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Kreml braucht das Nahost-Öl

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Die Hauptaufgabe der sowjetischen Wirtschaft ist es, die globalen Operationsziele des Regimes zu unterstützen, und zwar alle Arten von sich hinziehenden Konflikten mit der nichtkommunistischen Welt. So gesehen kann das Politbüro seinen Druck auf die Sowjetwirtschaft fortsetzen, außer es kommt zu einem ernsthaften Zusammenbruch der wirtschaftlichen Gleichung.

Ein solcher „Zusammenbruch“ der wirtschaftlichen Gleichung steht aber tatsächlich in Form der drohenden Energieverknappung unmittelbar bevor, und die sowjetische Führung hat diese heraufziehende Gefahr erkannt. Es ist eine Krise, die sich die Sowjetunion nicht leisten kann!

Die sowjetische Erdölproduktion ist dabei, ihre Spitze zu erreichen, gleichzeitig steigt aber der Bedarf an

öl und Gas rapide an. Erdöl ist auch für die Sowjetunion der wichtigste Rohstoff. Nur mit öl kann sie ihr Wirtschaftswachstum aufrechterhalten, in einer engen Verbindung mit ihren osteuropäischen Satelliten bleiben, westliche Technologien erwerben (die die Hauptstütze für die militärische Entwicklung in strategische Systeme darstellen) und die militärische und strategische Industrialisierung direkt in Gang halten.

Der führende westdeutsche Energieexperte Professor Werner Gumpel kam vor zwei Jahren in einer fast unbeachteten Studie zu dem Schluß, daß die Sowjetunion bis 1980 im wesentlichen Importeur von Erdöl sein werde.

Der sowjetische Ökonom L. Zevin rechnete in einer in Moskau publizierten Studie vor, daß die Sowjetunion um 1985 zwischen 60 und 90 Millionen Tonnen öl und 40 bis 50 Billionen Kubikmeter Gas jährlich aus dem Nahen Osten wird importieren müssen.

In einem völligen Bruch rhit früheren Studien prophezeite letztes Jahr auch der amerikanische Geheimdienst CIA, daß der Ostblock in den frühen achtziger Jahren zunehmend von importiertem öl abhängig werden wird.

Der wesentliche Grund für die pessimistische CIA-Analyse bezüglich der sowjetischen Erdölproduktion ist dabei der signifikante Produktionsrückgang in den älteren europäischen ölfeldern; und daß es bisher nicht gelungen sei, ausreichende neue ölfelder in Sibirien zu finden, um den im europäischen Teil vorauszusehenden Verlust wettzumachen. Schließlich tauchen auch noch öfters technische, wirtschaftliche und soziale Probleme auf, die zu dieser vorhersehbaren „Pleite“ beitragen können und damit die Befriedigung der ölnachfrage für die Zukunft in Frage stellen.

Die Konsequenzen dieser schwebenden sowjetischen Energiekrise sind nicht nur für die Sowjetunion selbst, sondern auch für die westliche Welt sehr ernst. Denn über 30 Prozent der jetzigen sowjetischen Ausfuhreinnahmen stammen aus dem Energieexport. Während der Naturgasexport wahrscheinlich auch in Zukunft ansteigen wird, wird das vorauszusehende Scheitern bei der Befriedigung des ölbedarfs im Ostblock sich in reduzierten Exporteinnahmen niederschlagen. Die wachsende Abhängigkeit von der OPEC und speziell vom öl aus dem Nethen Osten wird dazu führen, daß das sowjetische Interesse für diese Region stärker werden wird.

In der Vergangenheit hat der Kreml einigen Staaten beachtenswerte Hilfe geleistet, besonders als er

1973 das Öl-Embargo unterstützte und manche Länder mit modernen Waffen belieferte. Das Grundprinzip dieser Aktivitäten wurde im Westen allgemein dahingehend interpretiert, daß es zu den erklärten Grundsätzen der Sowjetunion gehöre, „nationale Befreiungsbewegungen“ zu unterstützen, Marine- und Luftwaffenstützpunkte zu sichern oder die Voraussetzungen dafür zu schaffen, um die westliche Schiffahrt in Krisenzeiten stören zu können.

Dieses Argument ignoriert die Politik der UdSSR, die darauf abzielt, in eine Position zu gelangen, von der aus sie in Kriegszeiten die Öl-Nachschublinien unterbrechen, den eigenen Zugang zu den Erdöl-Lagern aber offenhalten kann - und was noch wichtiger ist: einen Wechsel in den Regierungen der rohstoffreichen Länder des Nahen Ostens herbeiführen kann.

Zwei jüngere Vorfälle sind in dieser Hinsicht äußerst lehrreich: Einmal der erfolgreiche kommunistische Putsch in Afghanistan, zum zweiten der fehlgeschlagene Versuch der prosowjetischen kommunistischen Partei des Irak, die Regierung des Präsidenten Ahmed Hassan al-Bakr zu stürzen.

Folgende Schlüsse lassen sich aus all dem ziehen:

• Die UdSSR sieht sich einer ernsthaften Energieverknappung gegenüber. Das kann sich auf die Fähigkeit des Landes auswirken, westliche Technologien zu erwerben, was wiederum das militärisch-strategische Wachstum hemmen kann.

• Die UdSSR versucht eine stärkere Kontrolle über die wichtigsten erdölproduzierenden Länder um den Persischen Golf zu erlangen, wenn auch nicht durch direkte militärische Eingriffe, sondern viel eher durch subversive Taktiken.

• Die sowjetische Kontrolle über das öl des Persischen Golfes würde dramatische Folgen nicht nur für das strategische Wachstum und die Stabilität der Sowjetunion haben: sie würde den Zugang des Westens und Japans zu den Energiequellen ernstlich einschränken, die sowjetischen Vorteüe bei der Beschaffung des Öls aber wesentlich erweitern.

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