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Kosovo bald ohne Serben?

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Ein bislang wenig bekannter Aspekt der Kosovo-Krise kommt zum Vorschein. Mit Tricks und Gewalt zwingen albanische Nationalisten die Serben zum Verlassen der Provinz.

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Ein bislang wenig bekannter Aspekt der Kosovo-Krise kommt zum Vorschein. Mit Tricks und Gewalt zwingen albanische Nationalisten die Serben zum Verlassen der Provinz.

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Flüchtlingssiedlungen wachsen unaufhaltsam an den Peripherien serbischer Städte und Industriezentren. Zehntausende kehren in das „engere Serbien" zurück, wie das Kernland Serbien ohne seine südliche autonome Provinz Kosovo genannt wird. Ribnica am Rande der Stadt Kraljevo ist eine Siedlung, die einige hundert serbische Familien aus dem Kosovo begründet haben. Ihre Häuschen, die von der Stadt durch den stinkenden Fluß Ibar getrennt werden, sind noch nicht verputzt, an den Fenstern gibt es keine Vor-

hänge, sie sind mit Packpapier verklebt. Aber die solide Bauweise verrät, daß man sich hier auf Dauer niederläßt.

Drei Generationen leben auf engstem Raum zusammengepfercht Beim Lehrer Petar N. sitzen wir um einen alten Küchentisch im Garten. Seine Enkelin reicht nach alter serbischer Sitte „slatko" in einem Schüsselchen, der Löffel geht reihum, mit einem Schluck Wasser werden die picksüßen, eingelegten Früchte hinuntergespült.

Dann gibt es den unvermeidlichen Sliwowitz. Er stammt noch von „drüben", aus dem Kosovo. Niemand spricht von zu Hause, nicht der Bauer aus Metohien, nicht der vormalige Dorfpolizist oder der nervöse, ehemalige Leiter eines Gemischtwarenladens in einem Dörfchen „drüben". Er ist freiwillig gegangen, nachdem ihn seine Kunden, anstelle zu zahlen, beim Kragen gepackt und über den Ladentisch gezogen hatten und ihm noch Schlimmeres androhten. Der Untersuchungsrichter und die Miliz, alles Albaner, hatten ihn ausgelacht. „Man mag uns hier auch nicht, wir sind

nicht willkommen. Aber wo sollen wir hin?", seufzt der Lehrer.

Die wirtschaftliche Lage der Flüchtlinge ist schwierig. Für den Baugrund und das Häuschen haben die Ersparnisse gerade noch gereicht. Staatliche Hilfe gibt es keine, Arbeit ist schwer zu finden. Im Gegenteil, sie wurden aufgefordert zurückzukehren. Die Partei und der Staat verweisen auf die Parole Titos von der „Brüderlichkeit und Einheit".

Vor der Aussiedlungswelle und der Not der Flüchtlinge aus dem

Kosovo werden die Augen verschlossen. Betreten zucken Parteifunktionäre und Journalisten mit den Schultern in Kraljevo, nach den Gründen ihres Schweigens befragt.

Die Serben und Montenegriner weichen dem Druck der Albaner seit den Unruhen 1968 und dem blutigen Aufstand 1981. Sie fühlen sich in der autonomen Provinz Kosovo'nicht mehr sicher. Die Parole von einem „ethnisch reinen Kosovo", mit welcher die albanische Irredenta damals angetreten ist, zeitigt Wirkung und wird Schritt um Schritt Wirklichkeit.

Finanzielle Mittel, die heute ne-

ben der obligatorischen inneren Entwicklunghilfe in das wirtschaftlich unterentwickelte Kosovo gepumpt werden, sollen mit einer forcierten Industrialisierung den Abstand zum übrigen Jugoslawien verringern und die unruhige Provinz besser in den Vielvölkerstaat integrieren. Die zusätzlichen Finanzmittel reichen noch nicht einmal zum Abbau der Arbeitslosigkeit, deren Rate im Kosovo nahezu 40 Prozent erreicht, und das bei einer Bevölkerung mit einem Durchschnittsal-

ter von 28 Jahren! Geschweige denn, daß damit die Geburtenrate der Kosovo-Albaner beeinflußt werden könnte, die die höchste in Europa ist!

Bei gleichbleibendem Tempo der Abwanderung der Serben und Montenegriner ist der Zeitpunkt abzusehen, da die jetzt noch knapp zehn Prozent der Bevölkerung zählende slawische Minderheit im Kosovo nicht mehr existent ist.

Alle Maßnahmen, um die Serben und Montenegriner in ihrer angestammten Heimat festzuhalten, nützen nichts. Daß den serbischen Bauern der Abzug aus den

Dörfern im Kosovo zuletzt noch durch Uberpreise für ihre Höfe und Felder erleichtert wird, läßt die Ursachen, mit denen sie zum Exodus gezwungen werden, nicht vergessen.

Brandlegungen, die Vergiftung von Vieh und Brunnen, vernichtete Ernten, umgesägte Obstplantagen und verwüstete Weingärten sind nur einige der Mittel, mit denen Serben und Montenegriner eingeschüchtert werden sollen. Frauen und selbst Mädchen im schulpflichtigen Alter wagen die Dorf straße kaum mehr zu betreten. Sie zu vergewaltigen, gilt selbst für albanische Parteifunktionäre als Kavaliersdelikt. Ist der serbische Bauer endlich bereit zu verkaufen, erscheint der albanische Nachbar mit einem Sack Bargeld und zahlt bar auf den Tisch. Woher das Geld stammt, konnte eine Reihe gerichtlicher Untersuchungen nicht einwandfrei klären, aber kein Kaufvertrag wurde rückgängig gemacht oder gar für ungültig erklärt.

Die Behauptung der albanischen Käufer, das Geld von der Sippe erhalten zu haben, ist kaum zu widerlegen. Daß die albanische Irredenta als Financier im Hintergrund mitmischt, ist wiederum nicht zu beweisen.

Vor wenigen Tagen hat die jugoslawische Staatspolizei einige hundert Anhänger einer weitverzweigten albanischen Untergrundbewegung ausgehoben. Nicht einmal die drastischen Freiheitsstrafen, die in den letzten Jahren über zahllose aktive Anhänger des albanischen Untergrundes verhängt wurden, wirkten abschreckend.

Die Regierung in Belgrad beschuldigte und beschuldigt das benachbarte Albanien der Einmischung in innerjugoslawische Angelegenheiten und des Schürens von Unruhen im Kosovo.

Ob das ultradogmatische Regime in Tirana auf ein Groß-Albanien und auf den Anschluß des Kosovo mit eineinhalb Millionen Kosovo-Albanern hinarbeitet, scheint doch fraglich. Zu unterschiedlich war die historische Entwicklung und vor allem die jüngste politische Entwicklung in Albanien und im albanisch besiedelten Kosovo, als daß sie ohne Schwierigkeiten unter einen nationalen Hut gebracht werden könnten.

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