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Korruption und Vertrauen an der Moldau

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Ivan Medek hat einen unglaublichen Weg hinter sich. Als exilierter Reginiekritiker hielt er im 17. Wiener Gemeindebezirk die Verbindung zu tschechischen Dissidenten aufrecht; vermittelte propagandafreie Nachrichten. Jetzt vermittelt er Informationen zwischen Politikern und dem Präsidenten - in der Prager Burg.

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Ivan Medek hat einen unglaublichen Weg hinter sich. Als exilierter Reginiekritiker hielt er im 17. Wiener Gemeindebezirk die Verbindung zu tschechischen Dissidenten aufrecht; vermittelte propagandafreie Nachrichten. Jetzt vermittelt er Informationen zwischen Politikern und dem Präsidenten - in der Prager Burg.

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FURCHE: Große deutsche Tageszeitungen wie „Die Welt" oder die „Süddeutsche " haben jüngst über die „Prager Mentalität" berichtet, den ausländischen Gast auszunehmen, zu übervorteilen. Man zeichnet - geprägt von bestimmten Erfahrungen mit dem Gastgewerbe, mit Taxlern und privaten Geschäftemachern - das Bild von einem Prag, das gefährlichen lateinamerikanischen Städten sehr > nahe kommt.

IVAN MEDEK: Das ist ein verzerrtes Bild, das hier präsentiert wird. Genauer gesagt handelt es sich hier um Eindrücke von Leuten, die nur einen Teil unserer Gesellschaft kennengelernt haben. Taxler, Schwarzhändler, Schwarzwechsler und Geschäftsleute der niedrigsten Kategorie sind wahrscheinlich die ersten, mit denen ein Ausländer Kontakt hat. Andererseits muß man sagen, daß es stimmt: es ist allgemeiner Wunsch der Menschen hier, schnell reich zu werden. Diese Ungeduld ist typisch für alle postkommunistischen Länder. Ich vermute, daß diese Ungeduld in Böhmen jedoch weniger ausgeprägt ist als in der ehemaligen DDR.

Die Verantwortlichen in der Gesellschaft bei uns sind überzeugt, daß das so nicht lange mehr weitergehen kann, daß das Leben, die Praxis diese unseriösen Geschäftemacher sehr bald belehren wird, daß man das nicht machen kann. Auf der anderen Seite gibt es in Böhmen sehr viele Menschen, die in die Privatwirtschaft gehen, um sich einmal auf eigene Füße zu stellen. Es ist erstaunlich, daß ganz junge Menschen als Handwerker und Kleinbetriebler in die Wirtschaft gehen, ohne daß sie an etwas anknüpfen könnten. Man kann sagen, sie wollen etwas machen, was ihre Großväter konnten.

FURCHE: Ohne Schmiergelder geht in Prag nichts mehr, heißt es. Stichwort Korruption. Ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, Oberst Vaclav Wallis; soll einschlägige Wirtschaftsinformationen an den Chef eines der größten Investmentfonds, Viktor Kozeny, verkauft haben. Auch vom früheren kommunistischen Geheimdienst StB und dem ex-tschechoslowakischen Sicherheitsdienst FBIS gesammelte Details aus dem Leben Präsident Havels und Ministerpräsident Klaus' sollen mitverkauft worden sein. Prager Zeitungen gehen Fällen nach, in denen Mitarbeiter verschiedener Ministerien gegen entsprechende Bezahlung oder Teilhaberschaft Informationen über bestimmte Firmen weitergegeben haben. Hat sich die Korruption in der Beamtenschaft schon weit ausgebreitet?

MEDEK: Bis jetzt gibt es keine Beweise für Korruption auf höchster Ebene. Ich weiß, daß Wallis nichts in der Hand hat, was er mißbrauchen könnte. Es wäre daher ein Fehler, jetzt irgendwelche Schlüsse zu ziehen, bevor die Gerichtsverhandlung abgeschlossen ist. Von der von Ihnen genannten Angelegenheit sind nur ein paar Tratschereien bekannt, sonst nichts. Natürlich ist man immer dazu geneigt, voreilige Schlüsse zu ziehen - sowohl hier als auch im Ausland. Zu Ihrer Meinung, daß bei uns in der zweiten Ebene, der Beamtenschaft, die Korruption schon eingefleischt ist: im Vergleich zu den Italienern sind wir immer noch Anfänger.

Ich habe unlängst mit dem Innenminister gesprochen. Er hat mir gesagt, daß es sofort zu einer Anklage und Gerichtsverhandlung käme, hät-

ten wir nur irgendeinen Beweis, daß es Korruption - zum Beispiel unter Polizisten - gebe. Aber wir haben nichts in der Hand.

