es muß in diesem Zusammenhang aber auch bemerkt werden, daß die Unternehmerschaft Österreichs bei der Debatte über das Arbeitsverfassungsgesetz bewies, daß sie bereit ist, für ihren Standpunkt einzutreten und diesen auch in wohlkoordinierten Aktionen gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten. Es wurde deutlich dokumentiert, daß sich die Unternehmerschaft nicht um die grundsätzliche Auseinandersetzung drückt, und daß insbesondere auch die Zusammenarbeit der verschiedenen Verbände und auch der einzelnen Wirtschaftsbereiche, ob „groß“ oder „klein“, funktioniert. Ohne Zweifel hat die intensive, sehr erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmerseite auch zu der Entscheidung vom 19. April beigetragen. Daß da und dort übers Ziel geschossen wurde, soll nicht geleugnet werden, aber im großen und ganzen war die Argumentation hart und sachlich zugleich. Denn eines darf man wohl nicht erwarten: daß der eine betroffene Partner passiv Dinge über sich ergehen läßt, die an die Substanz unserer Wirtschaftsordnung gehen. Ein Wehren in einem solchen Fall ist nicht nur legitim, sondern auch notwendig, wenn sich der für eine freie Gesellschaftsordnung notwendige Partner nicht selbst aufgeben will.

Die formelle Begutachtungsfrist ist abgelaufen, die Verbände haben ihre Stellungnahmen abgegeben, zugleich

aber laufen die Expertengespräche intensiv weiter — es wird meist volle Tage hindurch verhandelt —, und es ist anzunehmen, daß eine neue Präsidentenrunde dann den endgültigen Weg bestimmen wird. Der Sozialminister hat zugesagt, die Vor-

schläge der Sozial- und Wirtschaftspartner einzuarbeiten, der Sozialausschuß des Nationalrates hat sich für permanent erklärt, alles weitere werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.

Über die grundsätzlichen gesell-schaftsphilosophischen und juristischen Aspekte äußern sich berufene Fachleute in dieser Beilage. Es sei darum gestattet, auf einen Aspekt hinzuweisen, der in der Diskussion meist etwas stiefmütterlich behandelt wird: das ist der betriebswirtschaftliche. Nun könnte man einwenden, eine so grundsätzliche Materie, bei der es um „letzte Dinge“ wie Eigen- oder Fremdbestimmung der Menschen geht, dürfe nicht unter der Perspektive einer Lehre betrachtet werden, die sich an der Rationalität, der Effizienz, dem viel geschmähten Soll und Haben orientiert. Allein, der Praktiker weiß, daß es auch zwischen solchen „letzten Dingen“ und nüchternen betriebswirtschaftlichen Überlegungen zahlreiche Berührungspunkte gibt, ja daß, wie aus dem folgenden hervorgehen wird, die Berücksichtigung grundsätzlicher Rechte des Menschen am Arbeitsplatz nicht nur dem einzelnen, sondern auch dem Unternehmen und seinem Erfolg, damit auch seiner Stellung am Markt und in der Öffentlichkeit, zugute kommt. Insofern ist die betriebswirtschaftliche Perspektive nicht von „niederer Ordnung“.

Vorweg muß bemerkt werden, daß das Arbeitsverfassungsgesetz in der Form des Häuser-Entwurfes offenbar von einem falschen Bild des wirtschaftlichen Lebens, insbesondere von einer Verkennung der Wandlungen des industriellen Zeitalters, ausgeht. Es setzt ein formaljuristisches, funktionsperf ektionisti-sches Denken an die Stelle eines realitätsbezogenen, betriebswirtschaftlichen. Mitbestimmung wird im Sinne einer Stärkung des Funktionärseinflusses, nicht aber von der funktionellen Notwendigkeit her gesehen.

Die österreichische Wirtschaft, insbesondere die Industrie, steht in

einem tiefreichenden Umstrukturierungsprozeß, der, als Folge der Selbstregelungskräfte, wie auch bewußt gesetzter „incentives“ von staatlicher Seite, in den nächsten Jahren beschleunigt fortgesetzt werden muß, damit die österreichische Wirtschaft reibungslos in einen großen europäischen Markt ohne Zollschranken hineinwachsen, sich dort eigenständig entfalten und ihre Weltmarktorientierung verstärken kann. Das setzt eine Mobilisierung aller Reserven, der materiellen, aber vor allem auch der geistigen, voraus. Im Sinne der Millendorfer-Gaspari-

Studie „Prognosen für Österreich“ erweist sich auch in diesem Zusammenhang das menschliche Kapital, an dem Österreich — im Gegensatz zum materiellen — durchaus nicht arm ist, als das kostbarste, wie aber anderseits auch die Hemmnisse, die einer Entfaltung der Initiative und der vielfältigen Talente der österreichischen Bevölkerung entgegenstehen, als besonders gravierend betrachtet werden müssen.

