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Krankheit und Schuld

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Zunächst ist die Frage zu klären, in welcher Weise Aids (als Krankheit) als mögliche Folge einer Schuld des Erkrankten gesehen werden kann. Ganz allgemein kann man sagen, daß das Verhältnis von Krankheit und Schuld ein Dreifaches ist: Der Mensch kann aus der Gebrechlichkeit (mangelnde Abwehrkräfte des Körpers, Gewalt der Krankheitsursache) erkranken. Theologisch kann man hier von einer Erkrankungsmöglichkeit sprechen, die sich aus den Folgen der Ursünde ergibt.

Der Mensch kann ferner aus eigener Schuld erkranken, insofern er sich aufgrund ungezügelter Sexualität ansteckt. Ein in der monogamen Ehe integriertes Intimleben, der Verzicht auf außereheliches Sexualleben sind wesentliche Haltungen, die eine Anstek-kung verhindern.

Der Mensch kann aber auch aus fremder Schuld erkranken: Das Kind einer aidskranken Schwangeren kann aidskrank zur Welt kommen. Bei Bluttransfusionen ist dank der vorgänglichen Untersuchung die Gefahr einer Anstek-kung praktisch ausgeschlossen. Im Zuge einer Vergewaltigung könnte Aids übertragen werden..

Es ist geradezu grotesk, daß die Angst vor einer Ansteckung ein moralisches Verhalten erzwingt. Vielleicht ist es richtiger, von einem moralanalogen Verhalten zu sprechen, da vielfach keine echten moralischen Entscheidungen den Verzicht gefährlicher Sexualkontakte vermeiden lassen.

Das zweite Problem ergibt sich aus der Frage nach der Infektion durch die Kelchkommunion, die in den christlichen Konfessionen üblich ist. Gutachten mehrerer qualifizierter Institute in der Bundesrepublik Deutschland haben nachgewiesen, daß^ keine Infektionsgefahr besteht.

Der dritte Schwerpunkt der Diskussion hat sich zu einer besonderen Aufgabe der Christen entwickelt: Die Verfemung der Aidskranken: Man meidet die Patienten wie einst die Aussätzigen in der Bibel. Niemand will mit ihnen zu tun haben. Dem Vernehmen nach haben in den USA Schwestern aidskranke Kinder zur stationären Pflege aufgenommen.

Die ärztliche Aufklärungspflicht fordert nicht nur die Aufklärung, sondern auch folgerichtig die Motivation zu einer gegebenenfalls indizierten Behandlung.

Was die ärztliche Schweigepflicht betrifft, so ergibt sich die Frage, ob der Arzt den Ehe- oder Sexualpartner eines infizierten Patienten gegen dessen Willen über die Gefährdung aufklären darf und ob er hierzu nicht eventuell geradezu verpflichtet ist. Unterläßt der Arzt die Aufklärung, wäre dies sicherlich kausal für eine Infektion des Partners, wenn diese nicht bereits erfolgt war.

Auf jeden Fall sind eheliche Treue und sexuelle Enthaltsamkeit geeignete und menschenwürdige Wege, um die Ausbreitung von Aids zu vermeiden.

Der Autor ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Dozent für Pastoralmedizin an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in St. Pölten.

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