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Digital In Arbeit

KRANKMACHER BÜRO

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Büroarbeit macht krank. Ständiges Sitzen, Bewegungsmangel, falsche Ernährung und zahlreiche andere Belastungen machen das Büro für immer mehr Menschen zu einem leidvollen Arbeitsplatz.

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Büroarbeit macht krank. Ständiges Sitzen, Bewegungsmangel, falsche Ernährung und zahlreiche andere Belastungen machen das Büro für immer mehr Menschen zu einem leidvollen Arbeitsplatz.

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Fast jeder zweite Mann und jede vierte Frau gehen in Österreich - wie die Arbeiterkammer kürzlich alamie-rend feststellte - bereits in die Invaliditätspension.

Die überwiegende Mehrheit leidet an Gelenks- oder Kreuzschmerzen, hervorgerufen durch jahrzehntelange einseitige Arbeitsbelastungen und fehlendem sportlichen Ausgleich. Psychiatrische Krankheiten sowie Herz-Kreislaufbeschwerden gehören ebenfalls zu den am häufigsten vorkommenden Beschwerden.

Wie viele Leiden davon direkt der Büroarbeit zuzuschreiben sind, läßt sich nicht genau eingrenzen. Klar ist jedoch, daß das Büro für immer mehr Menschen ein krank-machender Arbeitsplatz ist. Die Unfallversicherungsgesellschaften klagen bereits über die enormen volkswirtschaftlichen Kosten, die durch solche Erkrankungen und die damit verbundene Rehabilitation entstehen. Sie investieren daher immer mehr in Aufklärung und vorbeugende Maßnahmen zur Sicherung der Gesundheit am Arbeitsplatz (siehe Seite 14).

Schätzungen für das Jahr 2000 gehen davon aus, daß 65 Prozent aller Arbeitsplätze in Büros liegen werden; der größte Teil wird computerisiert sein. Daraus läßt sich leicht ablesen, welche Bedeutung künftig der gesundheitlichen Vorsorge am Arbeitsplatz Büro zugeschrieben werden muß.

Welche Ursachen sind für diese krankmachenden Arbeitsbedingungen verantwortlich? Sind die Menschen empfindlicher geworden, wie viele meinen? Oder können mit dem steigenden Leistungsdruck der modernen Arbeits weit nicht mehr so ohne weiteres fertig werden?

Die Anforderungen an den Büroarbeitsplatz steigen mit der Entwicklung von Technik, Produkten und

Märkten. Mensch, Büro und Organisation müssen daher intensiver als bisher und in neuer Weise aufeinander abgestimmt werden, wie amerikanische Fachleute raten. Glaubt man führenden skandinavischen Forschern, so ist der „menschliche Körper für die statische Belastung, wie sie Büroarbeit bringt, überhaupt nicht gebaut”.

Man weiß zwar inzwischen auch bei uns, wie ein ergonomischer Arbeitsplatz auszusehen hat. Dazu gehören: eine ausreichende Arbeitsfläche am Schreibtisch, körpergerechte Sitzmöbel, nichtreflektierendes Licht, eine Mindestanzahl an Arbeitsfläche pro Computer, strahlungsarme Bildschirme und so weiter. Die Praxis zeigt aber, daß da vieles noch im argen liegt: Zu kleine Schreibtische, schlechte Stühle, verrauchte Büro räume mit unzureichender Belüftung und schlecht organisierten Arbeitsplätzen gehören noch immer zur Bürowirklichkeit.

Erkrankung durch Strahlung?

Im einzelnen sind die Belastungen bei der Büroarbeit - und hier vorallem der Bildschirmplatz - in vielen unterschiedlichen Studien erforscht worden. Einfache Schuldzuweisungen an die Technik, an die Arbeit oder Arbeitsorganisation treffen nicht das Problem. Vielmehr gibt es, wie schwedische Untersuchungen zeigten, eine ganze Reihe von Faktoren, die schuld sind am Leid der „Büromenschen” (siehe Seite 15).

Bislang konnten keine bleibenden Schäden durch Bildschirmarbeit exakt nachgewiesen werden. Es bleiben aber noch viele offene Fragen bezüglich langfristiger gesundheitlicher Folgen. Japanischen Forschern gelang etwa kürzlich der Nachweis, warum Bildschirmarbeit die Augen ermüdet. Beim Blick auf den Schirm verringert sich die Lidfrequenz des Auges um zwei bis dreimal weniger als etwa beim Lesen eines Buches oder während der Entspannung. Als Folge davon trocknet die Hornhaut aus und verursacht Reizungen und

Ermüdungen. Da viele Erkrankungen beispielsweise durch Strahlungen oft erst nach langjähriger Bildschirmarbeit auftreten können, wird die gesundheitliche Prävention auf diesem Gebiet immer wichtiger (Seite 13).

Das beginnt aber bereits bei der richtigen Ernährung und reicht von kurzen schöpferischen Pausen während der Arbeit bis hin zu sportlicher Regeneration in der Freizeit. Eine gesunde Lebensweise ist noch immer die beste Garantie, daß man auch die Anforderungen eines langen Büroalltags gut überstehen kann.

Das Büro ist nicht nur der Schreibtisch, sondern ein Raum, in dem Mensch und Technik eng zusammenarbeiten. Ist nun beispielsweise auch der soziale Umgang innerhalb der Mitarbeiter gestört, kann das Büro schnell zum Ort der Aggression werden. Streit, Mißgunst oder einfach Neid brechen oft aus banalem Anlaß hervor und vergiften das Arbeitsklima. Starke

Depressionen einzelner Mitarbeiter mit physischen und psychischen Beschwerden, sind die Folgen. „Mobbing” ist ein in den USA dafür bereits bekannter Begriff für Schikanen am Arbeitsplatz. Diese Entwicklung wird zusehends auch bei uns von der Medizin und der Psychologie ernst genommen. Hauptleidtragende des Mobbing sind Frauen, die meist über als ungerecht empfundene Schikanen klagen. Das reicht von Kündigungsoder Versetzungsdrohungen seitens ihrer Vorgesetzten bis hin zu Mißhandlungen von Kollegen, die sich wegen Mehrarbeit rächen wollen, wie Mitarbeiter des ersten deutschen „Mobbing-Telefons” immer häufiger zu hören bekommen.

EDV kontrolliert Mitarbeiter

Neuralgischer Punkt der Belastungen im Büro ist Streß. Streß ist heute aber beileibe mehr keine „Managerkrankheit”. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen, daß Streßfaktoren besonders dort auftreten, wo Arbeit als unangenehmer Zwang auftritt, wie beispielsweise bei längerer stupider Dateneingabe am Bildschirm. Ebenso aber auch dort, wo Mensch und Maschine im Arbeitsprozeß nicht miteinander harmonieren.

Die zunehmende Technisierung des Arbeitsplatzes fördert zudem neue Arten von Streß. Mitarbeiter leiden unter dem „Electronic monitoring”, einer neuartigen Kontrolle der Arbeitsleistung, wie sie in den USA schon lange üblich ist. Sämtliche Arbeitsleistungen vom Eintippen auf dem Bildschirm über vollzogene Arbeitsleistungen bis zum Gang auf die Toilette können mittels elektronischer Überwachung von oben her problemlos kontrolliert werden.

Eines ist somit klar: Nachdem lange Zeit der Technik der absolute Vorrang im Büro eingeräumt wurde, muß mehr als bisher bei der Ausstattung Arbeitsplatz wieder Maß an menschlichen Bedürfnissen nehmen, wenn wir nicht ein „Volk von Invaliden werden wollen”.

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