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KPI lockt Sozialisten

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Ein so wenige Tage nach dem Mailänder KPI-Kongreß bekanntgewordener Korruptionsskandal — die engsten Mitarbeiter des Turiner KP-Bürgermeisters waren unter dem Verdacht der Unterschlagung verhaftet worden — ist für die Partei über den tagespolitischen Negativeffekt hinaus ärgerlich: Hatte man sich doch auf jenem 16. Parteikongreß unter der Losung „Eine demokratische Alternative für die Erneuerung Italiens“ als Partei der „sauberen Hände“, mithin als Alternative zu den Christdemokraten und dem „Nationalsport Stehlen“ (das Wochenmagazin „L’Espresso“) empfohlen. Auf dem Spiel steht immerhin das

Saubermann-Image, das die KPI über das linke Wählerpotential hinaus attraktiv machen soll.

Nach zähem Festhalten am — gescheiterten — „Historischen Kompromiß“ (dem Koalitionsangebot an die Democristiani von 73) spricht die KPI seit 1980 von jener anzustrebenden „Demokratischen Alternative“. Doch: Alternative wozu, mit wem, innerhalb welcher Frist, mit welchem Ziel?

Denn klar ist nur das „Feindbild DC“, zur Klärung der inhaltlich und bündnispolitischen Fragen fiel Generalsekretär Enrico Ber- linguer wenig tagespolitisch Verwertbares ein. Vage spricht er von einem „progressiven Potential der Katholiken“ und konzediert wenig später daß die „Alternative“ nur mit den Sozialisten zu realisieren sei. Allerdings: Nicht mit einer Sozialistischen Partei (PSI) wie der jetzigen.

Das Wort des Historikers Salvador! von Berlinguers „Angst vorm Regieren“ machte abermals die Runde.

Doch die auf PSI-Vorsitzenden Bettino Craxi gezielten Schreckschüsse trafen diesmal die mittleren Kader der eiąenen Partei. Denn diese haben mit der Prolongierung der Rolle des einsamen Oppositionellen wenig Sinn und suchen nach einem gangbaren Ausweg aus der innenpolitischen Isolation, in der die zweitgrößte Partei des Landes sich seit 1974 befindet („Blockierte Demokratie“).

Die Kritik am Parteiführer, dem es nicht gelang, seine Partei mit ihrem rund 30prozentigen Stimmenanteil an die Regierungsmacht zu führen, wächst. „Nach 13 Jahren Generalsekretariat“, resümiert die römische Tageszeitung „La Repubblica“, „scheintBerlinguer nicht mehr auf der Höhe der realen politischen Entwicklung Italiens“ zu sein.

In der Tat: Berlinguer, gestützt auf das katholische Zentrum seiner Partei („cattocomunisti“), setzt kaum noch Akzente und begnügt sich damit, in der KPI immer häufiger auftretende zentrifugale Entwicklungen zu integrieren. Politisch folgenlos zwischen radikaler Phrase und tagespolitischer Zurückhaltung schwankend, erscheint er hierzulande manchem als Schaf im Wolfspelz.

Eindrucksvoll illustrierte die

Diskussion vor, auf und nach dem Mailänder „congresso storico“, wie weitgehend sich die größte KP des Westens bereits plurali- siert hat. Selbstbewußt präsentieren sich divergierende Strömungen und konkurrieren um Macht und Einfluß.

Bannerträger dieser Entwicklung sind die heute 30- bis 40jähri- gen Funktionäre der mittleren Entscheidungsebene, die dem Kadergehorsam der Komintern- Tradition fremd gegenüberstehen: Rund zwei Drittel von ihnen wurden nicht im uniformierenden Klima der kommunistischen Jugendorganisationen politisiert, sondern im libertären Geist der 68er-Bewegung. Sie waren es auch, die in den Provinzkongressen die altgediente Partei-Nostal- giker zuhauf abwählten.

