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Krach am Weekend

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Es gibt nur noch sehr wenige Boulevardautoren. Dazu gehört der 39jährige Engländer Alan Ayckbourn, von dem eines Tages in London gleichzeitig fünf verschiedene Stücke gespielt wurden, was sich dort bis dahin noch nie ereignet hatte. Großen Erfolg erreichten drei Komödien unter dem gemeinsamen Titel „Normans Eroberungen“, von denen die erste, „Tischmanieren“, jetzt im Theater in der Josefstadt zu sehen ist - der nächste Ayckbourn folgt aber auf dem Fuße.

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Es gibt nur noch sehr wenige Boulevardautoren. Dazu gehört der 39jährige Engländer Alan Ayckbourn, von dem eines Tages in London gleichzeitig fünf verschiedene Stücke gespielt wurden, was sich dort bis dahin noch nie ereignet hatte. Großen Erfolg erreichten drei Komödien unter dem gemeinsamen Titel „Normans Eroberungen“, von denen die erste, „Tischmanieren“, jetzt im Theater in der Josefstadt zu sehen ist - der nächste Ayckbourn folgt aber auf dem Fuße.

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In diesen Stücken wird auf verschiedenen englischen Landsitzen je ein Familientreffen vorgeführt. Bei Annie, einer noch Unverheirateten, finden sich in „Tischmanieren“ zum Wochenende ihr Bruder Reg und dessen Frau Sarah, ihre Schwester Ruth und deren Mann Norman sowie ein ständiger Gast Tom ein. Das sind aber nicht mehr die Engländer von früher, alle kommen irgendwie mit sich und den Mitmenschen nicht zurecht. Die Partner erweisen sich als nicht die richtigen Partner, Erotisches als Querverbindung bleibt nur ein belangloses Zwischenspiel, die Sehnsucht nach wirklicher menschlicher Bindung findet keine Erfüllung.

Anders als in Ayckbourns früheren Komödien sind die Gestalten psychologisch subtiler gezeichnet. Ihre Anlage könnte einem ernsten Stück entsprechen, aber das Metier des erfolgreichen Boulevardiers drängt zum

Komischen. So werden die Vorgänge mit Witzigem behängt, selbst die immer wieder entstehenden Krachs legt der Autor auf Heiterkeit an. Doch kommt er damit nicht durch. Das abendfüllende Stück wirkt nicht wirklich abendfüllend.

Unter der Regie von Michael Kehlmann gibt es eine typische, gut besetzte „Josefstadf'-Aufführung. Daß die Darsteller als Engländer wirken sollen, wäre ein unbüliges Verlangen. Marianne Nentwich als unbefriedigte, sich einsam fühlende Annie, Aglaja Schmid als stets nörgelnde und jedermann erziehende Superhausfrau Sarah bieten vielschichtige Charakterisierung. Marion Degler, Sieghardt Rupp und Harald Hardt zeichnen einprägsame Gestalten. Eine Meisterleistung: Heinz Marecek als stets nichtsahnender Tolpatsch Tom. Der von Gottfried Neumann-Spallart entworfene Wohnraum hat das Altväterische der Inte-

rieurs vor der Jahrhundertwende. Die Kostüme von Eva Sturminger entsprechen den Gestalten.

Immer wieder werden im Theater am Belvedere Stücke vom Anfang unseres Jahrhunderts zur Diskussion gestellt, die literargeschichtliche Bedeutung haben, aber lange nicht mehr auf die Bühne fanden - derzeit die magische Trilogie „Spiegelmensch“ von Franz Werfel, entstanden 1920 und seinerzeit vom Burgtheater aufgeführt.

Die Hauptfigur Thamal hat zwei Teü-Ichs, seine vitale Tatkraft, seine Ichsucht und Lebensgier verkörpern sich im Spiegelmenschen, sein Gewissen in einem Mönch, der ihm wie der Spiegelmensch fast überallhin folgt. Thamal selbst begeht Verbrechen, erhöht sich zum „Gott“, wird aber Richter seiner selbst und verurteüt sich zum Tod. Die vitale Tatkraft erschöpft sich im Verbrecherischen? Der Spiegelmensch, der dazu treibt, verherrlicht dann doch die Tatkraft großer Menschen. Da spießen sich die Vorstellungen, die Gestalten leben nicht, das ist Konstruktion.

