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Kreiskys unbewältigte Gegenwart

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Neue Debatten um die faszinierende und schillernde Person von Bundeskanzler Bruno Kreisky wird das demnächst auf dem Markt erscheinende STYRIA-Buch „Kreisky und seine unbewältigte Gegenwart” entfachen. Die FURCHE bringt einige Passagen aus dem Werk des holländischen Journalisten Martin van Amerongen im Vorabdruck:

Viele Kreise in Österreich vermuten im Antikommunismus Kreiskys den gleichen Opportunismus wie in der Judenfrage.

Bruno Pittermann, Kreiskys Vorgänger als SPÖ-Vorsitzender, gab der ÖVP im Jahre 1966 die absolute Mehrheit, indem er sich nicht von den Kommunisten distanzierte, die - selber ohne jede Hoffnung auf Erfolg - ihren Anhängern geraten hatten, SPÖ zu wählen. Den erschreckten Österreichern mußte es scheinen, als ob der „integrale Sozialismus” unmittelbar bevorstehe. Die SPÖ verlor die Wahlen und Bruno Pittermann seinen Posten als Parteivorsitzender.

Kreisky änderte sofort den Kurs und konzipierte die sogenannte Eisenstädter Erklärung, in der er ohne Vorbehalt sagte, daß die Sozialdemokraten nichts, aber auch gar nichts mit den Kommunisten zu tun haben wollen. Er begriff im Gegensatz zu seinem Vorgänger, was in der österreichischen Innenpolitik die maßgeblichen Faktoren sind: gemäßigter Reformismus, profilierter Antikommunismus und eine demonstrative Bereitschaft, einen Strich unter die nicht selten zweifelhafte Vergangenheit einer großen Anzahl der zwischen ÖVP, SPÖ und FPÖ schwankenden Wählerschaft zu ziehen. Und gerade der Jude Kreisky ist als Symbol besser für diese Versöhnungspolitik geeignet als irgend jemand sonst. „Kreisky ist, wie tiefenpsychologische Untersuchungen zeigen”, schreibt der österreichische Psychologe Wilfried Daim”, bei vielen Nazis angekommen. Für sie war es eine Art Erlösung, einen Juden zu wählen. Die Nazis waren über den Juden Kreisky schon deshalb glücklich, weil er allein imstande ist, sie wieder gesellschaftsfähig zu machen. Ein jüdischer Bundeskanzler sollte für sie Schlußstrich unter einer Vergangenheit sein, mit der sie nichts mehr zu tun haben wollen.”

Die Wahl Bruno Kreiskys zum SPÖ-Vorsitzenden bzw. seine spätere

Ernennung zum österreichischen Bundeskanzler ist nicht das Resultat eines antifaschistischen Läuterungsprozesses gewesen, wie man vielleicht annehmen könnte. Es war vielmehr das Resultat eines taktischen Manövers, ein Bauen auf das nationale Schuldgefühl, vÄnischt mit einem aggressiven Hang nach Rehabüitie- rung, mit einer zeitgemäßen Variante des Antisemitismus als endgültigem Resultat: „Wir haben nichts gegen die Juden, wenn sie nur alle wie Kreisky wären.”

Zu Beginn der sechziger Jahre sagte Bruno Kreisky, damals noch Außenminister in der schwarz-roten Koalitionsregierung, er wisse sehr wohl, daß auf Grund seiner Herkunft zwei Funktionen für ihn unerreichbar seien: der Posten des SPÖ-Vorsitzenden und der Posten des österreichischen Bundeskanzlers. Als er seine Parteigenossen und Landsleute besser kennenlernte, begann er zu begreifen, daß er gerade wegen dieser Herkunft diese beiden hohen Funktionen erreichen konnte. Darum gab er dem Antisemitismus die Absolution, denn dieser machte ihn, den Paradejuden, zum ersten Mann in der Regierung.

Warum schlug rfreisky zwei Einladungen nach Israel aus, um sich kurz nachher in Kairo von Nasser persönlich eine Auszeichnung auf die Brust heften zu lassen? Warum mußte es ausgerechnet die erzkonservative SPÖ sein, die sich bereit erklärte, die Palästinensische Befreiüngsfront anzuerkennen, nachdem das von Kreisky im März 1976 durch das ku- waitische Fernsehen erklärt wurde? Warum mußte ausgerechnet Kreisky Bundeskanzler werden, um mit der Tradition zu brechen, der jüdischen Gemeinschaft seines Landes zum jüdischen neuen Jahr Glückwünsche zu übermitteln? War dies eine Unachtsamkeit oder das Benehmen eines Mannes, der den Gedanken nicht akzeptieren konnte, daß Österreich gegenüber den Juden eine spezielle Verpflichtung hat der dieselben Juden „ein mieses Volk” nennt und der eines ihrer prominentesten Mitglieder als „einen jüdischen Faschisten” be- zeichnete, sich aber inzwischen selbst bei den echten Faschisten um ein Ariertum honoris causa bewirbt?

Aber bezeichnender als die bereits erwähnten Vorfälle war Kreiskys Auftreten am 10. November 1975 bei einer Pressekonferenz mit den in Wien akkreditierten Ausländskorrespondenten. Bei dieser Gelegenheit zog Kreisky alle Register. „Auf dem Boden

Österreichs weiß ich nur eines”, sagte er, „was ich der israelischen Bevölkerung gesagt habe, daß mein Großvater väterlicherseits ein deutschsprachiger Oberlehrer in Böhmen war und sogar Direktorstellvertreter in einer Lehrerbildungsanstalt in der alten Monarchie, sein Vater ein Lehrer war, meine Großmutter eine der ersten Deutschlehrerinnen in Böhmen war, ihr Vater ein Lehrer war, ihr Bruder deutschsprachiger Reichsratsabgeordneter im österreichischen Parlament vor über 100 Jahren war, mütterlicherseits die Vorfahren meiner Mutter Ärzte waren, auf Jahrhunderte zurückzuverfolgen zum Beispiel nach Dokumenten, ja, wo anders soll mein eigenes Land sein, ich frage, wo soll das sein?”

Selbstverständlich hat Kreisky damit recht Er ist Österreicher, ebensoviel und ebensowenig wie Josef Klaus, Arthur Seyß-Inquart und Gustav Mahler. Trotzdem hat sich selten der Emanzipationstrieb der Gemeinschaft der Außenseiter so deutlich geoffen- bart wie hier in der Figur des jüdischen Bürgersohnes, der sich ein Leben lang in einer Umgebung von Judenhassern aufhielt, einer, der immer schlauer und intelligenter, arischer als die Arier und österreichischer als die Österreicher sein mußte als die anderen, um akzeptiert zu werden.

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