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Kreiskys amerikanischer Weg: In der Gegenrichtung

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Die Londoner „Financial Times”, die wohl angesehenste Wirtschaftszeitung der Welt, widmet in ihrer Ausgabe vom 24. Jänner der Tatsache breiten Raum, daß die Welle europäischer Investitionen in den USA - trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Europa - nicht abreiße, ja sogar einen steigenden Trend zeige. Die USA werden als „letzte Bastion” des Kapitalismus bezeichnet, als ein Land, das - im Vergleich zu den europäischen Staaten - bessere Rahmenbedingungen fü r die Privatwirtschaft anbiete, wo sich politische Stabilität und relativ geringer Staatseinfluß positiv auf Investitionsentscheidungen auswirken.

Darüber hinaus hat die Carter-Administration unmittelbar nach der Amtsübernahme durch Retuschen am Budget der Regierung Ford erkennen lassen, daß es ihr mit den wirtschaftlichen Stimulierungsmaßnahmen ernst ist. Dies wäre an sich noch nichts Besonderes, da alle europäischen Staaten derartige Programme aufzuweisen haben, doch zeigt sich ein wesentlicher Unterschied in der ideologischen Ausrichtung.

Das gesamte Stimulierungspaket soll insgesamt 31,3 Milliarden US-Dollar umfassen (15,8 für 1977 und 15,5 für 1978). Diese Mittel sollen unter anderem der Investitionsförderung der Unternehmungen dienen, die dem Schatzamt rund 2,5 Müliarden Dollar kosten wird. Noch bemerkenswerter aber erscheint die Absicht, durch einmalige Steuerrabatte in Höhe von 7 bis 11 Milliarden Dollar (!) an Einzelpersonen die individuelle Besteuerung zu mildern und dadurch zu vermehrtem privatem Konsum anzuregen, der sich wiederum stimulierend auf die Wirtschaft auswirken müsse. Darüber hinaus ist die Schaffung öffentlicher Arbeitsplätze geplant (sieben bis zehn Milliarden).

Zweifellos ein legitimer und ökonomisch vernünftiger Weg — wenn auch ein unorthodoxer — zur Ankurbelung der Wirtschaft; ein Weg, der etwa in Österreich in entgegengesetzter Richtung beschriften wird.

Während man sich im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten” nach wie vor auf die Privatinitiative verläßt, scheint im sozialistisch regierten Österreich auch wirtschaftspolitisch nur die Zwangsbeglückung der Staatsbürger ein denkbarer Weg zu sein. Anstatt die Steuern zu senken, verwendet der Finanzminister seine ganze Kreativität auf die Erfindung neuer Steuern, Abgaben und Belastungen aller Art. Dies sei nicht nur wichtig, um das immer größer werdende Staatsdefizit wenigstens zum Teil abzudecken, sondern insbesondere auch um durch öffentliche Aufträge und Investitionen stimulierend wirken zu können. Denn schließlich haben ja öffentliche Investitionen, wie der Bau der UNO-City, einer Autobahn oder die Errichtung eines Kraftwerkes zweifellos ebenfalls ihre stimulierenden Effekte durch die zusätzlich geschaffene Kaufkraft. Während aber in einer freien Wirtschaft das Kapital regelmäßig nur der bestmöglichen Investition zugeführt wird, so bildet bei den staatlichen Investitionen dieses Kriterium nicht immer die Grundlage für die Entscheidungen.

Grundlage für eine prosperierende Wirtschaft ist und bleibt die banale Erkenntnis, daß man die Kuh, die man melken will, nicht schlachten darf, ja daß man - gelegentlich - ihr sogar zusätzliches Futter geben muß.

Wenn man in Österreich von einer langfristigen Statistik ausgehend die Entwicklung des privaten und des öffentlichen Konsums vergleicht, dann zeigt sich deutlich eine Verschiebung zugunsten des letzteren.

Während im Zeitraum 1955 bis 1975 das verfügbare Güter- und Leistungsvolumen im jährlichen Durchschnitt um 9,3 Prozent anstieg, zeigt der öffentliche Konsum eine Aufwärtsbewegung um durchschnittlich jährlich 11,1 Prozent; demgemäß entwickelte sich der private Konsum verhältnismäßig schwächer (+8,9 Prozent).

Bezogen auf die beiden Vergleichs- jähre 1955 und 1975 bedeuten diese - gering anmutenden - jährlichen Abweichungen doch eine beträchtliche Veränderung in der Verwendung des verfügbaren Güter- und Leistungsvolumens. Während der private Konsum von 60,3 Prozent (1955) auf 56,4 Prozent (1975) absank, stieg der öffentliche Konsum im gleichen Zeitraum von 12 auf 16,6 Prozent. (Da bei den Bruttoanlageinvestitionen in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung keine Trennung zwischen privaten und öffentlichen Haushalten vorgenommen wird, wurden diese bei der Berechnung nicht berücksichtigt.)

Damit keine Mißverständnisse entstehen: volkswirtschaftstheoretisch sind beide Wege legitim und begründbar, damit ist es wohl letztlich eine politische Entscheidung, ob die Schwerpunkte in dieser oder in jener Richtung gesetzt werden. Die gegenwärtige Bundesregierung hat sich auch in dieser Frage für mehr Staatseinfluß entschieden. Schweden, das in dieser Richtung bereits wesentlich „stärker” entwickelt ist, hat nicht zuletzt wegen der exorbitanten Steuerbelastung (bis über 100 Prozent!) bei den letzten Wahlen die Sozialisten in die Opposition geschickt. Daß auch in Österreich der Unmut über die losgetretene Belastungslawine groß ist, ist eine unleugbare Tatsache, auch wenn die Causa Lütgendorf derzeit die innenpolitische Szene beherrscht.

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