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Kopfüber in die EG?

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Eine bekannte Wiener Fachbuchhandlung leistet sich seit einiger Zeit ein eigenes „EG“- Fenster; dies spricht für das Leser- und Käuferinteresse. Die einschlägige Literatur aus heimischer Produktion ist längst nicht mehr „spärlich“ (FURCHE 37/ 1988). Recht verschiedenartig ist sie nach wie vor.

Die gewichtigste Neuerscheinung heißt „Herausforderung Binnenmarkt — Kopfüber in die EG?“. Die beiden Herausgeber, Hans Glatz und Hans Moser, be-

kennen Flagge: Was auf Österreich zukommt, verlangt Anstrengungen, eröffnet Chancen, erfordert vor allem Sammlung und Auswertung von Informationen und Argumenten. Solche werden auf über 450 Seiten in Fülle ausgebreitet. Hochqualifizierte Fachleute können ihre Materie gleichwohl verständlich machen; das will etwas heißen — gehen doch die Beiträge nicht auf Volkshochschulkurse zurück, sondern auf ein Fachseminar des Instituts für Höhere Studien, an dem die Herausgeber tätig sind.

Eine gewisse Schlagseite ist unverkennbar, namentlich im Abschlußartikel der beiden; in eine Richtung, die vor allem von Herbert Ostleitner vertreten wird, dem Wirtschaftsberater des SPÖ- Parlamentsclubs: Man solle die Bedeutung eines Beitritts nicht übertreiben; die Wirtschaft werde so oder so Herausforderungen annehmen müssen. Vor allem dem „geschützten Sektor“ (mehr als 50

Prozent!) werde die rauhe Luft der Konkurrenz mehr zusetzen als ihm lieb sei. Nötig wäre eine aktive Modernisierungspolitik, also ein Mehr an Staatsausgaben, aber auch eine kräftige Deregulierung, die wohl gegen die ÖVP durchgesetzt werden müsse, wie das Tauziehen um die Gewerberechtsnovelle 1988 gezeigt habe …

Das sollte Andersdenkende nicht von der Lektüre abhalten. Nur einige der 14 Beiträge seien hervorgehoben: Selten wird

Österreichs Wirtschaftslage im weltweiten Kräftefeld so instruktiv dargestellt, kaum sonst wird die ökonomische Integrationstheorie so faßlich präsentiert wie in den Beiträgen des IHS-Di- rektors Hans Seidel und des WI- FO-Experten Fritz Breuss. Gunther Tichy, Grazer Ökonomieprofessor, faßt seine Plädoyers und Ratschläge für eine gezielte Forschungspolitik gekonnt zusammen und zeigt, warum ordnungspolitische Bedenken neoliberaler Puristen nicht so ganz treffen.

Die Raumplanerin Herta Tödt- ling-Schönhofer verweist auf die regionale Wirkungsverschiedenheit der Binnenmarktimpulse. Wie schwierig — übrigens für die EG selbst ebenso wie für Österreich — angesichts dessen die Gratwanderung zwischen Wachstums- und Ausgleichsorientierung der Politik ist, wird dabei deutlich.

Das ist nicht der einzige gesellschaftspolitische Hinweis. Heinz Zourek (Arbeiterkammer) legt dar, daß EG-Ankoppelung nicht „Sozialabbau“ bewirkt. Hans Seidel und Fritz Breuss betonen, daß die Realisierung des Binnenmarktes die Konsumenten relativ stärkt, die Produzenten (vor allem die multinationalen) relativ schwächt — was ihnen Herbert Ostleitner freilich nicht abnehmen will…

Daß die Landwirtschaft beträchtlichen Anpassungsproblemen entgegensieht (so Michael Zoklits, Arbeitsgemeinschaft für Bergbauemfragen), ist nicht neu; ebensowenig, daß Beitrittsbefürworter nicht zuletzt auf den heilsamen Zwang zu Innovationsschüben setzen (Friedrich Gleiß- ner von der Bundeswirtschaftskammer).

Josef Azizi (Verfassungsjurist im Kanzleramt) erläutert die gängigen Auffassungen über ver- fassungs- und neutralitätsrechtliche Beitrittsprobleme, akzentuiert dabei die „Einschränkungen“ rechtsstaatlicher und demokratischer Standards so pointiert, daß man sich fragen kann: warum wirkt eigentlich der unleugbare Nachholbedarf an Demokratisierung in Ländern mit weit tiefer verwurzelter demokratisch-parlamentarischer Tradition längst nicht so „alarmierend“ wie gerade hier…?

Paul Luif (Institut für Internationale Politik, Laxenburg) zeigt eher deskriptiv Unterschiede zwischen Österreichs EG-Politik und jener anderer neutraler Staaten auf.

Uber einige andere Beiträge kann man, aus verschiedenen Gründen, zur Tagesordnung übergehen. Nicht uninteressant sind Stellungnahmen der Parlamentsclubs der vier Nationalratsparteien im Anhang.

Viele Einzelaussagen, die in manchen Beiträgen aufscheinen, verdienten genauere Kommentierung: Etwa, daß mit oder ohne Mitgliedschaft eine eigenständige Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nur geringe Spielräume hat; daß ohne eine weitgreifende Umweltschutzpolitik große Alpengebiete unbewohnbar werden; daß Österreich im Beitrittsfall seine Sonderinteressen wirklich mit dem angeblichen „Luxemburger“ Vetorecht durchsetzen könnte. Andere Dimensionen und Teilthemen fehlen — etwa die Verkehrspolitik (Transit durch Tirol!) oder die szenariengestützte Analyse der Entwicklung einer Europäischen Union. Trotzdem ist das Buch Pflichtlektüre für jeden Interessierten.

