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Kreisky für alle

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„Ob nicht der Terroranschlag in Marchegg in Kreiskys Konzept paßte, damit er sich ins rechte Licht setzen kann? Schließlich sind in vierzehn Tagen Wahlen“, sagte vor kurzem ein „gelernter Wiener“, und es bleibt dahingestellt, ob es ihm mit dieser Feststellung ernst war.

Dieser Gedanke ist zweifellos überspitzt, zeigt aber die Reaktion der Bevölkerung, nachdem der erste Enthusiasmus über das Verhalten des Bundeskanzlers gegenüber den arabischen Terroristen verflogen war. Trotz des Ernstes der Situation hatte ja damals die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, vom Bundeskanzler selbst forciert, blendend funktioniert. Und Radio und Fernsehen trugen das Ihre dazu bei. Kreisky wurde m allen Lebenslagen gezeigt: von der Last der Entscheidung in der Terrornacht gezeichnet, jovial und freundschaftlich bei der Rückkehr der Grazer Piloten, als Staatsmann nach dem Besuch der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir, souverän bei der Pressekonferenz, belagert von einem Heer in- und ausländischer Journalisten.

Ergänzt wurden diese Eindrücke noch durch Meldungen, die vom Bundeskanzleramt via Austria Presse Agentur über die Fernschreiber der Redaktionen ratterten. Da stand zu lesen, wieviel tausend Briefe und Telegramme der Bundeskanzler erhalten habe, in denen seine Haltung begrüßt wird, wie viele Telephonanrufe es in dieser Sache gegeben habe und daß der Bundeskanzler insgesamt 17 Stunden dafür aufgewendet habe, mit Journalisten Gespräche zu führen.

Schließlich lag plötzlich, vier Tage nach dem Abschluß der Affäre, auch schon eine Meinunigsbefragung des renommierten deutschen Meinungsforschungsinstitutes Wickert in Tübingen vor, aus welcher der Kanzler den Enthusiasmus der Bevölkerung schwarz auf weiß ablesen konnte: 79 Prozent _ der österreichischen Wahlberechtigten, so hieß es in der Meldung, billigten die Entscheidung der Regierung, das Transitlager Schönau zu schließen, neun Prozent seien dagegen und 12 Prozent hätten keine Meinung.

Sensationell! So eine überwältigende Zustimmung hatte sich vielleicht nicht einmal Kreisky selbst erwartet — oder weiß auch er um die Problematik gerade solcher Meinungsumfragen? Aus rund 1800 Antworten, die innerhalb von drei Ta-

gen gesammelt worden sein sollen, wurde dieses Ergebnis errechnet. Aber wo wurden die Interviews gemacht? In Ost- oder in Westösterreich, in der Stadt oder in ländlichen Gebieten? Es wurde nicht gesagt. Manipulation durch Meinungsbefragung? Wer weiß.

Die ÖVP vertrat von Anfang an eine scharf kontroversielle Haltung gegenüber den Entscheidungen der Regierung. Parteiobmann Schleinzer blieb — ohne daß allerdings ein „Krisengipfel“ getagt hätte — bei seinen Aussagen. Als er Tage später von Journalisten bestürmt wurde, sagte er nur sinngemäß, man müsse auch einmal gegen den Strom der öffentlichen Meinung schwimmen, wenn man von seiner eigenen Auffassung überzeugt sei.

Anders war es mit den Freiheitlichen. Die erste Erklärung des stellvertretenden Parteivorsitzenden und Wiener Landesobmannes der FPÖ, Broesigke, ließ an Schärfe der Verurteilung der Regierung nichts zu wünschen übrig. Ganz anders sah allerdings das Kommunique aus, das

nach der Sitzung des FPÖ-Partei-vorstandes einige Tage später veröffentlicht wurde. Hier wurde die Haltung der Regierung voll und ganz unterstützt. Es war allerdings nicht zu eruieren, mit welcher Mehrheit diese Aussage zustande kam, ob Broesigke mitgestimmt hatte oder vielleicht gar nicht anwesend war, wie bei seiner ersten Stellungnahme Parteiobmann Peter nicht in Wien gewesen war.

Bei den großen Tageszeitungen zeigte sich von allem Anfang an eine Fraktionierung: Die „Kronen-Zeitung“ stellte sich sofort massiv hinter die Bundesregierung, der „Kurier“, vor allem aber die „Presse“ schlugen sich zunächst auf die Seite der Kritiker. Bundesländerblätter, wie etwa die „Salzburger Nachrichten“, noch deutlicher aber das „Salzburger Volksblatt“, vertraten vehement die Sache der Regierung und des Bundeskanzlers!

In der ÖVP wurde der Plan ventiliert, eine Sondertagung des Nationalrates zu fordern, auf der die Beschlüsse und das Verhalten der Re-

gierung eingehend debattiert werden sollten. Eilends wurde dieser Plan in einer ad hoc einberufenen Parteivorstandssitzung aber wieder zu Grabe getragen. Man begnügte sich mit dem Wunsch nach einem Bericht der Bundesregierung in der ersten regulären Nationalratssitzung der Herbstsession, die am 23. Oktober stattfindet und der Budgetrede des Finanzministers gewidmet ist. Der Termin für diese Sitzung liegt überdies zwei Tage nach den Landtagswahlen in Wien und Oberösterreich, und es könnte sein, daß die Politiker zu diesem Zeitpunkt andere Gelüste oder Sorgen haben. Damit ist es wahrscheinlich nur eine Pflichtdebatte, die an jenem 23. Oktober zum Thema Terror abrollen wird. Auf noch weitere Sicht ist eine Forderung des ÖVP-nahen Akademikerbundes ausgerichtet, der sich für die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses aus-

spricht.

Statistiker der Wählergunst wollen errechnet haben, daß Kreisky mit seinem Verhalten auch die oberösterreichischen Wahlen für die SPÖ gerettet habe und daß damit der von den Sozialisten für Wien befürchtete Mandatsverlust nicht eintreten werde. Ob solche Prognosen stichhältig sind, darf bezweifelt werden. Es

mag natürlich sein, daß in Wien, am Ort des Geschehens, sich die Pro-Kreisky-Stimmung länger hält und daß auch in Wien die Beziehung des einzelnen zur Bundespolitik — ebenfalls wegen des örtlichen Zusammenfallens — größer ist. So getraut sich heute eigentlich niemand, eine stichhältige Prognose für den Ausgang der beiden Landtags- und Gemeinderatswahlen zu geben. Trotzdem sollte auch die SPÖ mit

dem Phänomen rechnen, daß Entscheidungen — mögen sie auch zunächst von vielen als positiv gewertet werden — rascher aus dem Bewußtsein des Volkes verschwinden, als man glaubt. Und der Nahostkrieg wird zusätzlich dazu beitragen, die eher düsteren Ereignisse von Marchegg und Schwechat aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit zu verdrängen.

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