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KREATIVE INSEL FÜR SALZBURG

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Blutet eine Stadt wie Salzburg in knapp zwei Monaten ihr gesamtes schöpferisches und finanzielles Potential für Festspielgäste und Salzburger aus? Gehen die Som-merferien des Landestheaters, der Elisabethbühne, des Kleinen Theaters und des TOI-Hauses nahtlos in eine Art Winterschlaf über, der nur durch Premieren im Vierwochen-Rhythmus wieder unterbrochen wird?

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Blutet eine Stadt wie Salzburg in knapp zwei Monaten ihr gesamtes schöpferisches und finanzielles Potential für Festspielgäste und Salzburger aus? Gehen die Som-merferien des Landestheaters, der Elisabethbühne, des Kleinen Theaters und des TOI-Hauses nahtlos in eine Art Winterschlaf über, der nur durch Premieren im Vierwochen-Rhythmus wieder unterbrochen wird?

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Das Problem des Winterschlafes hat eine eigene Dimension: Viele Spielstätten, wie der Stadtkinosaal, die Pernerinsel und der Petersbrunnhof sind im Winter mangels Heizung unbespielbar - so ist das in einer Barockstadt.

„Vor zwanzig Jahren gab's nix in der Stadt, abgeseh'n vom traditionellen Kulturbetrieb", so der jetzige Leiter der „Szene Salzburg", Michael Stol-hofer, in nostalgischen Reminiszenzen schwelgend. „Da wurden einfach ein paar Stricke zwischen die Bäume an der Salzach gehängt, da haben die Künstler ihre B ilder mit Wäscheklammern fixiert, das lief unter der Bezeichnung „MAGRA 70". Die Leute sind mit der Gitarre am Boden gehockt und haben musiziert."

Ein Jahr zuvor, 1969, gab es die legendäre „Club 2000-Party", das war auch schon das schrägste was man sich damals in Salzburg zumutete. Der seinerzeitige Leiter Alfred Winter verstand es dann in den nächsten Jahren, Leute wie Friedrich Gulda, Karl Merkatz, Gidon Kremer, Curd Jürgens und Barbara Rütting zum Mitmachen zu animieren. 150 Spielorte wurden gezählt, fast jeder Wirtshaussaal wurde bespielt, da es den Salzburger Wirten schon damals ziemlich egal war was gespielt wurde, wichtig war, daß Gäste kamen.

Die damaligen Veranstaltungsorte waren der Bürgerspitalshof, in Rufweite der Festspielhäuser, das Kol-pinghaus, der Kapitelsaal und der legendäre Petersbrunnhof . 1978/79 lief unter dem Titel „Szene der Jugend" fast alles, was nicht traditionell war, das waren bis zu 300 Veranstaltungen. 1980 kam Michael Stolhofer als neuer Chef der „Szene Salzburg", alternativer Kleinkram wird abgestoßen, Stolhofer frönt seinerObsession, hochkarätiges Theater und Tanztheater zu machen.

Die Halleiner Werkzeugmaschinenfabrik EMCO wird beispielgebender Sponsor der „Szene". Mit dem Geld kann man gut einkaufen gehen, es kommen: die Tanzgruppen Rosas, The Needcompany, Jean Claude Galotta, Wim Vandekeybus, Herbie Hancock, Michelle Anne De Mey. Stolhofer bekennt sich zum anderen Theater, formal und inhaltlich.

Künstler wie Bob Wilson und Edith Clever bringt er dazu, daß sie mit jungen Schauspielschülern eine Produktion zusammen erarbeiten. Künftig soll mit den Festspielen eine gemeinsame Schiene entwickelt wer-

den, die ein neues Gesicht hat. „Gerade am Tanzsektor, im Modern Dance, wo Mortier gar nichts hat und die ,Szene' es allein nicht packt", soll in Hinkunft zusammengearbeitet werden.

Ein neuer Spielort, die Pernerinsel mit ihrer Solereinigungshalle in Hallein, wurde zwölf Kilometer von Salzburg entfernt für die „Szene" gefunden und adaptiert. Die „Szene Salzburg" will künftig ein europäisches Produktionszentrum in und um Salzburg etablieren. Im Vordergrund steht die Produktion, das Erarbeiten von Kunst - Workshops, Ateliers und vielleicht eine Schule sollen eine „kreative Insel" bilden, ähnlich dem Kulturzentrum „Theater am Turm (TAT)" in Frankfurt.

Räume erobern

Seit der Einstellung der Salzgewinnung steht die Saline Hallein auf der die Salzach spaltenden Pernerinsel leer. Die „Szene" hat das Gelände den Festspielen als gemeinsamen Spielort vorgeschlagen. Stolhofer: „Die Salzburger sind nicht weiß Gott nicht wie mobil, um sich auf eine neue Situation einzustellen, es ist doch eine Stadt, wo sehr wenig Bereitschaft vorhanden ist sich zu bewegen. Einige wenige preschen vor, und es dauert bis das dann die Runde macht." In Salzburg selbst hätte es keinen Veranstaltungsort wie die Pernerinsel gegeben.