FURCHE: Wie agiert Präsident Havel diesbezüglich, der als moralisches Gewissen Ihres Landes gilt und in Europa hochgeschätzt wird?

MEDEK: Dadurch, daß er eben durch seinen Morälkredit die Gerichte unterstützt, ist er Garant der Gesetze und derVerfassung und kann so den Gesetzen zum Zuge verhelfen. Havels Weg ist, Vertrauen in die Polizei, Vertrauen in die Gerichte zu schaffen.

Allerdings kann sich der Präsident nicht erlauben, was die Journalisten tagtäglich machen, indem sie immer hineinbohren in die Arbeit der Polizei, der Gerichte. Journalisten suchen die faulen Stellen, das kann der Präsident nicht. Er hat nur Richtlinien zu geben und darüber hinaus beispielsweise die Polizei oder die Gerichte mit seinen Aussagen zu stützen. Das tut er nicht nur aus moralischen, sondern aus ganz praktischen Gründen. Unsere Gesellschaft hat in den letzten 40 Jahren gelernt, die Polizei und die Gerichte zu verachten. Sie waren autoritär, hatten aber keine Autorität.

Nun kann man aber in einem Rechtsstaat ohne diese Autorität nicht leben, man kann ihn auch nicht bilden, wenn man diese Autorität vermißt.

FURCHE: Und ist dieses Vertrauen in der Tschechischen Republik schon manifest? Gerade Korruptionsvorwürfe zeigen ja eine neue Verunsicherung, sind doch die alten Seilschaften daran interessiert, die Bürger zu verwirren; manche Beobachtermeinen, man dürfe nicht alles, was heute an Negativem in der CR passiert, den alten Kräften als Verursachern in die Schuhe schieben.

MEDEK: Falls jemand bemüht ist, die Strukturen der neuen Gesellschaft zu korrumpieren, dann sind es die alten Kräfte. Nur die könnten Genugtuung fühlen, wenn heute in der Gesellschaft etwas nicht funktioniert. Ich glaube, das ist eine Frage der Zeit, da die „mächtigen Ehemaligen" zahlenmäßig klein sind. Und die Leute wissen, es gibt keinen Weg mehr zurück.

Es scheint aber, daß es ihnen zu langsam geht. In drei Jahren kann man nicht alles ändern. Unserer Gesellschaft mangelt es an historischer Erfahrung: Niemand weiß, wie es hier nach 1918 ausgeschaut hat, als es acht bis zehn Jahre dauerte, bis sich die Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg stabilisiert hatte. Und dabei war das damals eine intakte Gesellschaft, in der sich praktisch nichts verändert hatte. Die Beamten, die Institutionen waren intakt, arbeiteten weiter. Nach 1945 gab es in unserer Gesellschaft nur revolutionäre Etappen. Alles wurde immer umgekrempelt. Daher kann sich die Gesellschaft nicht normal entwickeln. Sie muß es erst lernen.

FURCHE: Ein Prager Journalist hat Präsident Havel unlängst vorgeworfen, in der Frage der Waffenproduktion und vorgesehenen Rüstungskonversion mit gespaltener Zunge gesprochen zu haben. Einerseits signalisierte Havel den Ausstieg aus der Rüstungsproduktion, jetzt sieht er sie offenbar als wichtigen Devisenbringer.

MEDEK: Die Interpretation der Aussagen Präsident Havels durch diesen Journalisten war nicht ganz exakt. Der Präsident hat nie von der Waffenindustrie als ganzer gesprochen. Er hat immer wiederholt, daß er gegen die Produktion von Massenvernichtungswaffen ist und gegen den Export in kriegführende Staaten.

Andererseits ist er der höchste Befehlshaber in der Armee, für die Armee und damit auch für deren Bewaffnung verantwortlich.

Es wäre also falsch, einen Widerspruch zu konstruieren zwischen dem, was er früher, und dem, was er jetzt gesagt hat.

FURCHE: In Österreich gab es diesbezüglich auch eine Diskussion: Das Bundesheer sollte nicht nur vom Ausland abhängig sein, daher eine eigene Rüstungsindustrie. Damit sich diese aber rentiert, mußte sie auch für den Export produzieren.

MEDEK: Die Tschechische Republik kann das durch den Export von Zivil- oder Sportwaffen kompensieren. Da gibt es für uns große Märkte und eine lange Tradition.

Mit dem Leiter der innenpolitischen Sektion in der Präsidentschaftskanzlei, Ivan Medek, sprach Franz Gansrigier.

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