6991054-1986_45_05.jpg
Digital In Arbeit

Kooperation und fairer Wettstreit

19451960198020002020

Kann ein erfolgreicher Politiker zugleich ein moralischer Mensch sein? Oder muß er, um eines höheren Zweckes willen, gelegentlich seine eigenen Prinzipien verletzen?

19451960198020002020

Kann ein erfolgreicher Politiker zugleich ein moralischer Mensch sein? Oder muß er, um eines höheren Zweckes willen, gelegentlich seine eigenen Prinzipien verletzen?

Werbung
Werbung
Werbung

Politiker sind in der Regel nicht unmoralischer als die übrigen Bürger. Man könnte sagen: Jede Demokratie hat die Politiker, die sie verdient. Aber Unmoral und Rechtsbrüche sind bei uns weit verbreitet und werden, wenn sie nicht besonders auffallen, kaum geahndet.

Wir alle sind, in verschiedenem Maße, Fälscher und Betrüger. Eine Spendenquittung hier, eine Spesenrechnung dort; ein kleiner Steuerbetrug hier, ein zu Subventionszwecken gefälschtes Formular dort — Kleinigkeiten meist, aber in der Summe ergeben sich große Beträge und vor allem eine Atmosphäre, in der der Schwindel gedeiht.

Aus dieser Gesellschaft gehen unsere Politiker hervor. Sie haben von Jugend auf gelernt, in der Gesellschaft ihren Vorteil zu suchen. Jetzt leben sie nicht „für die Politik“, sondern „von der Politik“ (sie ist oft ihre einzige Existenzgrundlage). Persönliche Vorteile werden ihnen angeboten oder sie verfügen über die Mittel, sie sich zu beschaffen.

Kann man ein erfolgreicher Politiker und zugleich ein moralischer Mensch sein? Wenn die Frage bedeutet: Kann man ein erfolgreicher Politiker sein, auch wenn man sich in seinem Handeln von der Verantwortung für das Gemeinwohl leiten läßt und seine Amtspflichten nicht verletzt? — so lautet die Antwort, zumindest im Kontext des demokratischen Rechtsstaates: Ja, man kann beides sein.

Die Versuchung zum Machtmißbrauch mag groß sein — das hängt von den objektiven Bedingungen und vom Charakter des Politikers ab —, aber man kann ihr widerstehen. Der Ruf eines integren Menschen trägt sogar meist zum politischen Erfolg bei.

Wenn die Frage dagegen bedeutet: Kann man als Politiker, der seine Pflicht tut, immer die Gebote der Moral befolgen? Muß man nicht zuweilen, um eines höheren Zweckes willen, moralische Prinzipien verletzen? — so ist sie viel schwerer zu beantworten.

Verlangt nicht die Politik, gerade in pluralistischen Demokratien, ständig moralische Kompromisse? Muß der Politiker nicht, um an der Macht beteiligt zu sein, seine eigenen moralischen Uber-Beugungen verleugnen oder hintanstellen?

Muß er nicht auch in der Sicherheitspolitik, in der Umweltpolitik und auf anderen Gebieten von höchster moralischer Brisanz als aktiver Politiker in der Demokratie ständig Kompromisse schließen und Mehrheitsentscheidungen akzeptieren? Wäre daraus nicht umgekehrt die Konsequenz zu ziehen, daß er sich, um seine moralische Integrität zu wahren, am besten ganz aus der Politik zurückzieht?

Das sind schwierige Fragen, die gewiß nicht mit ein paar Sätzen befriedigend zu beantworten sind. Der entscheidende Punkt scheint mir aber zu sein: In einer freiheitlichen Ordnung auf moralische Kompromisse einzugehen, ist kein schmutziges Geschäft, sondern Ausdruck der Gerechtigkeit dieser Ordnung. Was bedeutet „moralischer Kompromiß“ in der Politik?

Hinter der hier vertretenen Auffassung steht die Idee der Gerechtigkeit als Fairneß, nach der das entscheidende Kriterium für die Gerechtigkeit sozialer und politischer Verhältnisse darin gesehen wird, daß alle Individuen und Gruppen als freie und gleiche Rechtssubjekte an ihrer Gestaltung teilnehmen können (sofern sie dem Grundgedanken eines fairen Verfahrens zustimmen).

In einer Gesellschaft, die als ein System der fairen Kooperation gedeutet werden kann, muß es Konsens über Grundwerte und Grundfreiheiten geben, aber daneben auch die öffentliche Diskussion und das politische Ringen um konkurrierende Interessen und alternative Wertvorstellungen.

„Moralischer Kompromiß“ bedeutet dabei nicht, auf eigene Uberzeugungen zu verzichten oder sie zu verwässern; es bedeutet, sich bei ihrer Durchsetzung mit dem zu begnügen, was derzeit mehr- > heitsfähig ist. Eine freiheitliche Ordnung macht es ja andererseits möglich, weiterhin für die eigenen Uberzeugungen einzutreten, um Mehrheiten zu gewinnen.

Was sich mit dieser Konzeption von Gerechtigkeit und Kompromißbereitschaft allerdings nicht verträgt, ist jeder Versuch, die eigenen moralischen Uberzeugungen den anderen gegenüber mit Gewalt durchzusetzen, etwa um mit Hilfe einer Tugend- und Erziehungsdiktatur das Ärgernis des Pluralismus zu beseitigen.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Eichstätt. Der Beitrag ist ein Auszug eines Referats zum Thema „Politisches Handeln zwischen Macht und Moral“ beim Symposion „Macht und Moral“ in Salzburg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung