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Kranker Riese

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Trotz der Herauslösung der österreichischen Bundesbahnen aus dem Verkehrsministerium und der Schaffung eines eigenen Wirtschaftskörpers „österreichische Bundesbahnen“ durch das ÖBB-Gesetz llo9 gleitet Österreichs größtes Unternehmen immer weiter in die roten Zahlen. Heuer werden den Einnahmen von nicht ganz elf Milliarden Schilling Ausgaben von fast fünfzehn Milliarden gegenüberstehen.

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Trotz der Herauslösung der österreichischen Bundesbahnen aus dem Verkehrsministerium und der Schaffung eines eigenen Wirtschaftskörpers „österreichische Bundesbahnen“ durch das ÖBB-Gesetz llo9 gleitet Österreichs größtes Unternehmen immer weiter in die roten Zahlen. Heuer werden den Einnahmen von nicht ganz elf Milliarden Schilling Ausgaben von fast fünfzehn Milliarden gegenüberstehen.

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Das Defizit des kranken Verkehrsunternehmens wird heuer mit 2,8 Milliarden Schilling einen neuen Gipfel erklimmen, denn 1970 hielt es noch bei 1,6 Milliarden, im Vorjahr war es allerdings bereits auf 2,4 Milliarden gestiegen. Der Finanzminister wird die Gebarung der ÖBB nur durch massive Zuschüsse einigermaßen in Ordnung halten können: Neben dem Defizit muß der Staat noch rund 2 Milliarden als Abgeltung für die Pensionslasten und die Sozialtarife bezahlen, die Investitionszuschüsse des Staates machen etwa 1,2 Milliarden aus. Insgesamt also ein Betrag von rund sechs Milliarden Schilling, das entspricht etwa fünf Prozent des gesamten Budgets.

In den ÖBB führt man diese erschreckenden Zahlen allerdings auf ein verzerrtes Bild zurück. Die österreichischen Bundesbahnen fühlen sich den anderen Verkehrsträgern gegenüber stark benachteiligt: So muß das Unternehmen zum Beispiel für den Ausbau, die Modernisierung und die Instandhaltung aller seiner Verkehrsanlagen selbst aufkommen. Es ist dies nach Meinung der Bundesbahngewaltigen ein unhaltbarer Zustand. Wenn man das Beispiel auf die Straße übertragen würde, könnte man die Schwierigkeit der Situation erst recht ermessen: Es ist dies genau so, als ob'der Besitzer eines Personenkraftwagens sich nicht nur seine Autobahn selbst bauen lassen müßte, sondern dazu noch die notwendigen Instandhaltungen finanzieren und die Verkehrspolizei erhalten. Streng genommen, -tut er das ja auf dem Umweg über Kraftfahrzeugsteuer und die in den Benzinpreisen enthaltenen

Steuern auch, aber das Ausmaß der Belastung ist doch weitaus geringer.

Die Nebenbahnen

Die Bundesbahnen klagen auch über eine zweite, allerdings schon alte Ungerechtigkeit: Sie müssen einen großen Teil der Pensionslast chen werden kann selbst tragen. Von den 4,5 Milliarden, Vorstand als auch dem, Verkehrs-die heuer an Pensionen bezahlt wer- minister klar. den müssen, zahlt der Staat nur Nach wie vor müssen die unren-

1,7 Milliarden zurück, also etwas mehr als dreißig Prozent. Die Bundesbahnen wollen das Verhältnis aber umkehren und verweisen auf das Beispiel anderer Unternehmer, die durchschnittlich nur dreißig Prozent der Soziallasten selbst bezahlen müssen.

Dazu kommt noch, daß der Wagenpark langsam veraltet, die Kosten für Mieten ausländischer Waggons und Lokomotiven immer stärker steigen und die geplanten Investitionen von 2,4 Milliarden Schilling nicht zu verwirklichen sind. Heuer können knapp 1,7 Milliarden investiert werden, ein Betrag, der durch die ständig steigenden Preise und Kosten ohnehin nur noch die notwendigsten Instandhaltungsaufgaben oder bereits begonnene Investitionsvorhaben zuläßt.

Daß unter diesen Gesichtspunkten dem Auftrag des Gesetzgebers, die ÖBB nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen, kaum entspro-ist sowohl dem

Defizitäre Nebenbahn (in der Steiermark): 300 Millionen mehr

Photo: Archiv tablen Nebenbahnen aus gesamtwirtschaftlichem Interesse weitergeführt werden. Obwohl der Verwaltungsrat im letzten Jahr die Stillegung von 27 der rund 50 Nebenbahnen empfohlen hat, sind bisher nur zwei Einstellungen erfolgt. Gemeindevertreter wie Län-'der, und auch die Interessenvertretungen, laufen Sturm gegen die ihrer Meinung nach unvertretbare Einstellung der Nebenbahnen, und die ÖBB müssen nach wie vor rund 300 Millionen Schilling jährlich aufwenden, um die Bahnen in Betrieb zu halten.

Ob es den ÖBB gelingen wird, mit einem ähnlich radikalen Schritt die unrentablen Linien einzustellen, wie die AUA ihre unrentablen Inlandstrecken abgebaut hat, bleibt zu bezweifeln. Sicher ist hingegen, daß nur eine massive Kapitalinjektion seitens des Finanzministeriums die ÖBB wieder auf kaufmännisch vertretbare Geschäftsergebnisse bringen wird: Erst wenn das Unternehmen in der Lage ist, modernste Züge und Waggons auch in weniger bedeutenden Kursen einzusetzen, werden Österreichs Reisende auf die überfüllten Straßen verzichten und wieder zur Bahn zurückkehren.

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