Richard Specht, der 1926 ein Buch über Werfel schrieb, bezeichnet dieses Stück als Wechsel von Pathos und Plattheit, von Nietzsche und Offenbach, von Requiem und Operette, als freche Mischung von esoterischer Zeremonie und Tingeltangel, es seien da Manfredpessimismen, Mephistosar-kasmen, Heinemethoden zu eigenem Gebräu zurechtgelegt. Und dies wird unter der Regie des sehr jungen Alex-

ander Veresco auf der winzigen Bühne vorgeführt, wobei die Darsteller über die Plattheit, die Operette nicht hinwegspielen können, was ihnen nicht zu verdenken ist. Die Bühnenbildandeutungen stammen von Bert Bren, die Kostüme von Sigrid Feig. Die Schwächen des Stücks werden besonders sichtbar. Franz Resch als Thamal, Gerald Uhlig als Spiegelmensch, Heinz Wustinger als Mönch, Monika Geiger als die Frau, der gegenüber Thamal schuldig wird, bemühen sich, den Figuren das Leben zu geben, das ihnen von Werfel her fehlt.

Der Engländer John Cläre, der ursprünglich Landarbeiter war, wird von Edward Bond als sehr bedeutender Poet bezeichnet, dessen Begabung mit der von Shakespeare und Keats zu vergleichen sei. Mehr als 20 Jahre, bis zu seinem Tod 1864, verbrachte er im Irrenhaus. Auf ihn bezieht sich der Titel von Bonds Stück „Der Irre“, Szenen „von Brot und Liebe“, neu bei den „Komödianten“ im Künstlerhaus.

Das Stück besteht eigentlich aus zwei Stücken. Im ersten ist Cläre lediglich Randfigur. Er verfällt der Zigeunerin Mary, heiratet aber später Patty. Er hört bei den aufbegehrenden Reden der Landarbeiter zu, aber als es einen Aufstand gibt - Explosion der skandalösen Zustände von Anno 1815 -, bei dem die Landarbeiter dem korpulenten anglikanischen Pfarrer die Kleider vom Leib reißen und beim Anblick des Nackten erklären, er habe ihnen das Fleisch gestohlen, ist Cläre nicht mehr dabei.

Im zweiten Teil wird er uns als von Gönnern geförderter Autor vorgeführt, der aber die Gönnerschaft wegen unangenehmer Verse verliert und verarmt. Von verfehlten Landspekulationen des historischen Cläre hören wir hier bezeichnenderweise nichts. Bond erklärte, er glaube nicht, daß Cläre ein Irrer war, er habe erst im Irrenhaus, wohin man ihn abschob, infolge schlechter Behandlung Stadien von Halluzinationen durchlaufen. Das geht aber aus dem Stück nicht hervor. Diese Figur innerlich wirklich zu erfassen, gelang Bpnd nur partiell, etwa in der Szene mit seiner Frau, in der kurz der Konflikt zwischen dem fast zwanghaften Schreiben-Müssen und der bedrückenden Not, die er nicht zu meistern vermag, aufbricht. Aus dem Stück heraus geurteilt, könnte man glauben, dies sei die Ursache eines faktischen Irreseins. Aber führt dieser Konflikt notwendig zum Wahnsinn? Bedeutende Werke wurden in arger Not geschaffen. Bond hat das unausgeglichen wirkende Stück nicht bewältigt.

Weshalb schrieb er es? In der Ankündigung des Theaters heißt es, er beschreibe unsere Welt. Tatsächlich erklärt Bond: „Die Grundlagen unserer Wirtschaft sind Ausbeutung und Aggression.“ Ausbeutung bei 40-Stunden-Woche, Krankenfürsorge, Urlaubsreisen, Fernsehen und Auto? Bond zementiert verbrecherische Zustände von einst, die nun endlich bei uns überwunden sind.

Regisseur Jan Meyer bietet eine durchaus sehenswerte, nur allzu gedehnte Aufführung. Gerhard Jax gelingt wieder eine gute Bühnenbildlösung: ein mit braunen Matten Belegtes hügeliges Gelände. Für eine Innen-raumszene wird ein Stück Fußboden freigelegt. Manfred Lukas-Luderer hat als Cläre das Hintersinnige des unglücklichen Dichters. Sehr glaubhaft wirkt Waltraud Kutschera als die seine Bedeutung gar nicht begreifende Patty. Rosemarie Melchers ist eine temperamentvolle Mary, Dietrich Schlederer ein zwar weder alter noch korpulenter, aber würdiger Pfarrer. Meist deckende Leistungen der anderen Darsteller.

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