Von diesem Generationswechsel und dem damit verbundenen Einsickern unorthodoxer Denkweisen getragen, boten sich zwei Parteiführer als Anlaufstellen für Dissidenten:

• Giorgio Napolitano, sozialdemokratischster Repräsentant, äußert sich zur nahen Zukunft konkret: Nur eine Koalition mit den Sozialisten, eventuell mit Sozialdemokraten und Republikanern, könne zum angestrebten Wandel in Staat und Gesellschaft führen. Dieses Ziel sei kurzfristig, langwierige Programmabsprachen vorerst unnötig.

• Sein linker Antipode Pierto Ingrao versucht, „ungeduldige“

Strömungen innerhalb der Partei vorherzusehen und zu kanalisieren, sowie Strömungen außerhalb der KP — die Grünen etwa — an seine Partei zu binden.

Doch eine Lawine trat Ingrao mit seiner — erfolgreichen — Forderung nach mehr innerparteilicher Demokratie los. Oftmals geheime Wahlen veränderten die Nomenklatura der KPI auf allen Ebenen erheblich. Künftig soll parteiinterner Dissens publik gemacht und für seine Ziele geworben werden dürfen. Der Demokratische Zentralismus — conditio sine qua non der kommunistischen Weltbewegung - scheint im Ansatz überwunden, die Rede von den „Nach-Kommunisten“ (KPI- Philosoph Vacca) entstand.

• Ebenso unerwartet wie heftig wurde der philosowjetische „cor- rente“ (Strömung) um A. Cossut- ta, der Integrationsfigur der „ka- bulisti“ (in deutlicher Anspielung auf die sowjetische Invasion in Afghanistan) marginalisiert. Nur 5 bis 7 Prozent der Parteimitglieder machten in den Abstimmungen seinen dogmatischen, am „real existierenden Sozialismus“ orientierten Standpunkt zu ihrem eigenen. Doch das sich’s der allzeit vermittelnde Berlinguer auch mit ihnen nicht verscherzen will, macht seine außenpolitische Verwirrung deutlich:

Zu einer klaren Einschätzung der sowjetischen Außenpolitik kann er sich nicht durchringen, und „imperialistisch“ sei nur die amerikanische. Seinem spektakulären „Ja“ zur NATO (1976) stehen größte Vorbehalte gegenüber der Raketenstationierung in Sizilien entgegen. Unverbindlich spricht er von einer „Überwindung der Logik der Blöcke“.

Gewiß, die KPI trieb allmählich alle heiligen Kühe des Kommunismus — Diktatur des Proletariats, Proletarischer Internationalismus, Demokratischer Zentralismus — an die Schlachtbank der Bereitschaft zu einer reformistischen Politik. Doch die wahren Probleme liegen in Italien woanders. Und zur Wirtschaftspolitik wie zur Außenpolitik, zum Drogenproblem, zum organisierten Verbrechen und zur Rückständigkeit des italienischen Südens fiel dem Einzelkind des Eurokommunismus wenig Vorzeigbares ein.

Nachdem das bolschewistische Erbe der Partei endlich ausgeschlagen wurde, versucht ihr moderater Flügel den potentiellen Bündnispartner PSI zu locken: „Die wahre Neuigkeit sind wir“; und: „Wir sind die italienischen Mitterrands.“

Doch die Sozialisten zeigen sich vorerst nur scheinbar interessiert, denn zu verlockend ist es, auch weiterhin mit kokettem Seitenblick zu den Kommunisten den verbrauchten Koalitionspartner DC unter Druck zu setzen. Und dieser frohlockt nach dem Skandal von Turin: Eine linke Mehrheit genügt nicht, um eine andere Verwaltung zu bekommen.

Nein, auch wenn PSI und KPI in Italien nun freundlichere Worte füreinander finden, ist nach der Krise ihrer Zusammenarbeit in mehreren Großstädten klar: Der „Eurokommunismus in einem Land“ läßt noch auf sich warten.

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