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Kosten haben kein Mascherl

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Warum Lohnabschlüsse unter der Inflationsrate und Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich? Warum nicht gleich eine Arbeitszeitverkürzung ohne weiteren Lohnausgleich?

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Warum Lohnabschlüsse unter der Inflationsrate und Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich? Warum nicht gleich eine Arbeitszeitverkürzung ohne weiteren Lohnausgleich?

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Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ist nicht arm an Widersprüchen: Auf der einen Seite meint der Finanzminister, daß vor allem aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit Lohnabschlüsse unter der Inflationsrate erforderlich seien, was zweifellos zu sehr harten Lohnverhandlungen im Herbst führen wird.

Auf der anderen Seite belastet der Sozialminister durch seine Urlaubsverlängerungspläne das ohnehin schon angespannte Verteilungsklima noch zusätzlich.

Kosten haben bekanntlich kein Mascherl. Und Lohnnebenkosten in Form einer Urlaubsverlängerung sind natürlich ebenso ein Kalkulationsfaktor wie die direkten Lohnkosten.

Eine konsistente Strategie hätte daher zu lauten: Wenn wir uns in einen Währungsverbund mit der BRD begeben (Mitziehen mit der DM-Aufwertung) dann müssen wir auch die Lohnpolitik der BRD tendenzmäßig übernehmen, um gegenüber unserem wichtigsten Handelspartner nicht ins Hintertreffen zu geraten. Dies bedeutet aber kurzfristig Reallohneinbußen.

Um diese einigermaßen erträglich zu machen, müßten alle sonstigen Belastungen vermieden werden, da diese, sollen die Unternehmen nicht noch mehr geschädigt werden, eine zusätzliche Verringerung des Verteilungsspielraumes mit sich bringen.

Der Sozialminister produziert somit nicht nur an den Bedürfnissen der Wirtschaft vorbei, indem er ihr eine Belastung von zehn Milliarden Schilling aufbürden will, sondern auch an den Wünschen „seiner” Arbeitnehmer, die eine Erhöhung ihres disponierbaren Einkommens eindeutig einer Verlängerung der Freizeit vorziehen.

Gestiegene Heizkostenrechnungen und erhöhte Zinsen für Kreditrückzahlungen, Preiserhöhungen ganz allgemein, können nur aus einem höheren Einkommen, nicht aber mit mehr Urlaub beglichen werden.

Der Gedanke, Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich, also mit einem proportionalen Lohnentfall durchzuführen, entspricht zwar eher dem Gedanken der Solidarität der Beschäftigten mit den Arbeitslosen, hat aber zwei entscheidende Haken:

Wegen regionaler und qualifi-katorischer Arbeitsmarktungleichgewichte ist auch hier nicht mit nennenswerten Beschäftigteneffekten zu rechnen. Und — was noch schwerer wiegt — die Gewerkschaften stehen einem derartigen Lohnverzicht sehr reserviert gegenüber.

Versprechungen, die Arbeitszeitverkürzung werde bei den Lohnforderungen ohnehin berücksichtigt, sind der Wirtschaft aber zuwenig: Die Vergangenheit ist jeden Beweis für einen wirksamen Einbau von Arbeitszeitverkürzungen in ein lohnpolitisches Gesamtkonzept schuldig geblieben.

Im Jahr 1980 haben die Lohnabschlüsse nicht einmal den Realwert der Bruttoeinkommen gesichert, die Nettoeinkommen sind 1980 wie 1981 real gesunken. Sehr zum Mißfallen der Gewerkschaft, unter deren vorrangigen Zielen sich die Einkommenssicherung

Von HANS GASSNER befindet: deshalb kann es keine pauschale Zustimmung zu Lohnabschlüssen unter der Inflationsrate geben.

Die Einkommenssicherung ist für die Gewerkschafter auch in der Frage der Arbeitszeitverkürzung als Leitlinie gültig: Deshalb lehnen wir eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich ab, weil dies ebenfalls auf eine Einkommenskürzung hinausliefe.

Die Gewerkschaften haben die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Eine etwa durch eine Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich zustandegekommene Einkommenskürzung bedeutet aber für einen Arbeitnehmer, der sich seine Existenz entsprechend seiner Lohn- bzw.

Gehaltshöhe aufgebaut hat, zugleich eine Gefährdung des Lebensstandards. Und dieser ist durch andere äußere Einflüsse ohnedies bereits gefährdet genug (Energiekostenexplosion usw.).

Ich bin weiters der Ansicht, daß sich eine Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich letztlich auch sehr nachteilig auf die Wirtschaft auswirken würde: denn diese indirekte Einkommenskürzung würde zu einem Kaufkraftverlust führen. Erst kürzlich belegten englische und französische Kollegen beim Kongreß des Europäischen Gewerkschaftsbundes mit umfangreichem Zahlenmaterial, daß der durch sinkende Arbeitnehmereinkommen verursachte Kaufkraftverlust in ihren beiden Ländern zu einem Beschäftigungsrückgang in der Gebrauchsgüterindustrie und im Handel von bis zu 20 Prozent geführt hat. Das kommt praktisch einer Arbeitsplatzvernichtung gleich. Ballungszentren könnten einen Kauf-kraf tverlust gerade noch verkraften, nicht aber ohnedies gefährdete (weil strukturschwache) Regionen.

Es spricht noch ein weiterer Grund gegen das Ausbleiben eines vollen Lohnausgleichs: die Begründung für eine Arbeitszeitverkürzung liegt doch hauptsächlich entweder in der geistigen bzw. körperlichen Mehrbeanspruchung durch die heutige Arbeitswelt sowie in steigender Produktivität durch Technologiefortschritt. Warum also soll da der Arbeitnehmer einen Lohnverzicht hinnehmen müssen?

Allerdings gibt es einzelne Arbeitnehmer (meist Mütter von Mehrkinderfamilien), die bereit wären, für mehr Freizeit Lohnabstriche in Kauf zu nehmen. Das kann jedoch nicht zu einer allgemeinen Regelung durch Gesetz oder Kollektivverträge führen, sondern müßte individuell und im jeweiligen Betrieb gelöst werden, etwa über Teilzeitbeschäftigung.

Alle bisherigen Arbeitszeitverkürzungen haben mit vollem Lohnausgleich stattgefunden. So wird es auch bei den kommenden Arbeitszeitverkürzungen sein. Umstritten ist ja hauptsächlich der Zeitpunkt dafür: die primär sozialpolitische Forderung nach Arbeitszeitverkürzung ist entsprechend den wirtschaftlichen Gegebenheiten zu erfüllen. Denn eine Arbeitszeitverkürzung ist kein Geschenk des Himmels. Das wissen auch wir Gewerkschafter sehr genau.

Ine. Hans Gassner (FCG) ist Vizepräsident des Osterreichischen Gewerkschaftsbundes.
DDr. Karl Kehrer ist Generalsekretär der Bundeswirtschaftskammer.

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