Weitaus enger ist die Thematik einer Schrift des Wiener Staatsrechtlers Theo öhlinger über „Verfassungsrechtliche Aspekte eines Beitritts Österreichs zu den EG“. Die Sorgsamkeit und Strin- genz der Abwägung jeweiliger Alternativen belegt den Standard juridischen Methodenbewußtseins. Ob ein Beitritt ratsam sei, das ist für öhlinger eine politische Entscheidung, steht also nicht zur Erörterung. Wie im Falle eines Beitrittsentschlusses vorzugehen sei, wird klargestellt: Eine Volksabstimmung ist geboten; flankierende verfassungspolitische Maßnahmen, etwa zur Stärkung der Subsidiarität gegen Brüsseler Zentralisierungseffekte, werden nahegelegt. Was freilich die Interpretation der politischen Struktur der EG und ihrer Entwicklungsperspektiven betrifft, würde man sich eine Gegen- übrstellung mit politikwissenschaftlichen Analysen wünschen.

So greift man zu Paul Luifs Buch „Neutrale in die EG?“, das ja in das Integrationssystem der Gemeinschaft in politischer Perspektive einführen und sodann die EG-Politik Österreichs, Schwedens und der Schweiz darstellen will. Leider sind die historischen und systematischen Darlegungen häufig unpräzis; wo politische Probleme, juristische oder wirtschaftswissenschaftliche Kontroversen sichtbar werden, stellt der Autor Zitate unterschiedlicher Ausrichtung nebeneinander; kritische Interpretationen werden meist gar nicht erst versucht.

Informativ ist der Abschnitt über die Durchführung der Freihandelsverträge von 1972 mit den Hinweisen auf die in den drei Staaten jeweils befaßten Einrichtungen und ihre unterschiedliche Arbeitsweise. Was politikwissenschaftliche Integrationstheorien und EG-Analysen (die hierzulande wenig bekannt sind) zur Urteilsbildung in Österreich beitragen könnten, bleibt unerörtert.

In derselben Reihe wie Theo öhlingers Fachgutachten erschien auch eine „Orientierungshilfe“ über „Österreich und die EG - Neutralität und Mitgliedschaft“ aus der Feder des bei der Industriellenvereinigung tätigen Juristen Andreas Lernhart. Sie soll Nichtjuristen die Vereinbarkeit von Neutralität und EG-Zu- gehörigkeit klarmachen. Dabei geht es nicht ohne gelegentliche Vereinfachungen ab, gerade da, wo Fachleute unterschiedlich urteilen.

Ebenfalls für ein breiteres Publikum wurde schließlich eine Schrift verfaßt, die unter dem Titel „Europa - Die große Herausforderung“ steht und für die Kurt Bergmann (Generalsekretär des Management Clubs und ÖVP- Abgeordneter) und Ernst Hofbauer (Chefredakteur der Bundeskammer-Zeitschrift „Der Unternehmer“) als Autoren aufscheinen. In manchmal bewußt salopper, mit den Fakten oft eher großzügig verfahrender Weise wird für den Beitritt geworben, mit Slogans wie „Europa — wir kommen!“ und unter mehrfachem Hinweis auf die „Europabegeisterung“ der Österreicher.

Trotzdem ist die Schrift lesenswert: sie enthält viele, leider nicht durch Quellenangabe belegte Informationen über die besonderen Probleme der verschiedenen Wirtschaftszweige. Daß sie in Brüssel und anderen EG-Metro- polen kursiert, wäre weniger zu wünschen: die selektive Auswahl von Argumenten, der eher oberflächliche Umgang mit EG- Rechtsnormen und anderen Fakten sowie die zweckoptimistische Einschätzung der eigenen Position—dies alles würde dort Vorurteile gegenüber Österreichs EG- Politik eher bestärken als abbauen. Das kann nicht im Interesse Österreichs liegen, und schon gar nicht in dem der Autoren.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Direktoriumsvorsitzender des Instituts für Europäische Politik in Bonn.

HERAUSFORDERUNG BINNENMARKT - KOPFÜBER IN DIE EG? Herausgegeben von Hans Glatz und Hans Moser. Service- Fachverlag an der Wirtschaftsuniversität Wien 1989. 453 Seiten. öS 295,-.

VERFASSUNGSRECHTLICHE ASPEKTE EINES BEITRITTS ÖSTERREICHS ZU DEN EG. Von Theo Öhlinger. Signum Verlag, Wien 1988.84 Seiten, öS 190,- (Signum Europa-Bibliothek).

NEUTRALE IN DIE EG? DIE WESTEUROPÄISCHE INTEGRATION UND DIE NEUTRALEN STAATEN. Von Paul Luif. Wilhelm Braumüller Univ.-Verlagsbuch- handlung, Wien 1988.260 Seiten, öS 230,— (Informationen zur Weltpolitik 11, Herausgegeben vom Österreichischen Institut für Internationale Politik Laxenburg).

ÖSTERREICH UND DIE EG - NEUTRALITÄT UND MITGLIEDSCHAFT. Von Andreas Lemhart. Signum Verlag, Wien 1989. 48 Seiten, öS 79,- (Signum Europa Bibliothek).

EUROPA - DIE GROSSE HERAUSFORDERUNG. Von Kurt Bergmann und Ernst Hofbauer. Norka Verlag Dr. Norbert Kastelle, Wien o. J. (1989). 188 Seiten, öS 179,- (Schriftenreihe des Management Clubs, Band 2).

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