Ein moderner Führungsstil ist, so gesehen, eine Unternehmeraufgabe erster Ordnung. Es sollen möglichst viele Mitarbeiter im Rahmen ihrer Fähigkeiten, ihrer Vorbildung und ihres Willens zum Mitdenken auf Grund eines umfassenden Delegier-rungsprozesses an so vielen Ent-scheidungsprozessen wie möglich aktiv und schöpferisch beteiligt werden. Das ist, auf eine knappe Formel gebracht, eine moderne, dem Menschen und den Unternehmensnot-wendigkeiteh gleich gerecht werdende Mitbestimmungsphilosophie. Damit kann mehr zur Milderung der oft zitierten „Entfremdung“ der im Produktionsprozeß Tätigen beigetragen werden als durch eine legalisti-sche Denkweise, die letztlich auf eine Entmündigung des Einzelnen und eine verstärkte Fremdbestimmung hinausläuft.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Einsatz eines großen geistigen Potentials auf der Unternehmerseite ebenso notwendig wie die Heranziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse der Soziologie, der Psychologie, der Verhaltensforschung, natürlich auch der Betriebswirtschaftslehre. Ideologie und Dogmatik sollten dabei besser aus dem Spiel gelassen werden. Das Modell sollte Kooperation, nicht aber Konfrontation und Schaffung von Konfliktsituationen sein.

Der Entwurf zur Arbeitsverfassung würde nicht zu diesem Ziel führen, im Gegenteil. Er würde, abgesehen von allen anderen, sehr schwerwiegenden Einwendungen, die man gegen ihn haben muß, das zur Folge haben, was die österreichische Wirtschaft in dieser neuen, vom Weltmarkt diktierten Streß-Situation am allerwenigsten brauchen könnte, und was der führende Sprecher der österreichischen Industrie

die Tendenz zur „Verholratwng“ der betrieblichen Entscheidungsvorgänge genannt hat. An die Stelle einer fortschrittlich konzipierten Mitbestimmung, die sowohl dem einzelnen wie auch dem Unternehmensganzen nützt, würde eine „Zwischendecke“ in Form einer zweiten Funktionärshierarchie eingezogen werden, die einerseits eine bevorrechtete Klasse bilden, anderseits den Betriebsablauf verbürokratisieren würde. Das ist ein Bedenken, das aus der Sicht der Rationalität und betriebswirtschaftlichen Effizienz mindestens ebensoviel Gewicht haben sollte wie die vielen anderen, die aus höheren Ebenen der allgemeinen Rechtsordnung und der Ethik kommen.

Es ist erfreulich, daß der Führungsstil in der österreichischen Industrie zumeist nicht jenen Zerrbildern entspricht, die offensichtlich bei der Konzipierung des Häuser-Entwurfes Pate gestanden sind. Wäre dem so, hätten wir nicht in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren so eindrucksvolle Fortschritte in der Verbesserung unserer Wettbewerbsposition erzielt. Wer die österreichische Industrie kennt, weiß, daß die Beziehungen Unternehmensleitung— Mitarbeiter ebenso wie Unternehmensleitung—Betriebsrat viel besser, menschlicher, kameradschaftlich-offener sind, als Juristen eines Ministeriums es wahrhaben wollen. Es wird auch mit neuen Formen der Mitbestimmung und Menschenfüh-rung experimentiert, und insbesondere in Kreisen der jüngeren Unternehmerschaft rennen die Ministe-rialjuristen offene Türen ein, wenn sie für Mitbestimmung plädieren.

Aber es kommt auf das „Wie“ und damit auch auf das „Wer“ der Mitbestimmung an. Kampfeslärm und Feldgeschrei, wie man sie „hüben“ und „drüben“ bei der Diskussion über das Arbeitsverfassungsgesetz erleben mußte, sind verständliche Begleiterscheinungen einer demokratischen Willensbildung. Sie sollten aber das sachliche Gespräch und insbesondere die sachliche Denkweise nicht überwuchern. Philosophie, Ethik und gesellschaftsreforrnatori-sche Konzepte sind gut und notwendig, aber es wird gebeten, auch die Betriebswirtschaftslehre nicht ganz aus dem Spiel zu lassen!

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