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Mode und Politik: Kreative Anarchie und Uniformität

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Politische Umstöße, wie die französische Revolution, brachten häufig modische Revolutionen mit sich. Ihre Wirkung sehen wir in der Kleidung, die wir heute tragen.

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Politische Umstöße, wie die französische Revolution, brachten häufig modische Revolutionen mit sich. Ihre Wirkung sehen wir in der Kleidung, die wir heute tragen.

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Als vor zweihundert Jahren die Aristokratie mit ihren gepuderten Perücken, mit ihren Reifröcken und Kniebundhosen (= Culotten) entmachtet wurde, wandelte sich die Kleidung des Pöbels, die lange Hose, die Kappe (= Jakobinermütze) der einstigen Galeerensträflinge zum Symbol für eine neue Zeit. Die Mode der Französischen Revolution wurde zur Grundlage der Mode des bürgerlichen Zeitalters, zur Basis der Mode von heute.

Niemals wieder gab es solch einen prinzipiellen Umbruch in der gesellschaftlichen Ordnung und somit in der Mode. Die Kleider der arbeitenden Frauen, der Josefinischen Stubenmädchen, der Landmädchen oder der Wäscherinnen waren auch in Österreich Vorbild vorerst für die Kleidung des Biedermeier, die wiederum Inspirationsquelle für unsere heutige Trachtenmode ist.

Neue Weiblichkeit: brave Häubchen und Blusen

In der Mode kamen die Revolutionen von unten, aus dem Volk, nicht aus den herrschenden Klassen. Die Damen der Aristokratie, auf denen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit lag, haben die neuen Ideen nur transportiert. Das Revolutionsjahr 1848 brachte keine neue Mode, die vormärzlich schlichte, relativ schmale, dekorationslose Linie wurde auch nach 1850 nicht grundlegend anders. Wohl drückt die relative Saturiertheit und Stabilität der politischen und wirtschaftlichen Situation die Silhouette der Frau matronenhaft in die Breite. Waagrecht betonte Dekors auf den Röcken, kleine, niedrige Frisuren und mütterlich anmutende Häubchen und brave weiße Blusen vermitteln die neue Weiblichkeit.

Mit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, der Gründerzeit, kam der Umschwung. In der Gesellschaft gaben ein traditionsloser und ungebildeter Geldadel, Industriebourgeoisie und Schauspieler den Ton an. Zur Zeit des Börsenkrachs von 1873, des Höhepunkts demonstrativen Konsums, dominierten übereinander gehäufte Spitzenrüschen, Posamentrie, verschiedenste Muster an einem Kleidungsstück, hautenge Ärmel, geschnürte Taillen, schmal um die Hüften drapierte Röcke, falsche Haare und falscher Schmuck. Die Zahlungskräftigkeit des Mannes wurde direkt an der Unbeweglichkeit seiner Frau gemessen.

Zum Zentrum der modischen Ausrichtung ganz Europas wurde das Atelier des Malers Hans Makart - ein einmaliges Phänomen der Verbindung von Kunst und Mode. Er war nicht nur für die Mode, den Wohnstil, die Bühnenbilder am Theater, sondern auch für Gestaltung des Gesellschaftslebens maßgebend.

Jugendstil: Pastell und Eleganz

Der Jugendstil - ohne den Schwulst Makarts undenkbar — brachte Eleganz, Leichtigkeit, die Schwerelosigkeit duftiger Stoffe, subtile Farben. Künstler stellten sich der Aufgabe, die Frau vom Korsett zu befreien und auch ihren Körper dem neuen Stil anzupassen. Doch die Befreiung war nur Schein, der Körper der Frau wurde zur eleganten Blüte stilisiert, blumenähnlich sich windend, wie die dekorativen Elemente dieser Zeit. Die höchsten Stehkragen der Geschichte - in pastellfarbenen Spitzen eingenähte Metallspiralen - sollten als wahre Marterinstrumente einen langen schlanken Hals erzielen.

Weit und lose fallende „Reformkleider" legten sich über weiterhin eingeschnürte Körper, deren Silhouetten immer grotesker wurden. Ein mit vorgeschobener Brust und weggedrücktem Bauch nach hinten gestrecktes Hinterteil erzwang eine entenähnliche Haltung. (Auch die gegenwärtige Bademode, deren Beinausschnitte bis zur Taille hinauf reichen, erfordert von den Models eine ähnliche Haltung.)

Durch den Mangel an Material während des Ersten Weltkrieges kam die Krinoline wieder in Mode. Unter dem Titel Kriegskrinoline wurde sie sowohl unter militärisch strengen Kostümen als auch zu den changierenden Taftkleidern getragen, die unter „Wiener Stilkleid" figurierten. Wolle und Baumwolle waren nicht mehr zu haben, dafür aber Bastseide. Sowohl die Schießbaumwolle als auch später die Kunstseide sind Nebenprodukte der Rüstungsindustrie.

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde die durch den Nationalsozialismus wiederentdeckte Weiblichkeit mit schmal betonten Taillen und Hüften, adretten weißen Kragengarnituren, hohen Absätzen, Puffärmeln und kleinen Hütchen unterstrichen - ein „Clean-Girl"-Look.

Krieg, Konjunktur und Mode

Der „New Look" Christian Diors aus dem Jahr 1947 schloß genau dort an, wo die Mode vor dem Krieg aufgehört hatte. Die Mode der fünfziger Jahre nahm auf, was hundert Jahre zuvor stilistisch Mode gewesen war: kleine Frisuren, schmale Taillen, drapierte Busen - ein biederes Image. (Nicht nur hier macht sich der Hundert-Jahre-Zyklus in der Mode bemerkbar.)

In den sechziger Jahren brach die kreative Anarchie aus - Mode kam wieder und massiver als je zuvor aus den unteren Gesellschaftsschichten, und sie trat offen mit Sex in Verbindung. Der Konjunkturrückgang der siebziger Jahre bewirkte mehr Realismus, das Konzept der Uniformität wurde ausgebaut.

Heute greifen wir unter dem Mantel der Freiheit und der Demokratie in der Mode zu den Stilelementen der letzten dreißig Jahre, zu den Schuhen der vierziger, den langen Röcken der dreißiger Jahre - als Suche nach Identität, als Ausdruck einer inneren Krise?

Die Autorin lehrt Geschichte der Mode an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.

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