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Korrektiv einer Entfremdung

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Die Salzburger Mozartwochen boten unter anderem eine ima- - ginäre Bühne der frühen Opern Mozarts: Vorurteile wurden getilgt, falsche Etiketten beseitigt, aber auch falsche Erwartungen korrigiert. Der musikalische Gewinn war reich; es gab kaum irgendwo eine Serie gleichgearteter Einstudierungen von derart kontinuierlicher Qualität. Die Entscheidung über ihre Zukunft fallt derzeit nicht in Salzburg allein: ohne Mitwirkung der Schallplatten-Industrie - der bisherige Partner, die BASF, stellte die Musikproduktion überhaupt ein - wäre der Veranstalter, die Internationale Stiftung Mozarteum in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Rundfunk, Studio Salzburg, auf die Dauer überfordert. Die zur Stunde geführten Gespräche lassen indes eine Lösung erwarten.

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Die Salzburger Mozartwochen boten unter anderem eine ima- - ginäre Bühne der frühen Opern Mozarts: Vorurteile wurden getilgt, falsche Etiketten beseitigt, aber auch falsche Erwartungen korrigiert. Der musikalische Gewinn war reich; es gab kaum irgendwo eine Serie gleichgearteter Einstudierungen von derart kontinuierlicher Qualität. Die Entscheidung über ihre Zukunft fallt derzeit nicht in Salzburg allein: ohne Mitwirkung der Schallplatten-Industrie - der bisherige Partner, die BASF, stellte die Musikproduktion überhaupt ein - wäre der Veranstalter, die Internationale Stiftung Mozarteum in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Rundfunk, Studio Salzburg, auf die Dauer überfordert. Die zur Stunde geführten Gespräche lassen indes eine Lösung erwarten.

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„Mitridate, Re di Ponto”, die erste Opera šeria des damals 14jährigen Mozart, auf der Mozartwoche 1970 neu „entdeckt”, dann ein Jahr später in einer halb durchdachten Festspiel-Inszenierung haarscharf an einem Fiasko vorbeilanciert, erwies jetzt noch einmal die Vorzüge der konzertanten Aufführungsform für unsere Zeit, die den symbolischen und inhaltlichen Konventionen des Spätbarock (hier der neuneapolitanischen Arienoper, in der Tendenz einer Retrospektive) beziehungslos gegenübersteht. Mozart hat in „Mitridate” - das Libretto folgt der gleichnamigen Tragödie von Racine - keine nebulösen Vorahnungen auf die späten „Meisterwerke” gegeben; er hat die von ihm - als durchaus sinnvoll akzeptierte - Konvention nicht gesprengt. Die für die Eröffhung der Mailänder Opemsaison am 26. Dezember 1770 im Regio Ducal Teatro komponierte Šeria lebt, wie sie ist: nicht nur in den zeitentsprechend virtuosen Arien, sondern vor allem auch in den mozart-spezifischen Accompa- gnati, den begleiteten Rezitativen, einem in der melodischen Schwebe gehaltenen Sprechgesang, der Assoziationen zurück zu Monteverdi und bis in unser Jahrhundert zu Schönberg auslöst-.

In dieser Mozarf-Selbstverständ- lichkeit, die ich für das Höchsterreichbare halte, ereignete sich der „Mitridate” zu Beginn der diesjährigen Salzburger Mozartwoche der internationalen Stiftung Mozarteum im Großen Festspielhaus unter der Leitung von Leopold Hager, der an den beiden vorangegangenen, ebenfalls von ihm betreuten Einstudierungen wertvolle Erfahrungen sammeln konnte. Die Besetzung der sieben Partien - vier Soprane, ein Alt, zwei Tenöre - beeindruckte durch Stimmigkeit und sorgsame Abschattierung der Farben. Diese Selbstverständlichkeit, diese Natürlichkeit des (vokalen und instrumentalen) Ausdrucks konnte nicht in allen Konzerten dieser Zehn- Tage-„Woche” erreicht werden. Zum Teil hängt das mit den Aufführungsräumen zusammen, aber dieses Problem der in Größe und Bauart ungeeigneten Räume ist kein zufälliges: es hat seinen Grund in einer gesellschaftlichen Entfremdung von ästhetischen Vorgängen, die einmal systematisch untersucht werden sollte. In der heutigen Konzertpraxis hören wir Mozarts Musik, zum großen Teil eine Gebrauchs-, Huldigungs-, Fest- und Unterhaltungsmusik aus gegebenem Anlaß, durchgängig „falsch”, das heißt unter anderen Bedingungen als denen, die zu ihrer Entstehung Anlaß gaben und in ihre Struktur eingegangen sind.

Die Neue Mozart-Ausgabe, bis zum 80. Band vorgedrungen (etwa 110 Bände sind geplant), bemüht sich, nach dem jüngsten Stand der Quellenforschung die Notierung im Sinne des „authentischen” Mozart zu korrigieren, ungeklärte Sachverhalte in kritischer Offenheit darzulegen. Dem vermag aber auch die gutwillige, verantwortungsbewußte Interpreten-Praxis, wie sich in der Mozartwoche 1977 wiederum zeigte, nur bedingt zu folgen. Damit ist das Raumproblem eng verknüpft. Was Erfolg verspricht - und Mozart ist ja ein Erfolgskomponist -, wird in große Räume verlegt. Große Räume verführen zu großen Besetzungen. Die Salzburger Mozartwoche’ hält diesen Trend in Grenzen, weil auch die Wiener Philharmoniker - die neben dem Mozarteum-Orchester die Sinfoniekonzerte bestreiten - ein mozartbewußter Klangkörper sind. Als Georg Solti mit den Philharmonikern im wohl hochkarätigsten Konzert dieser Woche drei „große” Sinfonien brachte (Es-Dur KV 543, „Haffher” KV 385 und g-Moll KV 550), entstand hinter mir ein Disput: einige Besucher zeigten sich enttäuscht von dem allzu „kleinen” Orchester („klein” wirkte es tatsächlich auf dem Podium des Großen Festspielhauses). Von Solti, der als Mozart-Dirigent . jede Gefälligkeit verweigerte und einen dramatisch gespannten, einerseits kontrastreichen, andererseits formal ausgelegten Stil - statt des hier gewohnten musikanti- schen „Gusto” - bot, hatte man eine andere Art von „Festlichkeit” erwartet.

Je erfolgreicher die Mozartwoche ist, desto mehr gerät sie in das Dilemma, zwischen dem selbstgegebenen Anspruch und Festspiel-Erwartungen, zwischen Mozart-Erkenntnis und einer von außen oktroyierten Aufführungs-Praxis, lavieren zu müssen.

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