Stolhofer ist ein Feind von neugebauten Theatern, die Kultur, die die „Szene" betreibt, ist prädestiniert und lebt vielmehr davon, daß sie vorhan-

dene Räume erobert, gerade jene, denen der Charme einer abgewirtschafteten Ära anhängt. Das war schon beim Stadtkino so, das war beim Petersbrunnhof so. Stolhofer: „Dort soll jetzt die Elisabethbühne hineinkommen, wobei ich das nach wie vor für eine Schnapsidee halte. Die Bedürfnisse der Elisabethbühne sind mit der Bausubstanz des jetzigen Petersbrunnhof nicht in Einklang zu bringen. Es ist Wahnsinn, die einzige noch vorhandene Option auf eine zukünftige kulturelle Entwicklung, wo jeder arbeiten kann wie er will, aufzugeben. Alles, was in den letzten zwanzig Jahren entstanden ist, hat den Freiraum des Petersbrunnhof gebraucht. Das ist eine gesellschaftspolitische Option, die man sich erhalten muß."

Anders sieht das Arno Fischbacher, der kaufmännische Leiter der Elisabethbühne, die zur Zeit ihre Bühne neben der St. Elisabeth Pfarrkirche hat: „Der Petersbrunnhof für die Elisabethbühne ist fix."

Der Ende des 19. Jahrhunderts erbaute Meierhof wurde in den fünfziger Jahren nach einem Brand notdürftig repariert, stand im Eigentum des Stiftes St. Peter und wurde nach Einstellung der Viehwirtschaft und der Besetzung in den siebziger Jahren vom Lande Salzburg um 50 Millionen Schilling gekauft. In den letzten zwei Jahren wurde anstelle der Wa-

te Verzögerungen vor dem Umbau des Peterbrunnhofes gab es durch einen sinnlosen Rechtsstreit mit den Resten des Betreibervereins. An der Räumung ist nicht mehr zu rütteln. Eine Räumung im engeren Sinn ist auch gar nicht notwendig, da ohnedies kaum jemand mehr die Räume benützt, außer junge Rock-Gruppen oder einzelne Disco-Veranstaltungen. Auf die Suche nach neuen Räumen machte sich Salzburgs Vizebürgermeister Herbert Fartacek, und hielt nach alten Industriebauten Ausschau. Das Sudhaus im Stadtteil Riedenburg wurde als neuer Raum für die „freien Gruppen" vorgeschlagen, aber noch nicht akzeptiert.

Arno Fischbacher zum Petersbrunnhof: „Er war eine Zeitlang sicher ein wichtiger Ort, schon aus der sozio-kulturellen Situation Salzburgs in den siebziger Jahren heraus: Die antiautoritäre Bewegung brauchte den leeren Raum des Petersbrunnhofs, der dem Klerus gehörte, als Kristallisationspunkt und nahm ihn für sich in Beschlag. Heute schwärmen nur mehr die Sentimentalen davon, mittlerweile haben sie alle ihre veritablen Domizile." Die momentane soziokul-

turelle Funktion des Petersbrunnhofs sieht Fischer als Stätte für gesellschaftliche Randexistenzen, für Süchtige, Heimatlose ohne soziales Netz.

Aus den Aktivitäten im Petersbrunnhof ging das Kleine Theater Salzburg hervor, damals hieß es noch Apple Star. Neben dem Petersbrunnhof wurden im Kapitelsaal zwei bis drei Produktionen im Jahr gemacht und gingen auf Tournee. Bald kam der Wunsch nach einem eigenen Haus. 1983 wurde ein in den Kapuzinerberg getriebener Wirtshauskeller entdeckt und in nur neun Monaten umgebaut. Als Ensembletheater mit drei bis vier Produktionen im Jahr konnte der Keller nicht durchgehend bespielt werden, sodaß aus finanziellen Gründen in der übrigen Zeit diese Spielstätte mit Gastveranstaltungen und Kabarett gefüllt wurde. Mit einem neuem Ensemble wurde vor drei Jahren der Weg zur Mittelbühne beschritten.

Bleibt Salzburg stehen?

Mittlerweile gibt es acht Neuproduktionen im Jahr, daneben Kabarett und Gastspiele von den Partner-Theatern, wie dem Theater am Geländer Prag, dem Theater am Heumarkt in Zürich, und dem Theater Tabakov in Moskau. Ein Europäisches Theaterforum befindet sich in Gründung, mit dem Ziel des Austausches von Theatertraditionen. Shakespeare soll im Steintheater in Hellbrunn gespielt werden. Claus Tröger vom Kleinen Theater glaubt an den Nachwuchs in Salzburg und meint, daß es ein gutes Nebeneinander der Bühnen gebe. Tröger wörtlich: „Die räumlichen Möglichkeiten für freie Gruppen sind wichtig, sonst läuft Salzburg Gefahr, daß es stehenbleibt."

Einer, der außerhalb des beschriebenen Kunstbetriebes steht, ist der Malerund AktionskünstlerOtto Beck. Mit seiner Salzach-Arche, einer pyramidenförmigen Pontonfähre, hat Beck vor drei Jahren das erste Mal zur Überfahrt zwischen Christus-Kirche und dem Museum Caro-linum Augusteum eingeladen. Das diesjährige Projekt war Bischof Erwin Kräutlers Alphabetisierungsprojekt in der Diözese Xingu in Brasilien gewidmet. Während der Überfahrten war Musik der zeitgenössischen Komponisten Bruno Strobl und Herbert Grassel zu hören. Beck sieht derzeit in Salzburg keine in die Zukunft weisenden Tendenzen in der bildenden Kunst und meint, vor dem Hintergrund einer globalen Krise müßten die Künste ihren Zweck in der Ge-(Foto Mayrhofer) Seilschaft neu definieren.

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